Freitag, 31. Mai 2013

Zu Besuch bei Freunden


Geschichten von Heimat und neuer Welt, 
vom Anderssein und Ankommen

Lange nicht gesehen
 
Am Sonntag bin ich bei Hüma eingeladen. Wir haben zusammen Abitur gemacht, Hüma war damals nach der zehnten von der Realschule zu uns aufs Gymnasium gekommen. Es war nicht immer leicht für sie, aber sie war zielstrebig und hat sich durchgeboxt. Nach der Schule bin ich weg und sie hat in [unserer Stadt] Mathe und Sport auf Lehramt studiert, eine Zusatzausbildung in Reformpädagogik absolviert, Yasin kennen gelernt, sich verliebt, verlobt, verheiratet. Dann ist sie zu ihm nach [andere Stadt in Deutschland] gezogen, hat dort ihr Referendariat absolviert und begonnen, als Lehrerin zu arbeiten. Ich war nicht mehr in Deutschland, sie nicht mehr in [der Stadt, aus der wir kommen], wir haben uns nicht oft gesehen in den letzten Jahren.

Weißer Käse, Rührei, Mangosaft, Nutella

Als wir jetzt beide zur gleichen Zeit in [unserer Stadt] waren, war klar, wir müssen uns sehen. Bis wir uns erreicht haben, war es später Samstagabend, zwölf Stunden später standen das Lieschen und ich bei ihrer Familie auf der Matte. Ihre Mutter, ganz jung und sehr hübsch, öffnet uns die Tür, es werden alle begrüßt, das Lieschen bestaunt und Hümas Tochter, die erst einige Monate alt ist, bewundert. Es gibt kaum etwas besseres als ein türkisches Frühstück, und da sitzen wir dann zusammen im Esszimmer, Hümas Vater, ihre Mutter, Yasin, sie, das Lieschen, ich - das Baby wird rumgereicht. Weißer Käse, gelber Käse, Rohkost, Rühreier, Kartoffelsalat mit Sucuk, Tomaten-Mozzarella-Salat, Nutella für das Lieschen, in Scheiben geschnittene Orange und gestückelte Ananas für alle anderen, dazu Mangosaft und schwarzen Tee. So richtig Türkisch ist das zwar nicht, aber Hauptsache lecker.

Alte und neue Geschichten

Wir essen, lachen und erzählen von früher. Ich kenne quasi Hümas ganze Großfamilie, weil ich in einem Sommer vor vielen Jahren, als wir beide noch an der Uni waren, mal mit ihnen in den Urlaub in die Türkei mitgefahren sind. Und ein paar Jahre später, als ich in Frankreich studierte, und Yasin zufälligerweise auch gerade ein Auslandssemester in der gleichen französischen Stadt einlegte, kamen Hüma und ihre Mutter zu Besuch. Es gibt viele alte Geschichten, die wir uns wieder erzählen können. Und neue auch. Da ist das Lieschen, die kleine Tochter Hümas, mein Leben in London, und Hümas und Yasins bevorstehender Umzug.

Türkei - Deutschland - Harvard

Yasin hat eine Projektstelle in Harvard angeboten bekommen, im September geht er nach Boston, Hüma und die Kleine sollen bald nachkommen. Für ein Jahr, vielleicht auch zwei. Von seinen Eltern hat keiner studiert, auch Hüma ist die erste (und bis jetzt einzige) in ihrer Familie, die einen Uniabschluss gemacht hat. Ihr Vater hätte vielleicht auch gerne studiert, er musste aber damals in den Achtzigern die Türkei verlassen und kam zu seinem Vater, der schon in Deutschland arbeitete. Hümas Vater brachte seine Frau mit. Sie war sechzehn als Hümas Bruder Erol geboren wurde, ein Jahr später kam Hüma auf die Welt. Wie es für sie damals gewesen sein muss, alleine mit ihrem Mann und seinem Vater in dem fremden Land, schwanger, und dann mit zwei kleinen Kindern?

Sie haben sich durchgekämpft

Sie hat sich durchgekämpft, das haben sie beide gemacht. Deutsch gelernt, sie hat den Realschulabschluss nachgeholt, einen Job in einer Bank bekommen, sich hochgearbeitet. Früher hat sie Kopftuch getragen, das hat sie irgendwann abgelegt, aber religiös ist sie noch immer. Hümas Großvater ist irgendwann wieder in die Türkei zurückgegangen. Mit Deutschland ist er nie warm geworden, er kam nie wieder zu Besuch. Ich habe ihn kennen gelernt, bei Hümas und meiner Reise in die Türkei, er wohnte in einem kleinen Haus am Rand einer riesen Plantage, die er bewirtschaftete. Von Kopftuch und Co. hielt er nicht viel, aber wir haben uns verstanden. Auf der Plantage, wo er sich wohler fühlte als zu Hause, da ist er auch gestorben, vor einigen Jahren.

Kind in der einen Hand, Ipad in der anderen


Nach dem Frühstück sitzen wir zusammen im Wohnzimmer, Hümas Kleine wird rumgereicht, das Lieschen von Hümas Vater gekitztelt, bis es schreit; es werden Geschenke ausgetauscht; Yasin steht in einer Ecke des Wohnzimmers, seine Tochter auf dem einen Arm, den Ipad im anderen. Etwas später kommen auch Hümas Bruder Erol, seine Frau Nur, ihr Sohn und Nurs Mutter vorbei. Erols Sohn ist blond und als ich ihn sehe, zum ersten Mal, kann ich mir nicht verkneifen, zu sagen, dass sie es da mit der Integration aber genau genommen hätten, ein blondes Kind, ein kleiner blonder Türke, schwarz wäre doch auch ok gewesen, Erol! Dabei ist Nur blond, und ihre Mutter auch.

Irokesenschnitt, Gesichtsschleier, Zweitfrau, Homoehe

Erol kenne ich auch schon seit über zehn Jahren, vor zwei oder drei Jahren hat er geheiratet. Jetzt ist der Kleine fast ein Jahr und nach fast zwölf Monaten Elternzeit ist Erol kurz davor, wieder in den Beruf einzusteigen. Irgendwas mit Autos arbeitet er, Automechaniker oder Pkw-Händler. Als wir zusammen auf dem schicken schwarzen Sofa sitzen (Hümas Mutter hatte schon immer einen exquisiten Geschmack, sie ist weiter nicht aufgefallen, damals in Paris!), stellt Hümas Vater mir die unvermeintliche Frage, wo es mir denn besser gefalle, in London oder [hier in unserer Stadt in Deutschland]. Ich beginne zu erzählen, und eines der Argumente, das in meinen Augen für London spricht, ist die Toleranz: Egal, wie du aussieht und was du machst, London kann deine Stadt werden, es gibt da einen Platz für dich und du kannst dir sicher sein, nicht weiter aufzufallen. Rosa Irokesenschnitt, schwarzer Gesichtsschleier, Zweitfrau, Homoehe - gibt's alles schon, mindestens einmal, wahrscheinlich noch öfter.

Lieber kein Piercing am Arbeitsplatz

Hümas Vater nickt zustimmend und meint, dass das etwas sei, was ihm hier auch immer wieder auffalle und ihn störe. Die Intoleranz. Die Weigerung, das Andere als gleichwertig oder zumindest gleichberechtigt anzusehen. Er erzählt von einer Begebenheit auf seiner Arbeit, wo eine neue Kollegin, die mehrere Ohrringe getragen habe, das ganze Ohr hoch, angefangen habe. Der Chef, der zufällig hereingekommen sei, habe sie groß angesehen, sei aber ohne ein Wort zu verlieren, wieder gegangen - und etwas später hätte die Frau des Chefs ihn angerufen. Ob die neue Mitarbeiterin Piercings trage? Er bestätigte und fragte sich, was der Aufruhr solle. Am nächsten Tag war die neue Kollegin weg. Und das obwohl sie die Ohrringe auch während des vor Arbeitsbeginn abgehaltenen Vorstellungsgesprächs getragen hatte.

Ein bisschen mehr Gelassenheit

"Ja, haben die das beim ersten Mal nicht gesehen? Dachten die, sie zieht sie für die Arbeit aus? Das hab ich nicht verstanden", meint Hümas Vater. Ich erzähle ihm von dem Mann mit gefärbten Irokesenschnitt, den ich in Transport-for-London-Uniform in England in der tube arbeiten gesehen habe. Wen hat's gestört? Wir schütteln beide den Kopf. Von so einer Art Toleranz, Gelassenheit, Souveränität könnte auch Deutschland etwas vertragen, da sind wir uns einig. Dann würde ich hier auch lieber leben als in London.

Ob ihr Englisch reichen wird?

Als Hüma, Yasin und das Baby sich schließlich mehrmals von allen verabschiedet haben, wir ihnen zu siebt gewinkt haben, bietet Erol an, das Lieschen und mich nach Hause zu fahren. Ich lehne zwar ab, aber er besteht darauf und fährt uns. Auf der Fahrt unterhalten wir uns, über London, hier, Amerika. Hüma war noch nie in den Staaten und ein bisschen mulmig ist ihr schon. Ob ihr Englisch reichen wird? Sie hat mal zwei Monate in Bristol einen Sprachkurs gemacht, und irgendwo ist auch noch das Schulenglisch - aber ob ihr das reichen wird?

Damals - und heute

Erol und ich sind uns einig, dass Hüma keine großen Schwierigkeiten haben wird. Sie spricht die Sprache, und auch, wenn sie am Anfang eine Barriere wird überwinden müssen, wird sie doch bestimmt ganz schnell richtig gut werden auf Englisch; außerdem hat sie über ihren Mann Anschluss an die Uni und eine kunterbunte internationale Gruppe von anderen Unimitarbeitern und deren Familien. Mutterkindgruppen, Babymassage und Kleinkindschwimmen gibt es in Boston wie in [der Stadt, in der sie zurzeit in Deutschland lebt] und man lernt doch kaum so schnell Leute kennen wie über ein Kind. "Mensch", sage ich zu Erol, "guck mal, wie eure Eltern damals nach Deutschland gekommen sind, und wie Hüma und Yasin jetzt in die USA gehen."

Vier Generationen einer Familie

Und wieder einmal denke ich, dass das etwas ist, über das wir in all diesen Inte- und Migrationsdebatten viel zu selten sprechen: was viele derer, die zur ersten Generation der Neuhinzugekommenen gehören erreicht haben, wie schwer sie es hatten und wie sehr sie gekämpft haben, dass die, die danach kamen, es leichter hatten. Hümas Großvater kam damals hierher, hat sich kaputt gearbeitet und ist weg, sobald er es konnte. Hümas Eltern kamen nach, haben den größten Teil ihres Lebens hier verbracht, viel geopfert und es schwer gehabt, aber auch etwas erreicht, auf das sie stolz sein können, dass sie zu Hause nicht gehabt hätten. Zurück gehen würden sie nicht, sie sind nicht von hier - aber gehören hierher. Hüma und ihr Bruder, hier geboren, sind wie die von hier. Wie die hier und außerdem noch ein bisschen anders. Und Hümas Tochter? Hier geboren, wie die hier und außerdem noch ein bisschen anders. Und wenn sie erst in die USA gehen noch ein bisschen anders.

Wer weiß

"Manchmal mach ich mir Sorgen, dass wenn sie einmal dort sind, es ihnen so gut gefällt, dass sie nicht wiederkommen", sagt Hümas Mutter, "so wie du in London". Ich sage "nein" und "das glaube ich nicht" und "es ist ja nur für zwei Jahre" - aber wer weiß das schon. Wer weiß das schon...

Donnerstag, 30. Mai 2013

Gegenöffentlichkeiten

Stine Eckert, Doktorandin am Philip Merrill College of Journalism der University of Maryland, spricht auf der re:publica 2013 über deutsche Muslime, die bloggen. (Jepp, und auch die Lieselotte wurde für die Studie interviewt.)


Mittwoch, 29. Mai 2013

Menschen können hier nicht trösten

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Gürsün Ince (27)
Hülya Genç (9)
Saime Genç (4)
Hatice Genç (18) 
Gülüstan Öztürk (12)
"Ich trage eben keinen Hass in mir. Wenn man es genau nimmt, hasse ich genau vier Menschen auf dieser Welt. Nämlich die vier, die mein Haus angezündet haben. Alle anderen Menschen verdienen Respekt und Liebe. Und die bekommen sie von mir. Es sind doch nicht alle Deutschen schlecht, weil vier von ihnen mein Haus und mein Leben verbrennen. Nein, wir müssen respektvoll miteinander umgehen, sonst macht das doch alles keinen Sinn." 

Mevlüde Genç,
Mutter von Gürsün und Hatice,
Großmutter von Hülya und Saime,
Tante von Gülüstan

Montag, 27. Mai 2013

Frauen-Treffen

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Sechs Frauen, zwei Kinder, Minztee und Kuchen

Muslime und Hipster und Ganznormale

Es ist Frühling in Deutschland, und weil ich gerade in town bin, fragt Victoria, ob ich auch mitkommen will. Zum Frauen-Treff. Muslimischen Frauen-Treff. Man trifft sich alle ein bis zwei Monate, diesmal in einem Café, in dem Hipster und Ganznormale an kleinen Tischchen, die sich auf dem Bordstein drängen, marokkanischen Minztee, Mangosaft und Mokka aus der Türkei schlürfen. Kleine türkische Gebäckteile gibt es auch und Bio-Eis. Das findet das Lieschen gut, und auch, dass sie nicht das einzige Kind ist, weil Victoria ihre Tochter Lina auch mitgebracht hat. 

Alle anderen sind zu spät. - Typisch Muslime.

Um fünf war das Treffen angesetzt, als das Lieschen und ich eintreffen, sitzt nur Victoria mit ihrem Mann und der Kleinen dort. Alle anderen sind zu spät. Typisch Muslime. Der Besitzer des Cafés kennt die anderen schon. Er ist selbst (praktizierender) Muslim und zuckt mit keiner Wimper, als schließlich eine junge betuchte Frau nach der anderen aufläuft. Victorias Mann verabschiedet sich, und wir sind unter uns. Da ist Victoria, sie ist seit über zehn Jahren Muslimin, hat in Deutschland auf Lehramt studiert, in Großbritannien noch einen Master in Islamischer Pädagogik draufgesetzt und steht jetzt kurz vor dem Referendariat. Wenn sie, als Kopftuchträgerin, eine Referendariatsstelle an einer staatlichen Schule finden würde.

Lehrerin, Juristin, Sozialarbeiterin

Ihre Tochter Lina ist ungefähr so alt wie das Lieschen. Victoria, ihr Mann und die Kleine haben in den letzten Jahren in Frankreich gelebt und sind erst seit Kurzem wieder zurück in Deutschland. Jessy ist auch so alt wie wir - oder vielleicht etwas jünger? Sie hat drei Kinder, ich glaube der älteste ist zehn, die Jüngste noch im Kindergartenalter. Sie ist auch schon lange Muslimin. Von ihrem Mann hat sie sich getrennt und lebt seitdem mit den drei Kleinen alleine. Sie studiert, irgendwas im sozialen Bereich. Heute sind die Kinder bei einem Babysitter. "Alle drei mitzubringen", sagt sie, "nee, das wär mir zu viel gewesen". Dann ist da Maysaa. Sie hat Jura studiert, bis zum ersten Staatsexamen und promoviert jetzt.

Erste kopftuchtragende Muslimin am Lehrstuhl

Als sie damals anfing, war sie die erste kopftuchtragende Muslimin an ihrem Lehrstuhl. Als Wissenschaftliche Mitarbeiterin eingestellt wurde sie trotzdem, in der Zwischenzeit gibt es an der Uni noch ein paar mehr. Nicht viele, aber mehr als damals. Maysaa hat sich auf Verfassungsrecht spezialisiert, und als Victoria von ihren Schwierigkeiten, eine Referendariatsstelle zu bekommen, erzählt, schüttelt Maysaa nur den Kopf, durch ihre Arbeit bekomme sie solche Fälle immer wieder mit: "Es ist ein Trauerspiel." Nummer fünf am Tisch ist Iman, die gerade ihr Abitur am Abendgymnasium erlangt hat und jetzt an der FH BWL studiert. Als sie von Victorias Berichten mitbekommt, erzählt sie auch gleich, dass sie ihre vorherige Schule unter anderem deshalb verlassen hat, weil sie dort von einem Lehrer ständig wegen ihres Kopftuchs vor versammelter Klasse bloßgestellt worden sei. 

"Wenn er mir jetzt endlich mal einen Heiratsantrag macht...!"

Schließlich sei die gesamte Klasse an eine neue Schule gewechselt, wo die Situation besser gewesen sei. Abi hat sie geschafft und studiert jetzt. Und dann sitzt da noch Nuray, mit der ich mich jedoch nicht unterhalte, weil sie so weit weg von mir sitzt, dass ich kaum etwas von ihr mitbekomme. Dann erwähnt sie in ihrem Gespräch mit Jessy immer wieder [einen bestimmten Stadtteil hier in dieser Stadt], bis Jessy sie fragt: "Sag mal wohnst du jetzt in [besagtem Stadtteil]? Nuray verdreht die Augen, sagt: "Ja, wenn er mir jetzt endlich mal einen Heiratsantrag macht!" und fängt an zu lachen, Jessy fällt ein, und wir müssen das Lieschen und Lina zur Ruhe rufen, die meinen, es sei in Ordnung, in dem Café Fußball zu spielen.

Samstag, 25. Mai 2013

Hier hab ich mal gewohnt

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Aaaah, nichts geht über Multikulti!

Hier habe ich mal gewohnt. Es ist lange genug her, dass ich noch weiß, wie es früher war, aber kurz genug, dass ich, wenn ich die Einkaufsstraße im Viertel einmal hoch und runter laufe, mindestens ein bekanntes Gesicht erblicke. Und wenn es nur einer der Penner ist. Ja, manche der Obdachlosen sitzen immer noch hier auf der Straße, an ihren alten Plätzen, genau wie damals.

Türkisches Restaurant, deutsches Fischgeschäft, schlesischer Tante-Emma-Laden

Ich treffe mich mit meinen Eltern und einer Freundin von früher in einem türkischen Restaurant, das im hinteren Teil der Einkaufsstraße liegt. So was gab es früher nicht. Dönerbuden und Gemüsehändler - ja, aber ein richtiges türkisches Restaurant? Das erste hat vor fast fünfzehn Jahren aufgemacht. Heute gibt es auf der Straße noch ein zweites, außerdem eine türkische Spezialitätenkonditorei, die sich perfekt einreiht in das deutsche Fischgeschäft, den schlesischen Tante-Emma-Laden und das indische Hier-kriegt-man-alles-Geschäft.

Das Viertel hat sich verändert

Es hat sich verändert, das Viertel, das sehe ich immer wieder, wenn ich hierher komme. Es begann mit zwei große Warenhäuser, die schon vor längerem geschlossen haben. Die Gebäude standen lange leer, die Schaufenster zugenagelt, mit Postern und Plakaten verklebt, Unkraut, Graffiti, Hundeklo. Viele der kleinen Einzelhändler konnten sich nicht halten, an ihre Stelle trat der x-te Ein-Euro-Shop und Handy-Laden Nummer 489. Eine Zeit lange sah es schlecht aus für das Viertel. Aber es hat sich gefangen. Manche der kleinen Läden haben sich gehalten, es sind neue dazu gekommen.

London, Berlin - und hier

Der italienische Spezialitätenladen hat zugemacht, an seiner Stelle hat ein todschicker italienischer Eissalon aufgemacht - oder sind das die gleichen Betreiber, die nur ihre Businessstrategie geändert haben? Wie der italienische Laden sich so lange halten konnte, war mir sowieso schon immer ein Rätsel - monatelang standen da die gleichen verstaubten Panettone-Boxen im Schaufenster. Das Pommes-heiße-Hähnchen-Bistro, in dem wir schon als Kind Fritten gegessen haben, ist noch immer da. Der Araber, der vor ein paar Jahren aufgemacht hat und halal Fleisch verkauft hat, scheint sich nicht gehalten zu haben. Dafür glaube ich meinen Augen nicht trauen zu können, als ich ein Pommes-Hamburger-Bistro sehe, das laut Schaufensteraufschrift halal Burger zubereitet. Wow. So was kenne ich aus London und Berlin - hier gab es so was bisher nicht.

Indisch-deutscher Soul im türkischen Resto

Das türkische Resto, in dem wir schließlich essen, ist in alewitischer Hand. In den anderthalb Stunden, die wir dort zusammen sitzen, kommen nach und nach mehr Gäste, bis wirklich alle Tische belegt sind. Es sind junge Leute, viele Studenten, aber auch Familien mit kleinen Kindern, an einem Tisch sitzen zwei ältere türkische Männer. An den orange gestrichenen Wänden hängen Schwarz-Weiß-Fotografien von Menschen in der Türkei. Als Teil eines Kunstprojekts, das zurzeit im Viertel stattfindet, singt hier heute Abend eine junge deutsch-indische Frau, die lange Jahre in Schweden gelebt hat. Die Musik ist toll - irgendwas zwischen Soul, Deutsch-Pop und Elektro-Pop. 

Hier hab ich mal gewohnt

Hier habe ich mal gewohnt. Es ist lange genug her, dass ich noch weiß, wie es früher war, aber kurz genug, dass es immer noch vertraut ist.

Donnerstag, 23. Mai 2013

Frauen im 2. Weltkrieg: Deutschland, Polen, Weißrussland

Heute in Berlin!

""Displaced Women" ist ein Projekt von multicultural city und dem Polnischen Institut in Zusammenarbeit mit dem Maxim Gorki Theater Berlin. Die Aufführung basierend auf den Texten: "Anonyma. Eine Frau in Berlin", "Der Krieg hat kein weibliches Gesicht" von Swetlana Alexijewitsch und "Berlin. Erinnerungen polnischer Zwangsarbeiter aus der Hauptstadt des III Reiches in den Jahren 1939-1945". 

Frauen im Zweiten Weltkrieg: Eine weißrussische Frontsoldatin, die davon berichtet wie es sich in der Armee anfühlte, Aufgaben zu übernehmen, die typisch "männlich" waren und wie sie die Deutschen erfahren hat. Eine Deutsche, die die Eroberung Berlins durch die russischen Truppen erlebte und die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen durch russische Armeeangehörige thematisiert. Eine polnische Zwangsarbeiterin, die von ihrer Heimatstadt ?ód? nach Berlin deportiert worden ist und die Stadt und ihre Einwohner durch diese Perspektive sieht. 

Frauen, die auf verschiedenen Frontseiten standen, unterschiedliche Perspektiven auf das Geschehen hatten und von unterschiedlicher Propaganda geprägt worden sind. Überraschenderweise haben diese Berichte einiges gemeinsam: Sie brechen nach jahrzehntelangem Schweigen ein gesellschaftliches Tabuthema... 

Schauspielerinnen aus Deutschland, Polen und Weißrussland schlüpfen in verschiedene Rollen, mal sind sie Täter, mal Opfer, mal Sieger, mal Besiegte. Dies spiegelt zum einen verschiedene Entwicklungen des Krieges wieder zum anderen wird eine einzige absolute Wahrheit in Frage gestellt. 

Premiere am 23 Mai 2013 im Maxim Gorki Theater Berlin (Studio), 20:15 h 

Weitere Vorstellungen: 25.5.2013, 26.5.2013, Maxim Gorki Theater Berlin (Studio), 20:15 h 
31.05.2013, 19:30, Teatr Nowy in Pozna´n (scena nowa) 
1.06.2013, 2.06.2013, 19:00 Teatr Szwalnia, ?ód? 

In deutscher, polnischer und russischer Sprache (mit deutschen Untertiteln)."

Mittwoch, 22. Mai 2013

Veranstaltung: Jörg Lau zu Islamfeindlichkeit

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Islamfeindlichkeit in Deutschland und Europa

mit Jörg Lau, Journalist, "Die Zeit", 
Donnerstag, dem 23. Mai 2013 um 18 Uhr 
Schwarzkopf-Stiftung, Sophienstraße 28 - 29, 10178 Berlin 

"Islamfeindlichkeit wird seit einigen Jahren stärker, und das nicht nur in Deutschland. Proteste gegen den Bau von Moscheen gab und gibt es in zahlreichen Städten. In anderen europäischen Ländern haben rechtspopulistische Parteien mit islamfeindlichen Parolen beachtliche Wahlergebnisse erzielt. 

Der Journalist Jörg Lau von der Wochenzeitung "Die Zeit" ist einer der profiliertesten Beobachter und Kommentatoren des Zusammenlebens von Muslimen und Nicht-Muslimen in Deutschland und Europa, aber auch der westlichen Politik gegenüber der arabischen Welt. 

Wie äußert sich Islamfeindlichkeit? Wie weit ist diese in Deutschland verbreitet? Haben islamfeindliche Parteien auch bei uns eine Chance? Wie erleben eigentlich die Muslime in Europa die zunehmende Islamfeindlichkeit? Ist Islamfeindlichkeit ein europaweites Phänomen? Inwieweit kann die Gesetzgebung der Europäischen Union zu Gleichbehandlung und gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit beitragen? 

Wir freuen uns darauf, diese und weitere Fragen mit Ihnen und Jörg Lau zu diskutieren. Bitte bestätigen Sie uns Ihre Teilnahme unter folgendem Link. Alternativ können Sie uns auch eine E-Mail an anmeldung@schwarzkopf-stiftung.de schicken."

Montag, 20. Mai 2013

Gay Muslims

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An issue we need to talk about

I have always felt most sympathethic with the situation I believe many gays find themselves in. Which is kind of ironic because I have also met quite a few homosexuals who were rather wary when it came to Muslims, especially practising ones ("Muslims, aren't that those guys who can't wait to whip / burn / stone us to death?").

I have always felt most sympathethic with many gays because as a convert I know what it means to realise you're different, to figure out in what way you are not like the majority of people around you, to redefine your identity, to be reluctant about sharing the news about the "new you" (who, in so many ways, is still the person you used to be before, only some refuse to acknowledge it) with others...

Just like homosexuals I know what it means to be a minority, a minority that is often despised and looked down on in our society. Just like many of you, I have also had my coming out. I know. I do. It might not be the same, but the parallels are striking.

And no matter what you think about homosexuality, whether you consider it a sin or not, a matter of choice or not, it is not right that the topic continues to be treated as a taboo by many Muslims. There are men out there who love other men. There are women who love other women. Get over it and let's talk about it, let's try to figure out the best way of dealing with the situation. You can like it (or not), you can consider it a sin (or not), but it is not right to behave as if the issue did not exist. 

Even if you believe it is a sin. 

Even if you believe it is a sin?

Yes. 

Even if you believe it is a sin.

Because you also believe drinking alcohol is a sin. Or cheating on your wife. Or beating your wife. Or not praying.

I think we should ask the question why Muslims freak out when being faced with a homosexual when you don't see the same reaction when they're confronted with a person who does not pray. Or who drinks. Cheats on his wife. Why are we disgusted by homosexuals? And not by murderers or thieves or dictators?

If there is one thing this Islam has taught me it is that we do not have the right to look down on people. We don't. You can have your opinion on what is right and wrong, you can say it and act according to it, but I don't think you have the right to demean, belittle, insult or even physically attack someone you think commits a sin. You don't. That's not Islamic. That's not what this religion teaches us.

And just by the way...

It doesn't work.

If a friend of mine tells me tomorrow she wants to leave Islam, she has decided not to be a Muslim any more, will my going mad change anything? Will my insults, my threats, my looking down on here change anything about it? No. I have to be there for her, try to understand her, be as non-judgemental as possible - because anything else will not help. Because it might actually make things worse. Because I owe it to her as a person. 

The same goes for someone who drinks. Who does not pray. Who has feelings for the other sex.

I know it might be difficult, especially since many of us come from a background where culturally homosexuality is pretty much the worst thing you can accuse someone of, where men have to be "real men" and calling someone "a girl" is actually considered an insult (WTH??) ... but let's try to put culture aside and treat gay Muslims as who they are (yes, even if you believe they are committing a major sin) - brothers and sisters in Islam.

And now read Mohammed Yusuf's article on Suhaib Webb on the topic (and make sure you have a look at the comments section, too - it's almost more interesting than the article itself...).

Sonntag, 19. Mai 2013

Kopftuch ablegen? Ach nö

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Eine Replik auf Necla Keleks Essay in der Welt

"Eine Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung geht nicht von denjenigen aus, die garantierte Freiheitsrechte in Anspruch nehmen, sondern von denjenigen, die sie einschränken wollen." 

Zum gesamten Artikel geht's hier lang.

Samstag, 18. Mai 2013

Nurgül und Stephanie

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"Ich möchte mit Freunden nicht ständig über meine Art zu leben streiten" 

Stephanie hat mit 16 ein Kind bekommen - und Nurgül sich entschieden, Koptuch zu tragen. Die eine macht Abitur, die andere ist Mutter. Zwei Jugendliche im Gespräch.

Freitag, 17. Mai 2013

Männer, Frauen und ein Imam

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Und dann war der noch Imam in London, bei dem sich einige Männer beschwerten, nachdem er vor der Gemeinde über die Rechte der Frau und die Pflichten des Mannes im Islam gesprochen hatte. Einer Gruppe von Männern passte das nicht. 

Die Frau war nicht zu Hausarbeit verpflichtet, musste nicht arbeiten und wenn sie es doch tat, dann war von ihr verdientes Geld ihres und sie war nicht verpflichtet, auch nur einen Cent davon in die Familienkasse zu zahlen? Das war nicht wirklich, was sie ihre Frauen hören wollten. 

Der Imam antwortete: "Auch das ist Teil des Islams, das sind wichtige Themen, über die wir sprechen müssen." Die Männer sagten: "Ja, aber du musst ja nicht darüber sprechen. Erzähl doch vom Paradies oder so..."

Da wurde der Imam wütend: "Wer glaubt ihr, dass ihr seid, zu denken, ihr könntet mir vorschreiben, über was ich in meiner Moschee zu sprechen habe und über was nicht?!"

Donnerstag, 16. Mai 2013

The dark side of Dubai

"Most people know Dubai for its massive skyscrapers and luxurious hotels, but few know that the city was built by modern-day slaves."


Mittwoch, 15. Mai 2013

Menschenrechtsarbeit in Tschetschenien

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„Ein Konflikt ohne Ende: 
Juristische Menschenrechtsarbeit 
durch mobile Einsatzgruppen in Tschetschenien“ 

mit Oleg Khabibrakhmanov, 
am Donnerstag, den 16.05.2013 um 19.00 Uhr 
in den Räumen des ECCHR in Berlin

"Moderiert wird die Veranstaltung von Ute Weinmann, Journalistin. Andreas Schüller, ECCHR, stellt Strategien in der Anrufung internationaler Rechtsschutzmechanismen vor.

Das von Moskau aus großzügig finanzierte Regime des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow fordert Tribut: polizeiliche Willkür, Folter, das spurlose Verschwinden von Menschen und Ehrenmorde bestimmen das Bild in der Vorzeigerepublik. Nach der Ermordung mehrerer Menschenrechtsaktivist_innen in Tschetschenien in den vergangenen Jahren haben sich die Bedingungen für Menschenrechtsarbeit in der russischen Kaukasusrepublik zunehmend verschlechtert.

Mobile Einsatzgruppen untersuchen seit 2009 in Tschetschenien Menschenrechtsverletzungen. Oleg Khabibrakhmanov leitet die Koordinationsabteilung der russischen Organisation „Komitee gegen Folter“. Außerdem ist er stellvertretender Vorsitzender der öffentlichen Aufsichtskommission für die Einhaltung der Menschenrechte im Strafvollzug im Gebiet Nizhnij Nowgorod, Experte des Menschenrechtsrats beim russischen Präsidenten und Mitglied des Expertenrats beim Menschenrechtsbeauftragten der Russischen Föderation.

Der Jurist setzt sich seit 2001 mit dem Schutz der Menschenrechte auseinander und ist von 2004 an für das Komitee gegen Folter aktiv. Zu seiner Hauptbeschäftigung zählt die Koordination der regionalen Abteilungen des Komitees gegen Folter in der tschetschenischen Republik, der Republik Baschkortostan, der Republik Marij El und im Gebiet Orenburg.

Seit 2009 ist er Leiter der mobilen Einsatzgruppen, die auf dem Gebiet der tschetschenischen Republik tätig sind. Zu deren Aufgaben gehören Recherchen über Folter und Verschleppungen aufgrund von Beschwerden tschetschenischer Bürger und Bürgerinnen, außerdem übernehmen sie die Interessenvertretung von Betroffenen und Angehörigen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden und vor Gericht.

Oleg Khabibrakhmanov wird über seine Tätigkeit und die Situation in Tschetschenien berichten.  

Eine Veranstaltung des Bildungswerks Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung. Diese Veranstaltung wird realisiert aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin. Teilnahme frei. Anmeldung unter: global@bildungswerk-boell.de

European Center for Constitutional and Human Rights e.V. (ECCHR) 
Zossener Str. 55-58, Aufgang D 
D-10961 BERLIN   
Phone: + 49 (0)30 - 40 04 85 90 
Fax: + 49 (0)30 - 40 04 85 92 
E-Mail: info@ECCHR.eu

Dienstag, 14. Mai 2013

Indonesien: Musterbeispiel einer islamischen Demokratie?


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Dienstag, 21. Mai 2013, 18:00-19:30 Uhr
GIGA, Neuer Jungfernstieg 21, 20354 Hamburg, 
Raum 519 (5. Stock)

Referent(inn)en: Dr. Dirk Tomsa (La Trobe University), Prof. Dr. Andreas Ufen (Universität Erlangen/GIGA), Jana Krause, PhD (GIGA) 

Moderation: Dr. Margot Schüller (GIGA)
 
"Indonesien, das größte mehrheitlich muslimische Land der Welt, gilt seit dem Regimewechsel 1998 als Musterbeispiel für die erfolgreiche Fusion islamischer Traditionen mit "westlichen" Demokratiestandards. Islamische Organisationen in Indonesien gelten als mehrheitlich gemäßigt und unterstützen demokratiekonforme Wertvorstellungen. Die Wahlen von 1999, 2004 und 2009 verliefen allgemein frei und fair. Außerdem wurde der Sicherheitssektor seit Ende der Militärdiktatur weitgehend reformiert. 

Gleichzeitig bleibt das Land jedoch geprägt von massiver Korruption, inter-religiösen Spannungen und wiederholt auftretenden Menschenrechtsverletzungen, vor allem in Konfliktgebieten. Das GIGA Forum wird in Kurzreferaten und einer Diskussionsrunde die Entwicklungen in Indonesien kritisch hinterfragen: Wie stabil ist die Demokratie in Indonesien? Wie umfassend ist der Sicherheitssektor unter demokratische Kontrolle gebracht worden? Wie geht die Regierung mit dem separatistischen Konflikt auf Papua um? Inwieweit haben sich religiöse Spannungen verschärft?

Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich."

Donnerstag, 9. Mai 2013

Tausende Pfund

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Muslime in Bradford tun sich zusammen, um einer vom Verfall bedrohten Synagogue das Überleben zu sichern.

"There's been a Jewish community in Bradford for 100 years, and now there's barely a trace. I was so impressed by the architecture and the history of the synagogue, we couldn't let this go to waste", sagt Zulfi Karim, der Geschäftsführer des Bradforder Moscheenrats.

Hier geht's zum ganzen Artikel.

Mittwoch, 8. Mai 2013

Facing sexual abuse in the white community

 .
An excellent article by Joseph Harker, published in the Guardian on 6 May 2013

"You may think all the above is ridiculous; that I'm stirring ethnic tensions on an issue that is clearly about individuals and small groups of people and has nothing to do with race or religion. And that by making this spurious case I'm ignoring the core issue, which is that children, many of them in vulnerable situations, were terrorised and physically harmed by opportunistic men who were able to get away with their crimes for years. You'd be right.

But all of the above arguments were made within various parts of our print and broadcast media when similarly small numbers of Muslim men were revealed to be grooming young girls for sex. If you think the claims about white people are wrong, then so is the stereotyping of Britain's Muslims, and the widespread questioning of their culture and their religion, because of the perverted actions of a few."

Dienstag, 7. Mai 2013

Speak your mind

 .
"Many people, especially ignorant ones, want to punish you for speaking the truth, for being correct, for being you. Never apologise for being correct or for being years ahead of your time. If you're right and you know it, speak your mind. Even if you are a minority of one, the truth is still the truth."

Gandhi

Montag, 6. Mai 2013

Eine Woche im April

Boston, Terror und Muslime

Am Montagabend schreibt Naima, die ich aus London kenne und die seit einigen Monaten mit ihrem Mann in Boston lebt, von einer Explosion im Stadtzentrum Bostons, dass wir uns keine Sorgen machen sollen, es ihr gut geht. Ihr Mann sei noch im Zentrum und versuche, nach Hause zu kommen. Ich bete, dass das kein Terroranschlag und keine Muslime waren und gehe schlafen, es ist schon spät.

Am Dienstag gibt es schon mehr Informationen. Ein Terroranschlag soll es gewesen sein. Naima ist fix und fertig, sie schreibt, sie hatte an dem Tag eigentlich vorgehabt, in die Bibliothek zu gehen, die nur wenige Meter vom Ort der Explosionen entfernt war. Wäre sie nicht zu müde gewesen an dem Tag, wäre sie zum Zeitpunkt des Anschlags vor Ort gewesen. Das ist das letzte Mal, dass sie schreibt; danach höre ich lange nichts mehr von ihr.

Es gibt schon mehr Informationen, aber wer hinter den Anschlägen steckt - da halten sich die Medien bedeckt. Ich bin erstaunt, positiv überrascht, dass keiner so richtig Spekulationen Vermutungen anstellen mag. Das war früher anders und die Schuldzuschreibungen ("vermutlich islamische Terroristen") schneller hervorgebracht. Wir scheinen doch etwas gelernt zu haben in den letzten Jahren. Oder ist das der Post-Breivik-Effekt und die Welt weiß jetzt, dass auch Nichtmuslime Terror können, sogar ganz gut? Ich bete, dass es keine Muslime waren.

Und natürlich gibt es auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis wieder so ziemlich alle möglichen Reaktionen. Von besorgten Bekannten, die in Boston studiert oder gearbeitet haben und nicht glauben können, dass so etwas in dieser Stadt, die sie als so offen und willkommenheißend erlebt haben, passiert bis zu angesichts des Medienhypes genervten Freunden, die daran erinnern, dass - hallo! - heute in Syrien über 200 Zivilisten getötet wurden - interessiert es jemanden?!

Am Mittwoch fahre ich mit der U-Bahn in die Stadt und bekomme eine Zeitung in die Hand. Das Bild des kleinen Jungen, der am Montag in Boston starb, bricht mir das Herz. Wie kann man einem Kind so etwas antun? Wie muss es den Eltern jetzt gehen? Ich mag es mir nicht vorstellen und muss mich zusammen nehmen, in dem vollen U-Bahn-Wagon nicht in Tränen auszubrechen.

Ich bin noch immer erstaunt über die Medienberichterstattung, die sich zumindest auf den Kanälen, über die ich davon mitbekomme, erstaunlich wenig spekulativ darstellt. Alles gut, denke ich, bis ich die Geschichte von dem saudischen Mann lese, der Opfer des Anschlags wurde, aber - obwohl unschuldig - wie ein Verdächtiger behandelt wurde. Verdammt, also doch. Die alten Reflexe sind noch aktiv. Und ich dachte, wir hätten etwas gelernt. 

Ismail, ein Bekannter aus London, der ursprünglich aus Südasien kommt und vier Jahre in den USA an einer der besten Universitäten des Landes studiert hat, kommentierte Obamas Statement nach den Anschlägen (“If you want to know who we are, what America is, how we respond to evil—that’s it. Selflessly. Compassionately. Unafraid") trocken: "I could think of a few more adjectives. Especially one that begins with an R." Rassist meinte er, rassistisch. 

In der Zwischenzeit heißt es, die Bauart der verwendeten Bomben erinnere an ähnliche Konstruktionen aus Pakistan und Afghanistan. Mir graut es. Also doch? Stehen doch Muslime hinter den Anschlägen?

Am Freitag verbringe ich einen Großteil des Nachmittags mit Camilo vor dem Fernseher. Er hat in den USA gelebt, hat Freunde dort und die Nachrichten seit Anfang der Woche wie gebannt gefolgt. Wir finden einen Nachrichtenkanal, wo die Berichterstattung nicht durch Fernsehserien, Werbung, Filme oder anderes unwichtiges Zeugs unterbrochen wird und bekommen die neusten Entwicklungen direkt in unser Wohnzimmer in London geliefert. In der Nacht wurde ein Polizeibeamter am MIT, wo einer von Alimustafas Cousins studiert hat, erschossen.

Während wir dort vor dem laufenden Fernseher sitzen, kommen mehr und mehr Informationen rein. Es wird vermutet, dass es sich um Tschetschenen handelt (oh nein!), ob es eine Verbindung zu tschetschenischen Terrorgruppen gibt, ist jedoch noch unklar (bitte nicht!), aber als ein paar Minuten später die Namen bekannt sind, bestätigt sich doch, was ich gehofft hatte, nicht wahrzusein. Das sind tschetschenische Namen. Es wird live berichtet, innerhalb von fünf Minuten hören wir drei verschiedene Varianten, in denen der Name der jüngeren Verdächtigen ausgesprochen wird (ist das so schwierig, hinzubekommen?!), und es wird klar: einer ist tot, der andere auf der Flucht.

Freitagabend sitzen wir wieder lange vor dem Fernseher, wie damals im März vor einem Jahr als wir verfolgten, was in Toulouse vor sich ging und ich bis spät die Berichterstattung auf Twitter verfolgte. Irgendwann, als sich die Aussagen der Reporter zu wiederholen beginnen, weil es nichts Neues zu berichten gibt, schalten wir ab. Ich denke an die Familien der bei den Anschlägen Getöteten; wie muss es sein, zu wissen, dass der, der wahrscheinlich das Attentat plante, ihre Kinder, den Bruder, die Schwester töte, weiter dort draußen unterwegs ist - vielleicht entkommt? Ich denke an die Bewohner der Stadt, an Naima, ich weiß gar nicht, in welchem Teil von Boston sie wohnt; hoffe, dass es weit weg ist von dem Ort, an dem der Verdächtige vermutet wird; dass sie sich sicher fühlt. 

Und ich denke an einen 19-Jährigen, der irgendwo alleine dort draußen unterwegs ist, der zum Mörder geworden ist, seinen Bruder verloren hat, vielleicht verletzt und jetzt von Bewaffneten gejagt wird. Was für ein Wahnsinn. Unschuldige töten, seinen Bruder verlieren, von der Polizei gejagt werden - für was? Ich kann mir nur zwei Ausgänge vorstellen, dass er geschnappt wird und den Rest seines Lebens im Knast verbringt oder auf der Flucht getötet wird; eins nicht besser als das andere; auch das Leben dieses 19-Jährigen - vorbei.

Am Samstagmorgen - wir haben ausgeschlafen, die Sonne scheint, das Lieschen will Frühstück, bevor es in den Park geht - ist die Hetzjagd in Boston vorbei. Kein weiterer Toter, zumindest das, und vielleicht wird der überlebende Verdächtigte wenigstens eine der Fragen beantworten können, die viele sich jetzt stellen. 

Auf mich warten eine Reihe von Artikeln zum Thema terrorism and whiteness, die ziemlich deutlich machen, dass auch, wenn die Berichterstattung (zumindest in Europa) dieses Mal viel professioneller war als so manches mal in der Vergangenheit, es doch immer noch verdammt viel zu tun gibt:




Sonntag, 5. Mai 2013

Als Muslime Juden retteten

In einer Zeit, in der kleine Türken in Deutschland Männer mit Kippa auf der Straße als Drecksjuden beschimpfen, weil sie denken, das wäre in Ordnung so; in der man als Muslim in so manchem Teil Jerusalems oder Tel Aviv Angst haben muss, heil wieder raus zu kommen; in der Muhammads in Südfrankreich kleine Myriams ermorden; in der muslimische Organisationen in Berlin Schwierigkeiten haben, jüdische Kooperationspartner für Dialogsprojekte zu finden, weil das Misstrauen zu groß ist - in einer solchen Zeit lohnt es sich - auch wenn es keine neue Info ist - mal wieder an eine Zeit zu erinnern, in der Muslime Juden vor denen, die ihnen nach dem Leben trachteten, und ihren Verbündeten retteten. Zurzeit in London zu sehen: eine Ausstellung zum Thema.

Samstag, 4. Mai 2013

More brightly

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Do not let your difficulties fill you with anxiety. After all it's only in the darkest nights that stars shine more brightly.

Freitag, 3. Mai 2013

Endlich


Verfassungsschutz Bayern beobachtet Münchner Ortsgruppe von "Politically Incorrect". War höchste Zeit. Jetzt bitte weiter so im Rest des Landes.

Mittwoch, 1. Mai 2013

The human cost of prejudice in policing

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"They may think it's ok to sacrifice other people's liberty for their own security but it doesn't even increase their security." (Rizwaan Sabir, PhD Student)

"Imagine being stopped and searched by the police because of the color of your skin. Then imagine it happening to you again and again. (...) Police ethnic profiling involves singling out people for checks because of their race, ethnicity, or religion. Ethnic profiling is unfair and discriminatory. It is also an inefficient way of fighting crime." (Open Society Foundation

The real cost of ethnic profiling