Mittwoch, 29. Februar 2012

Hass im Netz

Vielleicht fühlt sich ja der eine oder andere Mensch, der mich hier mit freundlichen Kommentaren zuschwallt, zur Teilnahme berufen:

"Im Rahmen der diesjährigen "Jungen Islam Konferenz" laden wir Sie/Euch zu einer Podiumsdiskussion ein, um mit Vertretern aus Politik, Medien, Kultur und Verbänden zur Thematik

"Hassfluten im anonymen Raum" - E-Mails, Leserbriefe und Kommentare an Menschen, die das Thema Islam in Deutschland streifen

zu diskutieren. Es ist nicht nur der rechte Rand, der sich berufen fühlt, Menschen zu beschimpfen, die sich in Deutschland mit dem Themenfeld Islam im weiten wie im engen Sinne auseinandersetzen. Die Sagbarkeitsgrenzen haben sich im Zuge der Sarrazin-Debatte verschoben, eine verrohende Bürgerlichkeit diagnostiziert Heitmeyer. Immer mehr wird das Internet zum Raum, in dem sich der Hass auf das vielfältig gewordene Deutschland entlädt.

Eingeladen sind: Özlem Topçu (Wochenzeitung DIE ZEIT), Denhart von Harling (Sprecher BERLIN BIENNALE), Çiçek Bacik (Sprecherin Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg), Veysel Özkan (Büroleiter Cem Özdemir, BÜNDNIS90/Die Grünen) und Yassin Musharbash (SPIEGEL-online) unter der Moderation von Dr. Naika Foroutan.

Freitag, 2. März 2012 um 19 Uhr in der Universitätsstraße 3b, Raum 002.

Der Eintritt ist frei.

Die "Junge Islam Konferenz" ist ein Projekt der Stiftung Mercator und der Humboldt-Universität zu Berlin."

Montag, 27. Februar 2012

Katharina


Katharinas Tod war ein Schock.

Wir hatten zusammen in der Altbauwohnung im dritten Stock des Hauses an den Straßenbahnschienen gewohnt, seit einem halben Jahr. Katharina war neu dazu gekommen, sie hatte vorher in Baden-Württemberg studiert und sich jetzt unsere Uni für einen Master in Internationalen Beziehungen ausgesucht. War quer durch die Republik gefahren und hatte hier, weit weg von zu Hause ein Zimmer gefunden, bei uns, und das neue Studium begonnen.

Ich war gerade wieder in die Stadt im Osten des Landes, in der wir studierten, gekommen. Über drei Monate Nahen Osten im Gepäck, stand jetzt der Endspurt in meinem Studium an. Ich hatte hier lange genug gelebt, um da weitermachen zu können, wo ich vor meiner Abreise Richtung Südost aufgehört hatte. Ich war spät dran, das Semester hatte schon begonnen, aber das war in Ordnung, mir fehlte nur noch die Abschlussarbeit. Und ein bisschen arbeiten wollte ich, am Lehrstuhl.

Die Wochen liefen langsam an. Ich hatte mir viel vorgenommen, aber die Recherche zog sich dahin. Es war Winter, ich war viel zu Hause, manchmal in der Bibliothek. Katharina, Anna und ich verstanden uns gut. Jede hatte ihr Zimmer, in der Küche traf man sich, ich saß da oft mit meinem Computer oder einem Buch und einer Tasse Tee. Katharina erzählte. Sie hatte wie ich einige Zeit in Frankreich studiert, auf die französische Bürokratie schimpften wir gemeinsam. Viel lieber noch wäre sie für ein Semester nach Syrien gegangen, aber das hatte ihre Familie ihr ausgeredet. Jetzt bereute sie es, und ich meinte, dass sie doch immer noch für ein Semester ins Ausland gehen konnte. Vielleicht nicht nach Syrien, aber doch woanders hin.

Wir haben zusammen in der Küche gesessen, abends, mittags, mit den Nachbarn. Waren an der Uni, einkaufen, sie hat die leeren Kaffeegläser gewaschen, mit Etiketten beklebt und Zucker, Salz und Mehl hineingefüllt, schön sah das aus. Wir haben beide zum Lernen am liebsten Cola getrunken und flaschenweise Aldi-Cola die Treppen zu unserer Wohnung geschleppt. Unsere Wohnungstür hatte eine gereffelte Glasscheibe und wir haben gemeinsam darüber gelacht, wie unheimlich uns der Gedanke war, dass so jemand von draußen erahnen konnte, wann wir zu Hause waren und wann nicht. Einmal sind wir gemeinsam in die Amnesty-Gruppe unserer Stadt gegangen, weil wir dachten, ein bisschen Engagement muss sein, aber dann sah uns das so nach Laberclub aus, dass wir doch wieder gegangen sind.

Der Anruf kam abends.

Ich war drei Wochen oder länger bei meiner Familie gewesen. Hatte eigentlich früher wieder zurück kommen wollen, aber es war Weihnachten, Silvester, Neujahr, da war bei uns oben in unserer Stadt eh nicht viel los; ich hatte meinen Aufenthalt Stück für Stück, Tag für Tag verlängert.

Anna rief mich an. Sie musste es mir sagen. Einer musste es mir sagen. Sie musste es mir sagen.

Sie war zu Hause gewesen, als die Polizei klingelte, vor der Tür stand, die Nachricht überbrachte.

Auf Katharinas Tisch wurde ein Zettel gefunden, auf den sie mit krakeliger Schrift ihren Namen und dass sie mit uns (unsere Namen) zusammen wohnte, geschrieben hatte.

Anna hat die Schritte im Flur und die Tür gehört, als sie sich hinter ihr schloss.

Von unserer Wohnung bis zum Bahnhof waren es etwa fünfzehn Minuten. Dann war da der Zug. Und Katharina sprang nicht, sie legte sich, weil man, wenn man springt, abprallt und nicht stirbt. Es gab einen Zeugen, jemanden, der da stand, so früh am Morgen und sah, wie Katharina auf die Gleise kletterte. Legte sie sich hin? Sie ist nicht gesprungen, weil, wenn man springt, prallt man ab und überlebt. Vielleicht.

Katharina war tot.
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Sonntag, 26. Februar 2012

Abschied

Oder: Zehn Jahre

Meral
geht. Nach zehn Jahren in Österreich, zehn Jahren in einem fremden Land, in dem sie vielleicht doch irgendwie auch zu Hause war, packt sie ihre Sachen, Kleider, Küchengeräte, Möbel, die Spielsachen ihrer Tochter, bald soll es losgehen. Einen halben Laster haben Sie zusammen mit einer befreundeten Familie gemietet, das muss reichen. Meral und die kleine Sena fahren morgen los, ihr Mann bleibt noch drei Wochen, dann kommt auch er nach.

Ich wusste, wir wussten alle, dass sie bald geht. Wohin, das weiß sie selbst noch nicht so genau. Die Familie kommt vom Schwarzen Meer, sie gehen jetzt erst einmal in den Süden, aber wollen letztendlich wahrscheinlich etwas in Ankara finden. EineTelefonnummer oder Adresse hat sie noch nicht, aber sie verspricht, sich zu melden.

Zehn Jahre waren sie hier. Sie haben beide studiert, Meral ist mit ihrer Promotion fertig geworden, ihr Mann ist es bald. Deutsch haben sie gelernt, Meral spricht es fließend, fast fehlerfrei, und sich mit dem Leben im fremden Land arrangiert. Freunde gefunden, die Tochter ist hier groß geworden, spricht genauso gut Deutsch wie Türkisch. "Im Kindergarten haben sie alle geweint. Sogar eine der Tanten", erzählt Meral. Nur ein bisschen älter als das Lieschen ist Sena.

Abends, im Wohnheim, ist Meral noch einmal zum Abschiednehmen vorbei gekommen. Umarmungen, Meral weint, die Adressen sind schon ausgetauscht, man wünscht sich alles Gute. Jemand macht einen Scherz, erzählt eine Geschichte von früher, alle lachen. Die Mädchen reden auf Türkisch durcheinander, Meral sagt etwas auf Deutsch. Spät ist es geworden und sie muss nach Hause, morgen geht es früh los.

Samstag, 25. Februar 2012

Nicht Mann, nicht Frau

Wie es ist, nicht eindeutig Mann oder Frau zu sein; was es heisst, den gesellschaftlichen Geschlechtervorstellungen nicht zu entsprechen; welchem Druck Betroffene ausgesetzt sind und wie stattdessen mit der Frage umgegangen werden koennte - erlaeutert Lucie Veith, die Vorsitzende des Vereins "Intersexuelle Menschen" in einem Interview mit tagesschau.de.

Freitag, 24. Februar 2012

P-Frage und B-Partei

Oder: Deutschland sucht 'nen neuen Praesidenten...

Christian Wulff ist zurueckgetreten (endlich), und die Republik diskutiert ueber den moeglichen Nachfolger. Lieselotte fragt sich, was nach einem Praesidenten, der meint, Deutschland habe das Recht, auch seine wirtschaftlichen Interessen mit militaerischen Mitteln zu verteidigen, und einem Praesidenten, der meint, er habe das Recht, seine eigenen Interessen auch als Praesident an erste Stelle zu stellen, als naechstes kommt - und ob wir zur Abwechslung auch mal wieder einen Praesidenten bekommen, der es hinkriegt, sich die gesamte vorgesehene Zeit im Amt zu halten. Das waer doch mal was.

Waehrenddessen nimmt die Debatte um die alten und den neuen Praesidenten bisweilen bizarre Zuege an. Mein bisheriger Favorit ist eine "Presseerklaerung" der Partei BIG. Nach der Lektuere war mir zunaechst unklar, ob es sich um einen Scherz oder womoeglich eine gezielte Faelschung zur Diffamierung der nicht unumstrittenen Partei handelt. So viel Unprofessionalitaet auf einem Blatt Papier - das konnte doch nicht sein. Eine Weile Recherche ergibt: Die Erklaerung scheint allen Ernstes authentisch zu sein. Womit eigentlich nur eins zu sagen bleibt: OH MEIN GOTT!

Selber sehen wollen? Bitte, macht euch ein Bild!

Donnerstag, 23. Februar 2012

Montag, 20. Februar 2012

Sonntag, 19. Februar 2012

Hoher Besuch

Heute war der Vorsitzende des Vereins, der Träger des muslimischen Mädchenwohnheims ist, bei uns zu Besuch. Das war etwas Besonderes, weil sonst außer Handwerkern kein Mann in den Räumlichkeiten erlaubt ist. Ausnahme: die zwei oder drei Vorträge und Treffen mit einem Wissenschaftler aus der Türkei, die seit ich hier bin im Mädchenwohnheim organisiert wurden. Heute also der Vorsitzende. Gerade zu Hause angekommen, treffe ich einige der Mädchen, die in der Küche mit Teekannen hantieren und Popcorn machen.

Türkischer Kopftuch-Chic

Ich kenne sie sonst draußen mit langem, gut geschnittenen Mantel und schickem Kopftuch oder drinnen in Jogginghose, Jeans, Pulli oder was man sonst eben so trägt. Heute sind sie zwar vollkommen bedeckt, tragen aber - zu Hause - keinen Mantel. Die beiden in der Küche stecken in langen, schicken Röcken, darüber eine in den Bund gesteckte Bluse und ein Satinkopftuch - sie sehen ein bisschen aus wie die Models moderner türkischer Tesettür-Mode. Die Mädchen laden auch das Lieschen und mich ein, runter zu kommen, aber wir haben noch etwas zu tun. Etwas später gehen wir dann noch mal gucken.

Kuchen mit Salat

Von weitem schon sehe ich, in welchem Zimmer sie sind - das mit dem Berg an Pantoffeln vor der Zimmertür. Als ich an der Schwelle stehe, sitzen dort mehr als ein Dutzend Mädchen, der Vorsitzende des Vereins, seine Frau und Töchter um eine riesiges Tischtuch, das auf dem Boden ausgebreitet wurde. Wir werden freudig begrüßt, kriegen zwei Plätze zugewiesen, Kissen zugeschoben, Tee und einen Teller mit kizir und kazandibi serviert. Mir fällt ein, wie verdutzt ich damals gewesen bin, als ich zum ersten Mal bei türkischen Bekannten Zitronenkuchen und Hackfleischtaschen auf ein- und demselben Teller serviert bekommen habe...

Deutsch, Türkisch, Englisch

Der Vorsitzende erklärt gleich, dass jetzt bitte nur noch Deutsch gesprochen wird. "Aber sie versteht uns doch", werfen gleich ein, zwei Mädchen lachend ein. Dann werden des Lieschens Deutsch- und Englischkenntnisse getestet und der Vorsitzende erzählt lachend, wie die Mädchen, weil sie im Wohnheim meistens nur Türkisch sprechen und ihre Deutschkenntnisse darunter leiden, einmal, vor einiger Zeit, bestimmt hatten, dass ab sofort nur noch Deutsch im Heim gesprochen werden dürfte. Eine Woche hätten sie das ausgehalten, sagt jemand; und dann jemand anderes: "In der Woche war es sehr still im Wohnheim", und alle lachen.

Türkisch nur auf dem Flur

Dann hätten sie sich überlegt, dass in den Gemeinschaftsräumen Türkisch ok sein sollte, in den Zimmern aber nur Deutsch gesprochen werden sollte. "Das sah dann so aus", erklärt der Vorsitzende und kann ein Lachen nur schwer unterdrücken, "dass man sich im Zimmer unterhalten hat, und wenn man auf schwierige Themen gekommen ist, raus in den Flur oder die Küche gegangen ist". Wieder lachen alle. Kaum eines der Mädchen hier ist zufrieden mit seinen Deutschkenntnissen, dabei sprechen bis auf die beiden Neuankömmlinge aus der Türkei alle Mädchen hier im Raum die Sprache fließend - und gut genug, um im Studium Fachliteratur zu wälzen.

Ausflug ins Skigebiet

Später erzählt eines der Mädchen von dem Wochenende, das sie kürzlich im Skigebiet verbracht hat. Mehr im Schnee gelegen als wirklich gefahren wäre sie, meint sie lachend, sie sei noch Anfängerin. Und dann verhandeln die Mädchen mit dem Vorsitzenden plötzlich, ob der Verein nicht auch bald einen Ausflug zum Skifahren organisieren könnte, vielleicht im März irgendwann? Kosten werden berechnet und geschaut, wer überhaupt Ski fahren kann oder Lust hätte, es zu lernen.

Mit wehendem Kopftuch

Ich muss daran denken, wie Esme, die auch hier mit uns in der Runde sitzt, und die ich auf der Straße noch nie ohne ihren langen Mantel und das Kopftuch gesehen habe, mir letztens erzählt hat, dass sie als junges Mädchen begeisterte Fußballspielerin war - in Mantel und Kopftuch zusammen mit den Jungs in ihrer Gasse. Noch heute macht sie, wenn ihr Studium und Arbeit Zeit lassen, gerne Sport. Badminton war sie letztens spielen, wobei mir ein Rätsel ist, wie sie das mit dem Mantel hinbekommen hat, und Eislaufen stand auch letztens auf der Liste.

Werd sie vermissen

Es sieht so aus, als hätten sich die Mädchen und der Vorsitzende geeinigt. Das Thema wechselt vom bevorstehenden Ausflug zu irgend etwas anderem, die Diskussion in der großen Runde verläuft sich und viele einzelne Gespräche entstehen. Ich schaue zu Saliha, die neben mir sitzt, in ihrem akkurat gebundenen Kopftuch, von H&M hat sie das und es sieht super aus zu ihrer hellen Haut, jetzt lächelt sie und ich denke daran, wie sehr ich diese Mädchen vermissen werde.

Freitag, 17. Februar 2012

Kuebra spricht

Ein Interview mit Kuebra Guemuesay ueber ihre Motivation, zu bloggen; verschiedene "Parallelgesellschaften" innerhalb Deutschlands; Muslimsein in Deutschland und Grossbritannien; das Konzept "Integration" und wie es waere, mal nicht ueber das Kopftuch zu sprechen ... findet sich auf der Webseite des Goethe-Instituts.

Donnerstag, 16. Februar 2012

Zurueck in den Job

Wie das ist, wenn Mama nach der Kind(er)pause wieder anfaengt zu arbeiten und wie es sein koennte, erklaert der Muenchner Soziologe Carsten Wippermann in diesem Interview auf heute.de.

Mittwoch, 15. Februar 2012

Ismete

Oder: Zwischen Wien, Zagreb und Mazedonien

Ismete
lebt seit anderthalb Jahren in Wien. Dass sie aus Mazedonien kommt, darauf muss man erst mal kommen. Mit ihrem typisch türkisch gebundenen Kopftuch könnte man sie ohne Weiteres für eine Anatolierin halten.

Studentin der Islamischen Theologie

In Wien studiert sie Islamische Theologie, macht hier einen Master. Den ersten Abschluss hat sie im Kosovo erlangt. Mit dem Studium in Österreich ist sie nicht so richtig zufrieden. "Es geht nur um Kritik am Islam", sagt sie rollt genervt mit den Augen. "In Bezug auf theologische Fragen habe ich in den letzten anderthalb Jahren hier an der Uni nichts gelernt. Warum heißt es dann Islamische Theologie und nicht Kritische Islamwissenschaften - oder so?"

Zwischen Wien, Zagreb und Mazedonien

Ismete ist Ende Zwanzig und verheiratet. Ihr Mann kommt wie sie aus Mazedonien. Er studiert in Kroatien, bereitet sich dort auf seine Promotion vor. In welchem Fach habe ich sie nie gefragt. Sie pendelt zwischen Wien und Zagreb, jetzt in den Ferien ist sie wieder bei ihm.

Mehrsprachig

Neben Deutsch, was sie fließend spricht, beherrscht sie Albanisch und Mazedonisch - was für eine Angehörige der albanischen Minderheit in Mazedonien nichts außergewöhnliches ist. Außerdem ist ihr Türkisch perfekt, sie hat die Sprache in Mazedonien gelernt und im Wiener muslimischen Mädchenwohnheim perfektioniert. Link
Zukunftspläne: Deutschland...

Ihre Masterarbeit plant sie, zur Behandlung des interreligiösen Dialogs in islamischen Schulen in Österreich und Mazedonien zu schreiben. Was danach kommen soll? Vielleicht eine Promotion. Aber nicht in Österreich. Viel lieber will sie dafür nach Deutschland - "dort ist man im Bereich Islamische Theologie schon viel weiter als in Österreich. Wir haben hier in Wien einen Professor in dem Fachbereich..." Immer wieder bekomme ich mit, dass sie gerade wieder an einem Konferenzbeitrag arbeitet.

...oder doch UK? Und Kinder!

Auch ein Promotionsstudium in Großbritannien könnte sie sich vorstellen. Sie überlegt schon, demnächst bald einen Englischkurs zu machen, um ihr Englisch (das jetzt schon gut ist) auf Vordermann zu bringen. Kinder will sie auch mal - später irgendwann.

Was gesehen

Beim Tee erinnert sie sich an die Reise, zu der sie als community leader aus dem multiethnischen Mazedonien vor einigen Jahren von der US-Regierung zu einer Rundreise durch Amerika eingeladen wurde. Sie zählt die Städte auf, die sie im Zuge dieser Reise gesehen hat. "Mein Mann hat in Nordamerika studiert, aber er sagt selbst immer, dass ich definitiv mehr von den USA gesehen habe als er", sagt sie, lacht, und nimmt noch einen Schluck Tee.

Mittwoch, 8. Februar 2012

Homs saigne*

In der Nacht von Freitag auf Samstag ging es los. Was da gerade im Gange war, hätte ich nie mitbekommen, wenn ich nicht zufällig noch zu ziemlich unchristlicher Zeit auf gewesen wäre. Plötzlich mehrten sich die Nachrichten von den Freunden, die einen direkten Syrien-Bezug haben. Wie Noora aus London, die Mutter Irin, der Vater Syrer. Oder Rania aus dem Libanon, die seit anderthalb Jahren in London studierte und Familie in Syrien hat - ein Cousin, Mitte Zwanzig erst, ein hübscher Junge, gerade fertig mit dem Studium, wurde vor einigen Monaten im Auto in Syrien ermordet, bis heute ist nicht bekannt, von wem. Und von Assia, der Schwester von Ilyas in Frankreich, der, ich wusste, seit Monaten die Kämpfe, niedergeschlagenen Aufstände, die unglaubliche Gewalt in Syrien verfolgte.

Assia, Ilyas' Schwester

Assia ist wie ihr Bruder Ilyas im Norden Frankreichs groß geworden, wie ihr Bruder hat sie jeden Sommer ihre Ferien in der Heimat ihrer Eltern verbracht; jeden Sommer gab es neue Fotos zu sehen: Assia im Vorhof einer Moschee, auf dem Bazar, in Damaskus, Aleppo, und wenn sie mal ein Jahr nicht fahren konnte, war die Enttäuschung aus ihren Zeilen zu lesen. Ihren Mann hat Assia an der Uni kennen gelernt, er war im gleichen Jahr wie sie, sie haben letztes Jahr geheiratet, darauf folgten ihr Diplom und die Zulassung zum Promotionsstudium. Keine Frage, Assia ist genauso zielstrebig und entschlossen wie ihr Bruder - und das trotz ihrer Jugend, gerade mal Anfang Zwanzig ist sie.

Von Stunde zu Stunde schlimmer

Dass in Homs sich diese Nacht etwas Schreckliches anbahnte, hätte ich nicht erfahren, wäre ich diese Nacht nicht noch lange wach geblieben. Doch plötzlich häuften sich die Nachrichten von Noora, Rania, Ilyas, und plötzlich schrieb auch Assia. Die Verzweiflung in ihren Zeilen wurde von Stunde zu Stunde größer. Ich war nicht da, war nicht bei ihr, aber ich konnte sie förmlich fühlen, ihre Verzweiflung, ihre Angst, ihren Schmerz. Im deutschen Teil des Netzes fanden sich keine Hinweise darauf, was gerade in Homs geschah, kein Wunder, es war ja mitten in der Nacht, aber Al Jazeera berichtete, stellte erste Videomitschnitte ins Netz. Das müssen die Bilder gewesen sein, vor denen jetzt gerade auch Assia saß.

"Homs saigne, Homs saigne"

Dass Assias Familie aus Homs kommt, hätte ich nicht erfahren, wäre ich diese Nacht nicht noch lange wach geblieben. Ich will mir nicht vorstellen, wie es gewesen sein muss, Bilder des Hauses ihrer Familie unter Beschuss zu sehen, des Hauses, in dem sie ihre Tante, ihren Onkel weiß; Bilder der Stadt, in der sie jeden Sommer verbrachte; der Stadt, die jetzt, wie sie schrieb blutete, ihre Kinder verlor. Homs saigne, Homs saigne, es waren nur geschriebene Worte, aber ich konnte die Verzweiflung hören.

Da saß sie nun in Paris

Da saß sie nun in Paris, in ihrer Wohnung, vor dem Fernseher, sah wie ihre Stadt, die Stadt, die ihr so viel bedeutete, in der sie ihre Familie, ihre Freunde wusste, im Chaos versank. Wurde fast verrückt bei dem Gedanken, nichts tun zu können. Wünschte diese Stadt und die Menschen, die dort lebten, nicht zu kennen, weil sie ahnte, dass der Schmerz dann zumindest etwas weniger groß wäre. Fühlte sich hilflos, so machtlos angesichts der Gewalt, der sie nichts entgegen zu setzen hatte. Jubelte über die Geste der neuen tunesischen Regierung, den syrischen Botschafter auszuweisen, war fassungslos angesichts der ausbleibenden Reaktion der Arabischen Liga, der UN, oder wer-könnte-sonst-noch-was-tun. Wünschte sich eine externe Intervention und hatte Angst davor, weil sie noch mehr Tote bedeutet hätte und vielleicht eine weitere Eskalation. Saß vor dem Fernseher bis spät in die Nacht, schickte Nachrichten in die Welt. Und weinte, weinte um Homs' Kinder.

* Frz.: Homs blutet

Freitag, 3. Februar 2012

Lieselotte und die Homeschooler

Oder: ein paar Gedanken zu einem kontroversen Thema

Aus irgend welchen Gründen stolpere ich in den letzten Monaten immer wieder über dieses Wort: Homeschooling. Watt'n das? Kind wird nicht in die Schule geschickt, sondern zu Hause von Mama, Papa, Oma, Opa (...) unterrichtet. Verboten in Deutschland, weil hier Schul- und nicht nur Unterrichtspflicht herrscht, aber durchaus gang und gäbe in anderen Ländern dieser schönen Erde - zum Beispiel in Großbritannien oder, Paradebeispiel, den USA.

Olivia (UK), Helga (Deutschland)

Olivia, Britin polnischer Herkunft, zum Islam konvertiert, der Mann aus irgend einem arabischen Land, Sohn ein Jahr jünger als das Lieschen, will (muss, das Kind hat massenweise Allergien, weswegen kein Kindergarten ihn aufnimmt) in jedem Fall vier Jahre mit Sohn zu Hause bleiben - und ihn danach am liebsten selbst unterrichten. Helga, Deutsche katholischen Glaubens, noch kein Kind (aber man wird ja wohl planen dürfen) denkt auch darüber nach.

Nicht für mich

Ich verstehe das nicht. Davon abgesehen, dass ich komplett am Rad drehen würde (ja, es geht noch schlimmer...), müsste ich den ganzen Tag mit dem Lieschen zu Hause bleiben - und ich eigentlich etwas anderes mit meinem Leben vorhatte als Lehrerin zu sein (nicht, dass an dem Beruf irgend etwas auszusetzen wäre, aber ich habe einfach andere Präferenzen) - sind es zwei weitere Punkte, die mich bei dieser Begeisterung für das Thema Homeschooling zum Nachdenken bringen.

Wirklich so schlimm?

Erstens wundert mich das Misstrauen gegenüber den Schulen. Es mag viele Probleme geben, aber ob es (vor allem in Deutschland) so schlimm ist, dass man den Job gleich schon selbst übernehmen muss...? Ich war nicht auf einer weiterführenden Schule mit sehr gutem Ruf (und das ist euphemistisch ausgedrückt), aber mir fallen spontan vier Lehrer ein, die exzellenten Unterricht angeboten haben - in den letzten Jahren eindeutig schon auf Universitätsniveau. An anderen Punkten mag es gehapert haben, aber es gab für die, die sich interessiert haben, immer auch Zusatzangebote in Form von Arbeitsgemeinschaften, Wettbewerben und so weiter. Darüber hinaus würde es mich wundern, wenn diese Kinder, deren Eltern sich so sehr um ihre Ausbildung sorgen, nicht auch zu Hause und außerhalb der Schule eine ganze Reihe an Bildungsangeboten gemacht bekämen. Macht da eine nur mittelmäßige Schule wirklich so viel aus? Und: Kann ein Kind idealerweise nicht auch an eher schwierigen Bedingungen in der Schule wachsen?

"Wisst ihr wirklich, was da auf euch zukäme?"

Zweitens glaube ich bei einigen der Homeschool-Interessierten in meinem Umfeld eine gewisse Naivität zu sehen, und zwar eine zweigefächerte. Zum einen denke ich, dass manche den Job des Lehrers schlicht unterschätzen. Ich habe selbst lange unterrichtet, und es ist keineswegs so, dass man sich einfach vor die Klasse (oder in diesem Falle: das Kind) stellt und einfach mal loslegt. Es gibt Gründe, warum Lehrer zum Lehrerwerden studieren müssen. Das kann nicht jeder daher gelaufene Schluffi. Ich muss nur sehen, wie das Lieschen plärrt und schreit, wenn es darum geht, sich von Mama die Zähne putzen zu lassen / das Puzzle jetzt wegzuräumen / den Schlafanzug zu holen und dann auch anzuziehen ... und wenn dann Papa / Oma / Freundin vorbei geschlendert kommt und nach genau dem gleichen verlangt, klappt das wunderbar. Will ich wirklich die Beziehung zu meinem Kind dahin gehend verkomplizieren, dass ich noch die formale Dimension Lehrer - Schüler hinzufüge?

"Ihr habt nicht alles in der Hand"

Das war die eine Seite der Naivität, die ich bei einigen meiner Bekannten, die Homeschooling dolle finden, bisweilen zu sehen glaube und die ich gerne mal fragen würde: Wisst ihr wirklich, was da auf euch zukäme? Die zweite Seite lässt sich ebenfalls in einem Satz zusammenfassen (ihr habt nicht alles in der Hand) und richtet sich an die Homeschooler, die meinen, ihr Kind zu Hause unterrichten zu müssen, um es dem (vermeintlich oder tatsächlich, das sei dahin gestellt) schlechten Einfluss der Lehrer, die nie die wahre Lehre, sondern ein verzerrtes Bild vom Islam, dem Christentum oder ich-weiß-nicht-was vermitteln würden. Dass man als Eltern entscheiden will, wie dem Kind die eigene Philosophie und Lebensweise beigebracht wird, ist verständlich.

Keiner erzieht ein Kind alleine

Aber es ist naiv, zu glauben, dass man sein Kind abschirmen könnte. Das wird nichts. Ich bin in der Zwischenzeit ziemlich davon überzeugt, dass der größte Einfluss vom Elternhaus ausgeht. Schule und Kindergarten können vielleicht ein kleines bisschen was ausbügeln, aber so stark, dass sie ein Kind, um das sich zu Hause richtig gekümmert wird, völlig zu verhunzen - so stark sind unsere Schulen und Kindergärten nicht. Gleichzeitig erzieht keiner sein Kind alleine. Man kann Grundlagen legen, aber was draus wird - das weiß man nicht, zu viele Einflüsse gibt es aus zu vielen Richtungen; zu viele Faktoren, die zu bestimmen wir nicht im Stande sind. Dann homeschoole es halt, dein Kind. Aber eine Garantie, dass dann alles gut (so wie du es dir vorstellst) wird, hast du damit auch nicht. Kann immer noch ein gelegentlich
drogenkonsumierendes, freieliebepraktizierendes, vonfreimaurerideologieinspiriertes, billigepopmusikliebendes, ziemlichungebildetetes (na, stehen euch schon die Haare zu Berge?) rotzfreches Gör draus werden. Tja.

Kritisch hinterfragter Glaube

Drei Gedanken. Und ein letzter, an die Religiösen: Kann es ein Kind nicht auch stärker in seinem Glauben (und Praxis) machen, wenn es in der Schule durch andersdenkende Lehrer herausgefordert wird? Sofern zu Hause eine solide Grundlage gelegt wurde, kann die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden doch einen überaus positiven Effekt haben: Kein Glaube ist so stark wie ein durch und durch durchdachter Glaube, ein kritisch hinterfragter Glaube, einer der sich reiben und auseinandersetzen musste. Ich konnte nie die Cousine meines Mannes verstehen, die ihre Kinder partout im Middle East statt in den USA großziehen wollte: Dort, in der muslimischen Mehrheitsgesellschaft wären sie Muslime aus Gewohnheit geworden. In den USA, wo sie als Minderheit leben, werden sie vielleicht - inshaallah - Muslime aus Überzeugung. Ich weiß es nicht, wie es euch geht, aber ich würde die zweite Variante eindeutig bevorzugen.

Zweifel

Having said all this, könnt ihr natürlich alle machen, was ihr wollt. Sind eure Kinder, ist euer Leben, bitteschön. Aber ob das wirklich so laufen würde mit dem Homeschooling, wie ihr es euch vielleicht vorstellt - ich wage, es zu bezweifeln.

Donnerstag, 2. Februar 2012

Immer diese Auslaender!

Oder: ein bisschen Fremdenfeindlichkeit am Abend

Wien, Westbahnhof, irgendwann im Dezember. Vollbepackt, mit Buggy, Lieschen und mehreren Taschen laufe ich durch den Bahnhof. Es ist voll, und wie so oft in Mitten einer Menschenmasse laufen mir immer wieder Leute vor den Buggy. Wenn ich dann nicht schnell genug ausweiche, bemerken sie erst, wenn sie ueber die Raeder stolpern, dass dort ein Buggy faehrt. Das ist teilweise wirklich unangenehm, weil die wenigsten sich bewusst zu sein scheinen, dass nicht ich ihnen in die Hacken gefahren bin, sondern sie mir so vor die Raeder gelaufen sind, dass ich keine Chance auszuweichen hatte. (Bremsen alleine bringt nichts - fallen sie trotzdem drueber. Alles schon erprobt!).

Kollision knapp verhindert

So kommt es also auch diesmal wieder - fast - zu einer Kollision. Ich schaffe es gerade noch, mit dem Buggy entgegen zu lenken, aber die Ecke meines Rades beruehrt fuer den Bruchteil einer Sekunde das auesserte Ende der Turnschuhsohle eines jungen Mannes, der mit einem Freund im Bahnhof unterwegs ist. Ich weiss, dass ist hier nicht ueblich, aber ich murmele ein "Entschuldigung" und laufe weiter, bin mir gar nicht sicher, ob die beiden ueberhaupt mitbekommen haben, dass der Zusammenstoss nur knapp verhindert wurde.

Ich bin (keine) Auslaenderin

Haben sie. Als naechstes hoere ich naemlich ein deutliches: "Immer diese Auslaender!" von einem der beiden jungen Maenner. Ich bin so baff, dass ich einen Moment brauche, um zu fassen, was mir da gerade entgegen geschleudert wurde. Noch einen Moment brauche ich, um zu verstehen, dass die Antwort, die mir auf der Zunge liegt ("Ich bin keine Auslaenderin!!!") hier nicht passt. Remember, in Wien sind wir, Wien, Oesterreich. So ein Mist aber auch.

Ohne Widerspruch

Bis ich auf eine weitere passende Antwort gekommen bin oder mir ueberlegt habe, ob ich doch den ersten Spruch bringen soll und darauf hoffen soll, dass die beiden a) mir abnehmen, ich sei mit perfekt deutsch-deutschem Akzent sprechende Oesterreicherin (als Oesterreicherin Jahre in Berlin gelebt und soweit integriert, dass gleich schon den deutschen Sprachklang angenommen - kann doch sein?!) oder b) meine neu angenommene oesterreichische Identitaet zumindest nicht offen in Frage stellen, sind die beiden schon weg. Und ich aergere mich noch den Rest des Tages ueber zwei Idioten und dass sie mit ihrem doofen Spruch ohne Widerspruch weggekommen sind.

Mittwoch, 1. Februar 2012

Mal was zu Albanien

Nachrichten aus Albanien schaffen es nur ganz selten bis nach Westeuropa. Naechsten Dienstag - am 7. Februar - gibt es in Berlin die Moeglichkeit, sich einen Eindruck ueber die Situation im Lande zu verschaffen: Die Konrad-Adenauer-Stiftung laedt die albanische Parlamentspraesidentin Jozefina Çoba Topalli zu einem Gespraech ueber den politischen Reformprozess ein. Dass das Land auf dem "Weg nach Europa" sei, wie der Veranstaltungstitel suggeriert, ist natuerlich Unsinn (wo denn, wenn nicht in Europa ist Albanien heute?), aber das ist vielleicht Rosinenpickerei. Details zum wer, wo, wann finden sich auf der Webseite der Konrad-Adenauer-Stiftung.