Montag, 25. Juli 2011

Lieselotte und die Sufis


Auf zum Sufi-Festival

"Wie, du willst auf ein Sufi-Festival??", fragt Nadia mich entgeistert. "Du weisst aber schon, wie die drauf sind, die beten zu Heiligen und tanzen sich in Trance und so. Da willst du hin?" Dass ich weiss, dass es auch andere Sufis gibt, die naemlich ganz normale Mainstream-Sunnis sind plus ein bisschen mehr Dhikr, nimmt sie mir nicht richtig ab. Nadia kommt nicht mit, zu dem dreitaegigen Sufi-Festival, zu dem wir von einem jungen Mann auf unserem Campus (dessen Name, wie sich spaeter herausstellt Hadschi Ammar ist) eingeladen wurden - aber Mary, eine amerikanische Bekannte, die vor einem Jahr Muslimin geworden ist. Das Festival findet ausserhalb Londons statt, wir werden von zwei jungen Maennern im Auto mitgenommen. In weissem Thaub der eine, in Trainingshose und Jamaicahemd der zweite, dazu Mary, das Lieschen und ich - es kann losgehen.

In the Middle of Nowhere

Wir verlassen London, fahren und fahren, bis wir nur noch von gruenen Wiesen, rechts mit Schafen und links mit Strohballen drauf, umgeben sind. Vor uns geht dramatisch die Sonne unter und faerbt den Himmel in eine Palette aus Rosa-, Rot-, Violetttoenen. Daniel, einer unserer beiden Mitfahrer erzaehlt, dass das Haus, in dem die islamische Schule, in der das Festival stattfindet, waehrend des Kriegs als Hospital und spaeter als Altenheim genutzt wurde. Schliesslich nehmen wir eine Abfahrt von der Landstrasse und fahren eine lange Baumallee entlang, an deren Ende ein Mann in Thaub mit fluoroszierender Weste drueber steht, Walkie-talkie in der Hand.

Fuer diese und die naechste Welt

Als erstes sticht uns ein mit blauen und gelben Lichterketten behaengtes Mausoleum mit gelben Waenden und gruener Kuppel ins Auge. Das Anwesen, in dem die Schule untergebracht ist, besteht aus mehreren Backsteinhaeusern. Auch die sind mit Stoffwimpelketten geschmueckt. Die Schule, so Daniel, ist ein Internat. Die Schueler koennen hier ganz normal ihr Abitur ablegen und zusaetzlich Kurse in islamischen Faechern belegen. Auf diese Kombination von saekularer und religioeser Bildung legt man hier grossen Wert. Der hoechste zu erreichende Abschluss ist ein BA in Islamischen Studien.

Wunderbare Atmosphaere

Eine erste Runde ueber das Gelaende laesst uns schnell erkennen, dass der Grossteil der Gaeste, die aus allen Teilen des Landes, selbst aus dem europaeischen Ausland, angereist sind, Pakistanis sind. Darunter sid ein paar konvertierte Muslime auszumachen. Die meisten der Maenner tragen lange weisse Thaubs, die Frauen fast alle Kopftuch, einige auch Niqab. Sufis mit Niqab? Wenn das Nadia wuesste! Die Atmosphaere ist unglaublich freundlich. Keiner kennt uns, aber wir werden sofort herzlichst aufgenommen. Abendessen gibt es im Speisesaal, wo die Frauen und einige Kinder auf dem Boden auf langen Papiertischtuechern biryani, raita und eine suedasiatische Suessigkeit essen. Die Maenner essen in einem der riesen Zelte, die auf einem der Felder, die zum Anwesen gehoeren, aufgestellt sind. Abends liegen wir im Bett, durch das offene Fenster zieht frische, nach Heu riechende Luft ins Zimmer - und die Gesaenge und Rezitationen der Sufis, die im Hauptzelt beten.

Schuelerinnen, Aerztinnen, Hausfrauen

Am naechsten Morgen machen Mary, das Lieschen und ich uns auf zum ersten Programmpunkt. Ein Event nur fuer die Frauen, die in einem Kreis auf dem mit Teppich ausgelegten Boden der kleinen Moschee sitzen. Sie singen Anaschid, immer eine reihum, mit glockenhell-klaren Stimmen. Mir faellt auf, wie verschieden diese Frauen doch sind. Die meisten sind unter 30, einige aber auch aelter, 40, 50 Jahre alt, manche erst im Teenie-Alter. Einige tragen perfekt geschnittene Abayas mit Hijab in darauf abgestimmter Farbe, andere den traditionellen suedasiatischen Shalwar Kameez, wieder andere lange westliche Kleider - oder einfach eine Jeans mit einem laengeren Hemd darueber. Niqab, Kopftuch, locker ueber den Kopf gelegte Dupatta, gar keine Kopfbedeckung, es ist alles dabei. Schuelerinnen, Studentinnen, Aerztinnen, Rechtsanwaeltinnen, Hausfrauen. Mary meinte sogar, eine Transsexuelle gesehen zu haben - aber vielleicht war das auch nur eine sehr maskulin wirkende Frau.

Frauen und Maenner und die Sache mit dem Saxophon

Die Gemeinschaftsgebete beten alle im grossen Zelt, in dem das Hauptprogramm stattfindet. Hinten die Frauen und vorne die Maenner. Es gibt einen Eingang zu dem Zelt, was sich fuer Nicht-Muslime trivial anhoeren mag, wer aber vertraut ist mit Moscheen in Europa (und nicht nur dort), weiss, dass das viel zu oft nicht der Fall ist. Vortraege werden von Maennern und Frauen gehalten, was auch auf anderen muslimischen Veranstaltungen zu sehen ist, aber spaetestens als der Programmpunkt ansteht, in dem Hadschi Ammar in langem weissen Gewand und mit grauem Rauschebart im Hauptzelt auf seinem Saxophon eine Anasheed-Melodie anspielt, weiss ich, dass das hier was Besonderes ist. Ich schaue von dem Mann mit dem Saxophon zu den Scheykhs auf der Buehne zu den gruenen und schwarzen Fahnen mit der Schahada drauf auf den rot-gruenen Teppichboden, den ich aus so vielen Moscheen in Europa, der Tuerkei, dem Nahen Osten kenne. Wo bin ich hier?

Audienz beim Scheykh

Als ich mich spaeter mit Mary darueber unterhalte, wird klar, dass es ihr genauso ging wie mir: Das Saxonphonspiel war zwar nett, aber religioes gesehen, vom Spirituellen her, hat es uns nichts gebracht. Am Sonntag steht dann das Treffen mit dem Scheykh auf dem Programm. Weil wir zum ersten Mal hier sind, kriegen wir gleich einen Termin, sonst muss man mitunter Monate auf eine Audienz warten. Ich weiss nicht so recht, was ich da soll, aber dann treibt mich doch die Neugier. Das Treffen verlaeuft unspektakulaer, aber mich schauert es, als ich von einigen der Frauen daraufhin aufgeregt gefragt werde, wie es denn war, den Scheykh zu treffen, ob ich eine tiefe Zufriedenheit gespuert haette. Ich will sie nicht enttaeuschen, weil ich sehe, wie wichtig es ihnen ist, anluegen moechte ich sie aber auch nicht und so merke ich vorsichtig an, dass das alles fuer mich nicht das Gleiche ist wie fuer sie, weil ich nicht daran glaube, dass dieser Scheykh einfach durch sein Scheykh-Sein besser ist als einer von uns. Ich versuche, mich zu erklaeren, aber sie verstehen es nicht.

Doch nicht so progressiv?

Der Bruch erfolgt endgueltig, als mir bewusst wird, wie viele kleine Maedchen hier auf dem Gelaende mit Kopftuch herum rennen. Teilweise sind die erst zwei oder drei Jahre alt. Muss das sein? Und dann sagt mir doch allen Ernstes eine junge Frau, ich sollte dem Lieschen doch auch bald ein Kopftuch aufsetzen. Als ich - ich schaffe es sogar, ruhig und freundlich zu bleiben - meine, "nein, davon halte ich nichts", meint sie "na ja, nur weil sie so schoene Haare hat". Spaetestens da war es wirklich zu viel. Diese Verherrlichung des Scheykhs (der trotz allem doch nur ein Mensch wie wir ist), dieser komische Konservativismus - und auch einige der Rituale sind uns einfach nur befremdlich. Das Grab im Mausoleum zu kuessen, die Tatsache, dass man laut den Sufis nur einen spirituellen Lehrer haben soll (ich dachte, Infragestellen ist gut) oder dass wir hier bei vielen das Gefuehl haben, dass sie uns von ihrem Weg ueberzeugen wollen - das ist uns einfach unglaublich suspekt. Hadschi Ammar, der uns schliesslich ueber den Weg laeuft, uns fragt, wie es uns gefaellt - und die volle Ladung abbekommt, meint zwar, dass das alles nicht so sein sollte und wir Recht haben, Infragezustellen - aber fuer uns ist es zu spaet, das ist zu viel, und definitiv nicht unser Weg.

Zurueck zu Hause

Zurueck in London brauchten wir erst mal beide eine Pause. Es war ein Wochenende voller neuer Eindruecke gewesen, voller unglaublich netter Menschen, denen wir begegnet sind - und einiger merkwuerdiger Ereignisse. Was bleibt von drei Tagen Sufi-Festival? Es gibt einiges, was mir am Sufi-Ansatz gut gefaellt. Der Schwerpunkt, den sie auf das "Innere", die Bedeutung ihrer Handlungen und die spirituellen Aspekte legen. Dass sie eine buchstabengetreue Interpretation der Texte, an der nicht zu ruetteln ist, ablehnen. Und dass es ihnen vor allem um eine persoenliche Entwicklung geht statt morgen die Weltrevolution auszurufen. Konservativ kann man aber auch als Sufi sein. Es ist ein Irrglaube, wenn man im Westen oft meint, die Sufis, das waeren die guten (weil weniger gesetzestreuen) Muslime. Sicher gibt es auch Sufis, die tatsaechlich nur Wert auf den spirituellen Aspekt des Islams legen und alles, was in Richtung Regel geht, ablehnen - ich wusste es schon vorher, aber dieses Wochenende hat mir mehr als deutlich gemacht, dass das mitnichten immer der Fall ist. Ihr dachtet, Sufi und Niqab gehen nicht zusammen? Kommt doch mit naechstes Jahr, zum Sufi-Festival!

11 Kommentare:

Anisah hat gesagt…

Das hast Du wunderschön geschrieben, danke dafür...es deckt sich mit meinen eigenen Erfahrungen.

Anonym hat gesagt…

Wie sind Sufis denn eigentlich so im "islamischen Mainstream" angesehen?

Lieselotte hat gesagt…

1) Was ist der islamische Mainstream?

2) Falls damit orthodoxe Muslime gemeint sind: zu denen gehoeren sowohl Nadia (oben im Text erwaehnt) als auch ich - das heisst, wir haben da alle moeglichen Positionen.

3) ist Sufi nicht gleich Sufi. Gibt orthodoxe Muslime, die gleichzeitig Sufis sind und Sufis, die aber keine orthodoxen Muslime sind.

Die Frage ist also: Von was genau sprechen wir?

Gruss,
Lieselotte

Dilara hat gesagt…

Naja, ich habe aber leider schon sehr oft den Kommentar gehört "Du bist Sufi? Wie schade, dann kommst Du nicht ins Paradies!"
Sufis sind - Achtung, Verallgemeinerung - im mainstream-Islam nicht besonders gut angesehen, wir gelten als Hippies und als nicht regel-konform.

Was für eine Tariqa war das denn?

Anonym hat gesagt…

Sufis im Sudan und in Somalia wollen sich jetzt auch mal zur wehr setzen.

Lieselotte hat gesagt…

Liebe Dilara,

ja, solche Reaktionen gibt es - siehe zum Beispiel "Nadia" im Text oben. Aber es gibt auch viele andere "mainstream"-Muslime, die das anders sehen.

Davon abgesehen, wenn dir einer verkuendigt, dass du aber nicht ins Paradies kommen wirst, dann hat der eh nicht wirklich den Durchblick in Sachen Islam - hat der nen direkten Draht zu Allah, dass er das gleich mal abgeklaert haette, oder was? Von uns weiss keiner, wer wie da stehen wird, am Juengsten Tag.

Das waren Naqshbandi-Sufis. Aus Pakistan.

Anonym hat gesagt…

"Von uns weiss keiner, wer wie da stehen wird, am Juengsten Tag"

Das klingt aber sehr riskant für Ihr Seelenheil; dass die Kuffar am Jüngsten Tage zu den Verlierern gehören werden, ist etwas, dessen Kenntnis man/frau als Muslim/a aber doch wohl nicht ableugnen darf, oder ?

Ihr wißt nicht definitiv, wer wann reinkommt, aber Euch ist klar gesagt, wer garantiert nicht reinkommt. SO ist es doch ?!

Lieselotte hat gesagt…

Kein Mensch weiß for sure, wer ins Paradies kommt und wer nicht. Wir wissen, was die Dinge sind, die einen dorthin bringen / von dort fernhalten können. Aber: Bei alldem ist immer die Absicht eines Menschens essentiell - und die kennt außer ihm selbst nur Gott. Insofern kann das kein anderer beurteilen. Darüber hinaus kann Gott natürlich selbst entscheiden, jemanden, obwohl er es eigentlich nicht "verdient" hätte, doch ins Paradies eingehen zu lassen.

SO ist es - laut mainstream- / orthodoxem (wie auch immer ihr es nennen wollt) Islam.

Anonym hat gesagt…

"Wir wissen, was die Dinge sind, die einen dorthin bringen / von dort fernhalten können"

Hier scheint das "können" wichtig zu sein.

"ist immer die Absicht eines Menschens essentiell - und die kennt außer ihm selbst nur Gott."

Und wie muss die Absicht sein; reicht es, wenn sie menschenfreundlich ist, oder muss die Absicht eine positive Haltung zur Glaubwürdigkeit von Propheten, namentlich des Letzten beinhalten ?

"Darüber hinaus kann Gott natürlich selbst entscheiden, jemanden, obwohl er es eigentlich nicht "verdient" hätte, doch ins Paradies eingehen zu lassen. "

Donnerwetter. Was sollen dann die ganzen Kasteiungen ? Wenn mich die prophetischen Botschaften historisch-kritisch nicht überzeugen, ich Schweinefleisch einfach mag, einer einvernehmlichen Sinnlichkeit unter Erwachsenen fröne, könnte ich am Ende doch auch mit paradiesischen Wonnen bedacht werden ?

Die Überzeugung allerdings, dass meinen Leichnam die Würmer fressen werden und ausser ein paar Erinnerungen nichts von mir übrig bleibt, verschlechtert aber die betreffenden Aussichten so erheblich, dass die Muslime sich aus Nachstenliebe aufgefordert fühlen müssen, den Glauben an Vorherbestimmung, Jüngsten Tag, etc. zu verbreiten ?

DAFÜR die ganze action ?

Dilara hat gesagt…

@Lieselotte: Mir ist das schon klar, ich frag dann immer noch ob ich die Telefonnummer von Allah bitte auch haben kann... ;o)
Ich finde es nur traurig, daß man sich solche statements dauernd anhören muß.

Ach ja, die Naqhis, irgendwie dachte ich mir das schon...

Anonym hat gesagt…

"Das waren Naqshbandi-Sufis. Aus Pakistan"

Historisch sogar aus Indien, wie man leider sagen muss. Und die haben sich dann auch noch dem Wahabi-Einfluss ausgesetzt in den Siebzigern unter Zia. Traurig, traurig.