Samstag, 12. März 2011

Nadia

Oder: Schwierige Entscheidungen

Vorher

Nadia ist 25. Sie ist in der Nähe von London groß geworden, ihre Eltern kommen aus dem Sudan. Englisch spricht sie mit britischem Akzent. Sie hat in einer nicht ganz so großen Stadt im Norden Großbritanniens VWL studiert und danach zwei Jahre in London in der Finanzbranche gearbeitet. An der Uni hat sie das, was man "ein richtiges Studentenleben" nennt, geführt: viele Partys und so weiter. Dann hat sie Mahmoud kennen gelernt, der aus dem Sudan zum Studium nach Großbritannien gekommen war. Sie kamen zusammen und Mahmoud hat Nadia, deren Eltern sie nie religiös erzogen haben, den Islam näher gebracht, beten beigebracht.

Zurück an der Uni

Vor etwas mehr als einem Jahr haben sie geheiratet und irgendwann später hat Nadia angefangen, Kopftuch zu tragen. Dann wurde sie zum Masterstudium an einer der besten Unis des Landes zugelassen, in Entwicklungspolitik, ihrem Traumfach. Mahmoud war gerade mit seinem Studium fertig geworden und ist jetzt damit beschäftigt, eine Wohltätigkeitsorganisation, die Projekte im Sudan finanziert, aufzubauen. Nadia studiert jetzt wieder.

Kleiderfragen

Als ich sie kennen lernte, vor ein paar Monaten, trug sie Jeans, ein Flanellhemd und darüber ein Kopftuch. Sie war nicht zufrieden damit und überlegte, ab jetzt Abaya zu tragen, weil das islamisch korrekter wäre. Ich war auch der Meinung, dass "nur Jeans" ein bisschen wenig wäre, aber ob es gleich eine Abaya sein musste? Etwas später kam sie tatsächlich in einem langen schwarzen Gewand (aber immer noch mit buntem Kopftuch) in die Uni. Und wenig später erzählte sie von den Problemen, die es jetzt zu Hause gebe. Ihre Mutter (die selbst Kopftuch trägt, aber - so Nadia - auf die "traditionelle" Art und Weise - also alles ein bisschen lockerer) hält nichts von der Abaya und ganz schlimm wurde es, als Mahmoud ankündigte, sich einen Bart wachsen zu lassen wollte. Bart? Das haben nur Fundis, Nadias Mutter war außer sich.

Karrierewunsch: Entwicklungszusammenarbeit

Nadia würde nach dem Studium gerne in der Entwicklungszusammenarbeit arbeiten, am liebsten in Afrika, am liebsten im Sudan oder in Ägypten, wo sie auch Familie hat. Sie hat sich bei der Islamischen Entwicklungsbank für ein Praktikum beworben und wollte sich eigentlich auch bei anderen internationalen Organisationen bewerben. Den Gedanken hat sie jetzt aber wieder verworfen, weil sie die Politik zum Beispiel der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds nicht gut heißen mag. Dass gerade das ein Grund wäre, sich für ein Praktikum dort zu bewerben, wie die Lieselotte gleich argumentierte (man sollte schließlich kennen, was man ablehnt - oder nicht? - dann kann man auch viel besser dagegen arbeiten), überzeugte sie nicht wirklich.

Karriere oder Kinder?

Und dann kam noch die Idee auf, nach dem Studium nur ein paar Monate zu arbeiten, um die Schulden, die sich durch den Studentenkredit angehäuft haben, abzubezahlen, und danach in ein mehrheitlich muslimisches Land zu gehen und dort den Islam zu studieren. "Finanziell versorgen muss mich im Islam mein Mann, Mahmoud, und das macht der auch. Von Gott werde ich dafür beurteilt, wie fest ich im Glauben bin und wie gut ich meine Religion kenne. Warum sollte ich meine Zeit also für Dinge verschwenden, die mich in dem, was wirklich zählt - nämlich das ewige Leben nach dem Tod - nicht weiterbringen? Außerdem muss ich doch auch meinen Kindern später die Religion beibringen können."

Oder doch lieber so?

Da hat die Lieselotte erst mal zu argumentieren angefangen. Dass sie natürlich ihre Religion kennen soll. Dass aber nicht jeder ein Gelehrter sein muss. Dass man auch neben dem Job den Islam studieren kann. Dass alles, was man tut, aus islamischer Sicht verdienstvoll sein kann, wenn man es mit der richtigen Absicht tut. Dass sie, mit der Ausbildung und der Berufserfahrung, die sie hat, etwas ändern könnte, da draußen - und dass das auch wichtig ist im Islam. Einen positiven Beitrag zu leisten nämlich. Dass das mit den Kindern nicht so wirklich ein Argument ist, weil man die ja erst mal kriegen muss und keiner sofort mit der religiösen Erziehung beginnt - das heißt: ausreichend Zeit, sein Wissen während der Schwangerschaft und in den ersten Jahren noch aufzufrischen.

Fragen

Am Anfang hat sie noch lebhaft widersprochen, aber je länger wir diskutierten und je mehr ich insistierte, desto nachdenklicher wurde sie. Nachdenklich wurde aber auch ich. Etwas zu ändern in der Welt, das ist mir wichtig, und ich will das auch mit meinem Beruf vereinbaren, aber kümmere ich mich auch ausreichend um die andere Seite?

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

alles eine frage des glaubens