Samstag, 16. April 2011

Alice

Oder: Wir kommen aus der gleichen Stadt

Ein Abend im Sommer

Alice ist ungefaehr so alt wie ich. Wir haben im gleichen Jahr Abi gemacht und haben gemeinsame Freunde. Kennen gelernt haben wir uns erst in den letzten Wochen an der Schule, als wir schon gar keinen Unterricht mehr hatten, sondern irgendwo zwischen Pruefungen und Abschlussfeier schwebten. Es war nur ein Abend, aber wir hatten uns gleich gut verstanden. "Schade, dass wir uns erst jetzt kennen gelernt haben", meinte Alice beim Abschied. Sie wollte in ein paar Wochen nach Israel gehen, um dort fuer ein Jahr Hebraeisch zu lernen.

In Israel

Alice ist nach Israel gegangen, hat Hebraeisch gelernt und Yuval kennen gelernt. Yuval war juedisch wie sie und lebte in Israel. Alice verliebte sich und beschloss, zu bleiben. Wenig spaeter heirateten sie und Yuval. Als Juedin war es fuer sie kein Problem, die israelische Staatsbuergerschaft zu bekommen. Sie begann ein Studium an einer der Unis im Lande. Das Studium hat sie in der Zwischenzeit abgeschlossen. Sie hat gearbeitet und jetzt erwartet sie ein Kind.

Muslimin, Islamistin, Israelhasserin?

Ich habe sie nicht mehr gesehen seit diesem ersten Abend irgendwann im Sommer vor Jahren, als sie wir uns kennen lernten. Muslimin war ich schon damals, aber das wusste fast keiner. Seit ich mit Kopftuch deutlich als solche erkennbar war, war ich so manchem der gemeinsamen Bekannten, die Alice und ich hatten, und deren Freunden suspekt. War sie Muslimin, Islamistin, Israelhasserin? Es war deutlich, wie schwer es vielen von ihnen fiel, mich einzuordnen. Mit Alice habe ich nicht darueber gesprochen - wieso auch: wir waren nie Freunde gewesen, und konnten es aufgrund der raeumlichen Distanz auch nicht werden - aber ich befuerchtete, dass sie mein Muslimsein aehnlich sehen wuerde.

Eine Sicht auf den Konflikt

Und dann tauchten auf ihrer Facebook-Seite ploetzlich immer wieder Links zu islamfeindlichen Artikeln und Videos auf. Wann immer es zu einem Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten kam, konnte ich an Alices Kommentaren sehen, dass sie den in Israel dominanten Diskurs vollkommen aufgenommen hatte: Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten, Schuld am Konflikt sind die Araber und Palaestinenser sind Terroristen. Selbstkritik oder auch nur die geringste Empathie fuer die andere Seite fehlte voellig.

Alice ist nicht von dort

Das mag verstaendlich sein bei jemandem, der in Israel gross geworden ist, dort immer gelebt hat, aber Alice ist nicht von dort. Sie kommt aus Europa, sie kommt aus Deutschland, aus der gleichen Stadt wie ich, wo uns schon, bevor wir in der Schule waren, eingetrichtert wurde, common knowledge kritisch zu hinterfragen. Alice hat in [Stadt in Deutschland] muslimische Freunde, sie kennt die und weiss, dass nicht jeder Muslim oder Araber ein Israelifresser ist.

Warum nicht?

Wie es trotzdem sein konnte, dass sie den in Israel dominanten Diskurs so uebernehmen konnte, verstehe ich nicht. Sie kam von draussen, sie haette es anders sehen koennen. Warum nicht? Ich wuerde sie gerne fragen, aber ich zoegere, sie zu fragen, weil ich befuerchte, dass sie mich als eine von den anderen sieht - und ausserdem, weil wir uns ja eigentlich gar nicht richtig kennen.

13 Kommentare:

Anisah hat gesagt…

Traurig. Aber ist es nicht das, was wir auch von vielen Muslimen kennen, die unreflektiert einfach die israelfeindliche Position einnehmen, weil man den armen unschuldigen Muslimen in Gaza helfen muss?

Anonym hat gesagt…

Sie ist unkritisch, weil sie islamkritisch ist?

Die faschistische Ideologie des Islam IST die Wurzel des Übels.

Glücklicherweise erkennen das immer mehr Menschen in Europa.

Lieselotte hat gesagt…

@ Anonym: Nein. Das, was ich von ihr gesehen habe, war keine Islamkritik mehr. Das war Islam- und Auslaenderfeindlichkeit - und zwar von der weniger netten Art.

So so, und Ihrer Meinung nach ist es also der Islam, der an allem Schuld ist? Wo wir doch grade von Palaestina sprachen - wirklich islamisch argumentieren die palaestinensischen Gruppen dort erst seit ein paar Jahrzehnten. Gegen Israel agiert hat man da aber schon vorher.

Hm, und falls Sie Recht haetten - und der Islam wirklich (an was?) Schuld waere - was waere dann zu tun?

Lieselotte hat gesagt…

@ Anisah: Ja, klar. Da gibt es das genauso. Und zwar auch von Leuten, von denen man aufgrund ihres Hintergrundes und ihrer Bildung anderes erwarten koennte. Ich mag fast nicht mehr auf Israel-/Palaestina-Veranstaltungen mehr gehen, weil es doch immer nur das Gleiche Gesalbader ist, das man zu hoeren bekommt.

TheVirgin hat gesagt…

Und was gedenken Sie zu tun? Was tragen Sie persönlich zu einer Völker- und Religionsgemeinschaften-Verständigung bei? Außer hier zu bloggen und auf theoretischer Ebene Dinge anzuprangern, deren Hintergründe sie auch nur aus der eigenen Perspektive zu beurteilen vermögen? Sollte es nicht Priorität haben, die wirklich existentiellen Probleme dieser Welt in Angriff zu nehmen? Solange die Grundbedürfnisse aller Menschen mit Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung nicht gewährleistet ist, brauchen wir uns doch nicht über Glauben, Nicht-Glauben oder Anders-Glauben auszulassen. Welche Rolle spielt es schon, weshalb sich Menschen gegenseitig vernichten? Sollten wir sie nicht besser aktiv davon abhalten, anstatt polemisch daherzureden?

Die Gründe der Feindseligkeiten sind mannigfaltig ... vielleicht ist es auch Gottes Wille, dass wir uns gegenseitig die Köpfe einschlagen? Sonst hätte er ja wohl kaum so viele Glaubensgemeinschaften geschaffen, deren hauptsächliches Wirken in der Gegenseitigen Beseitigung mündet. Ist es nicht vielleicht eine Variante der natürlichen Selektion? Die Bevölkerungsdichte hat so oder so schon unchristliche Außmaße angenommen. Zu viele Menschen auf einem Planeten! Da geht es fast nicht ohne Konflikte. Konflikte sind die logische Konsequenz, wenn zu viele Menschen an einem Ort zusammengepfercht leben.

Anonym hat gesagt…

Ach komm, frag Alice doch. Man weiß ja nie, vielleicht kommt ein produktiver Dialog dabei raus. Vielleicht auch nicht, aber probieren kann man es doch (zumindest bei jemandem, den man irgendwann mal mochte).

Anonym hat gesagt…

Hier jetzt mal ein Berichte von einer wirklich nicht islamfreundlichen und antiisraelischen Zeitung: http://www.fnp.de/fnp/nachrichten/politik/leben-im-sperrgebiet_rmn01.c.8846248.de
auch in anderen zeitungen gibt es immer wieder ausgewogene Berichterstattung. Den Konflikt einseitg erklären zu wollen ist falsch.

Lieselotte hat gesagt…

@ The Virgin:

Was ich selbst beitrage? Ich habe jahrelang in der politischen Bildung, im interreligioesen Dialog und der internationalen Kultur- und Bildungsarbeit gearbeitet. Zurzeit studiere ich Konfliktforschung um gegen eben diese Probleme, die sie in ihrem Kommentar erwaehnen zu tun. Was tun Sie?

Dass Glaube oder Religionen die wichtigsten Fragen sind, habe ich doch gar nicht gesagt. Darum ging es doch in meinem Artikel ueberhaupt nicht.

Davon abgesehen glaube ich nicht, dass das "haupsaechliche Wirken" der Glaubensgemeinschaften die "gegenseitige Beseitigung" ist. Quatsch. Genauso wenig wie Konflikte die "logische Konsequenz" von zu vielen Menschen an einem Ort sind. Der Grossteil der Menschen auf dieser Welt - ob religioes oder nicht - lebt doch, ohne seine Mitmenschen abzumetzeln... Oder meinen Sie nicht?

Gruss
Lieselotte

Belladetta hat gesagt…

Liebe Lieselotte,
die letzten Jahre im indisch-nepalischen Grenzgebiet haben mich wirklich ernüchtert. 10 Jahre hatten die Maoisten einen Bürgerkrieg in Nepal geführt und zum Schluss war der Terai, Grenzgebiet zu Indien, ihre Hauptkampfzone. Nun wird heute dieses Gebiet von unterschiedlichen Völkern bewohnt, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte erst dort niedergelassen haben. Jede Ethnie kämpft, nachdem sie das Handwerkszeug der Erpressung und Einschüchterung von den Maoisten gelernt haben, für sich. Nach den Maoisten kam das Madhesi Forum, eine Terrorgruppe der aus Uttar Pradesh eingewanderten Inder, dann wachten die Tharus, die eigentlichen Ureinwohner des Terai, auf. Und auch im Kathmandu-Tal wollen die Newar alle anderen, die dort nicht urspünglich ansässig waren, rausschmeissen. Ohne Bevölkerungsdruck wären die Leute vielleicht friedlich, aber so klappt es gar nicht.

conring hat gesagt…

@Liselotte,
die von Ihnen festgestellte "Islamfeindschaft" Ihrer flüchtigen Bekannten könnte sich vieleicht aus ähnlich differenzierenden und beide Seiten des Nahost-Konfklikts berücksichtigenden Kommentaren deutschsprachiger Muslime speisen, wie man sie in den Kommentaren zu diesem Beitrag auf Aggromigrant findet.

Fragezeichen hat gesagt…

Hallo Lieselotte,

Du bist doch schriftkundig:
Wie kommt es dass sich Sure 7:54

"Euer Herr ist Allah, der Himmel und Erde in sechs Tagen geschaffen und sich daraufhin auf dem Thron zurechtgesetzt hat..." (Paret)

und Sure 41:9

"Sag: Wollt ihr wirklich nicht an den glauben, der die Erde in zwei Tagen geschaffen hat, und behaupten, daß er (andere Götter) seinesgleichen (neben sich) habe?"
(Paret)

so offensichtlich widersprechen?

Bitte um Aufklärung!
Grüße vom Fragezeichen

Lieselotte hat gesagt…

Liebes Fragezeichen,

ich bin nicht "schriftkundig". Ich habe mich mit einer Reihe von Fragen zur islamischen Theologie beschäftigt - aber weit entfernt davon, Experte zu sein. Mit diesen beiden Textstellen habe ich mich noch nicht beschäftigt. Falls Sie da Genaueres zu wissen möchten, würde ich Ihnen vorschlagen, dass Sie sich entweder an eine Moschee in Ihrer Nähe wenden - oder vielleicht an die Leute von islam.de?

Gruß
Lieselotte

Anonym hat gesagt…

Als Kind christlicher Eltern muss ich damit leben, gem. hl. Buch ein Abkömmling von Wesen zu sein, die schlimmer als das Vieh sind.

Allein der tägliche Anblick des Ausmaßes von moslemischer Selbstschädigung vermag mein Genugtuungsbedürfnis zu stillen.

Einmal Al-Jazeera gucken mit Zenga Zenga von Misurata bis Aleppo und schon wirkt der Aggromigrant aus der U-Bahn wie ein lächerlicher Clown.

Aber, ich glaube, wenn ich Jude wäre; ich würde sowas von ausrasten....