Montag, 28. Februar 2011

Von "moderaten" Söhnen und "demokratischen" Alternativen

Und dann kam Qaddafi Junior, nämlich Saif al-Islam al-Qaddafi in den Fokus der von der Revolte in Libyen berichterstattenden Medien. "Flüsse voller Blut" würden fließen, versprach er, gäben die Aufständigen nicht auf. In kaum einem Presseartikel hier in Großbritannien fehlt der Hinweis darauf, dass Saif al-Islam an einer der Elitehochschulen des Landes promoviert hatte, und immer - auch in den deutschen Medien - folgt der Zusatz: "Der zweite Sohn des libyschen Präsidenten galt bisher als moderat".

Moderat? Ja? Warum? Weil er zugegeben hat, dass Papa foltern ließ? Weil er Väterchen sogar (o-ho-ho-ho) vor laufender Kamera widersprach? Oder lag es ganz einfach an den schnieken Anzügen, der schicken Brille, dem geschliffenen Englisch, dem Superuniabschluss?

Die selbe Inhalten gegenüber blinde Begeisterung für eine scheinbar für "westliche" Werte stehende Figur des öffentlichen Lebens in einem "Schurkenstaat" war damals bei der Berichterstattung über Benazir Bhutto zu beobachten. In den Monaten vor ihrem gewaltsamen Tod galt sie in deutschen Zeitungen plötzlich als "Hoffnung für Pakistan", als "demokratische Alternative" und als "Gegenstimme" zum autoritären Präsidenten Musharraf und gefährlichen Islamisten.

Benazir hatte, wie Saif al-Islam, eine exzellente Ausbildung genossen (in Oxford und Harvard), sprach wie er fließend Englisch und bewegte sich sicher auf internationalem Parkett. Dass sie als Angehörige des Bhutto-Clans eben die Feudalpolitik vieler reicher Pakistanis, die eines der Hauptprobleme des Landes ausmacht, unterstützte und dass sie nicht als Demokratin sondern wegen Korruptionsvorwürfen im Exil lebte - das ging da im allgemeinen Jubel irgendwie unter. Welch ein Kontrast zwischen der Skepsis, der Abscheu, die der Großteil meiner südasiatischen Freunde und Kollegen der Politikerin Benazir entgegenbrachten und dem gutgläubigen Enthusiasmus, mit dem sie immer wieder in deutschen Medien hochgejubelt wurde.

Und jetzt, bei Qaddafi Junior, das Gleiche in Grün. Zeit, die Verwendung von Labels wie "moderat" und "radikal" in den Medien mal zu überdenken - meint die Lieselotte.

Sonntag, 27. Februar 2011

Ehefrauen und Geliebte

Wives and Sweethearts
National Army Museum, London
Februar 2011

Es ist nur ein Raum, in dem die Ausstellung Wives and Sweethearts - Love on the Front Line im National Army Museum in London zu sehen ist. Neben Fotos, Zeichnungen und Postkarten sind es vor allem Briefe, die hier ausgestellt sind. Aber auch mit Hilfe von Tonaufnahmen soll verdeutlicht werden, wie es ist, als Soldat Familienleben und den Einsatz an der Front zu vereinigen. Der zeitliche Rahmen, der dabei abgedeckt wird, streckt sich vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Courtship and Engagement, Weddings, Army Families, Separation und Reunion - thematisch ist die Ausstellung sehr umfassend. Besonders interessant ist der Teil Women of the Regiment, in dem gezeigt wird, wie Frauen im 19. Jahrhundert ihre Männer an die Front begleiteten - und dort weitaus mehr Freiheiten genossen als im Alltagsleben zu Hause.

Zwar werden in den Teilen Separation und Reunion auch kritische Aspekte angesprochen (wie z.B. die Entfremdung, die nach Monaten der Trennung auftreten kann), insgesamt hätte der Ausstellung aber ein etwas kritischerer Blick nicht geschadet. Zu Beziehungen zwischen britischen Soldaten und einheimischen Frauen in Afrika oder Asien fehlte zum Beispiel jeder Hinweis. Und auch die dunklen Seiten der Liebe im Krieg - Prostitution oder Vergewaltigungen - fehlten hier ganz. Wäre es möglich gewesen, das Konzept der Ausstellung so sehr zu erweitern, dass auch diese Themen Platz gefunden hätten? Vielleicht. Ob solch ein kritischer Blick im Nationalen Armeemuseum in einem Land, im dem Soldaten noch "Kriegshelden" genannt werden, erwünscht wäre? Sicher bin ich mir nicht.

Die Ausstellung kann hier online gesehen werden.

Donnerstag, 24. Februar 2011

Die, die nicht aufgeben

Als ich in der Schule war, ging in eine der Nachbarklassen Grgur, der aus Serbien kam, aber schon so lange in Deutschland gelebt hatte, dass Deutschland seine Heimat, Deutsch seine Sprache geworden war. Er war einfach einer von uns, auch wenn manche ihn komisch fanden, weil er in der Schule so strebsam, fast schon ein bisschen zu ehrgeizig war.

Und ploetzlich war Grgur weg. Es brauchte eine Weile, bis wir herausgefunden hatten, dass Grgur das Land verlassen war und jetzt wieder in Serbien lebte. Er hatte, wie so viele, nur mit einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland gelebt - und das Jahre lang. Als ihm dann irgendwann die Abschiebung drohte, hat er sich entschlossen, "freiwillig" zu gehen, weil ihm so die Tuer nach Deutschland nicht endgueltig verschlossen bleiben wuerde.

Es war ein Jahr vor dem Abi. Zwei Jahre spaeter war Grgur wieder in Deutschland. Er hatte es irgendwie geschafft, in Serbien soweit Fuss zu fassen, dass er sich dort sofort wieder integrieren konnte, das dortige Abitur zu bestehen und sich dann fuer ein Studentenvisum in Deutschland zu bewerben. Er hat dann Mathe, Informatik oder irgend so was studiert, ich hatte keinen Kontakt mehr zu ihm, aber irgendwie blieb das Gefuehl, dass diese "Abschiebung" sinnlos gewesen war und es den Falschen getroffen hatte.

Orhan Jasarovskis Geschichte, die die eines Roma-Jungens aus Mazedoniens ist, der aus Deutschland in sein ihm fremdes "Heimatland" abgeschoben wird, und zum Studium wieder zurueck kam, hat mich sofort an Grgur erinnert. Und ich frage mich, mal wieder: wer entscheidet eigentlich auf welcher Grundlage ueber solche Abschiebungen, und braeuchte es nicht mehr bei diesen Entscheidungen als nur das blosse Lesen eines Gesetzestextes?

Mittwoch, 23. Februar 2011

Studium, Arbeit, Kind

In London sieht das zum Beispiel so aus:

Studium unterbrochen - und jetzt?

Basma ist Anfang, Mitte Zwanzig. Sie kommt aus Syrien. Ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften hat sie in Syrien abgeschlossen, bevor sie Baschir, der aus Syrien stammt, aber in Deutschland aufgewachsen ist, geheiratet hat. Baschir hat seinen Master in London gemacht und arbeitet dort jetzt für seine englische Bank. Basma hat auch einen Master in London begonnen, in Internationaler Politik, aber dann wurde sie schwanger. Der kleine Osman ist jetzt 9 Monate und Basma denkt, sie sollte jetzt langsam ihr Studium zu Ende bringen. Mit Kind kommt sie dabei aber nicht weit. Ihre Schwester in Syrien hat jetzt vorgeschlagen, dass sie das Kind doch für ein paar Monate zu ihnen bringen soll. Aber Basma ist sich nicht sicher - ist Osman dafür nicht noch zu klein?

London - Ghana

Manou kommt aus Ghana. Sie studiert für ein Jahr in London, Development an einer selbst für England sehr guten Uni; das wird sie weit bringen, wenn sie in einem Jahr in ihr Land zurückkehrt. Ihr Sohn ist zwei, sie hat ihn zu Hause gelassen, bei seinem Vater und den Großeltern.

Keine Zeit

Alessa ist in Deutschland und Griechenland aufgewachsen. Sie lebt seit einigen Jahren mit ihrem Mann, der aus Nigeria kommt, in London. Sie wohnen in einer Sozialwohnung in einem schönen Viertel im Osten der Stadt. Der kleine Marco geht halbtags in den Kindergarten. Alessa bleibt mit der kleinen Tania, die gerade 10 Monate geworden ist, zu Hause. Morgens ist die ganze Familie zu Hause, Alessas Mann geht gegen Mittag auf die Arbeit und kommt spätabends zurück. Seit einigen Wochen arbeitet Alessa wieder am Wochenende. Ihr Mann passt dann auf die Kinder auf - aber Zeit, um sich mal zu treffen, hat sie jetzt erst mal nicht mehr.

Ohne Kindergarten wuerds nicht gehen

Als die Lieselotte zum Studium nach London gekommen ist, hat sie den Alimustafa und das Lieschen mitgebracht. Der Alimustafa arbeitet und das Lieschen geht in den Kindergarten, jeden Tag von morgens bis abends. Anfangs meinte die Lieselotte noch, es wäre nicht gut, das Kind den ganzen Tag in der Betreuung zu lassen und hat es schon nachmittags abgeholt, aber das hat sich schnell geändert. Lieselotte braucht die Zeit zum Lernen, das Lieschen ist glücklich mit den anderen Kindern und den Betreuern - es könnte nicht besser passen. Nur abends und an den Wochenenden, da wird das nicht so richtig was mit dem Lernen.

Teuer

Damian, der auch aus Deutschland kommt, macht seinen Doktor an einer Uni in London. Seine Frau, eine Französin, hat einen gut bezahlten Job in einer Bank. Das Geld brauchen sie dringend, weil er wirklich kaum was verdient. Ihr Sohn ist ein Jahr und Damian schreibt jetzt wieder Bewerbungen, weil sie noch ein Kind erwarten. Er hat ausgerechnet, dass sie dann alleine für Miete und Kinderbetreuung 4000 Pfund (ca. 4800 Euro) pro Monat brauchen. Mit nur einem Job ist das nicht zu machen. Währenddessen sorgt sich seine Frau, wie das nächste Gespräch mit ihrem Chef laufen wird. Dass sie wieder schwanger ist, hat sei auf der Arbeit noch nicht gesagt.

Dienstag, 22. Februar 2011

Und jetzt Libyen

Die Revolution ist in Libyen angekommen. Hunderte von Toten an nur einem Wochenende. Am Montagnachmittag kommt Samira mit verheulten Augen in den Gebetsraum an der Uni. Sie ist zwar in Grossbritannien geboren und aufgewachsen, aber ihre Familie stammt aus Libyen. Auf Al-Jazeera heisst es, die Armee schiesse auf Demonstranten. Ganz besonder schlimm sei es in der Stadt Benghasi, da kommt ihre Familie her. Zu Hause sei die Stimmung ganz schlecht, meint sie. Sie habe ihren Vater in ihrem Leben nur zweimal weinen gesehen. Heute sei das dritte Mal gewesen.

Wir troesten sie, fragen sie, ob sie Kontakt mit ihrer Familie haben und sagen, naja, das wird schon, die sind doch bestimmt zu Hause, in Sicherheit. "Zu Hause?", sagt Samira, "Quatsch! Die kaempfen! Wir wollen den doch loswerden, Qadhafi, diesen Verbrecher!", und sie bricht wieder in Traenen aus. Bei jedem Telefonanruf, meint sie, hat sie wieder diese Angst, dass es die Nachricht vom Tod eines ihrer Onkel oder Cousins sei, die sich den Kaempfenden angeschlossen haben.

Eines der Maedchen, aus dem Libanon, lacht, zuckt mit den Schultern und meint: "Naja, was soll ich sagen, wir sind das gewoehnt". Sie schaut zu ihrer Freundin, die aus Aegypten kommt und meint: "Aber bei ihr kannst du dir Rat holen, sie hat das grade hinter sich." Samira nickt, sagt "Bei uns war ja nie was", und bricht dann doch wieder in Traenen aus. Ich nehme sie in den Arm. Da ist sie, die Revolution. In Libyen, aber laengst auch schon in London.

Montag, 21. Februar 2011

Südindische Köstlichkeiten

Wir haben zurzeit zwar nicht wirklich das Geld dafür, aber am Wochenende waren Alimustafa, das Lieschen und ich mal wieder Dosa essen. Dosa ist eine Spezialität der südindischen Küche. Die Fladen aus Reis- oder Bohnenmehl sehen ungefähr so aus wie Pfannekuchen, sind aber nicht süß und werden mit verschiedenen Soßen und Chutneys serviert. In London gibt es die besten angeblich bei Chennai Dosa, die so erfolgreich sind, dass sie eine ganze Reihe von Restaurants über die ganze Stadt verteilt eröffnet haben. Die Einrichtung ist einfach bis schäbig, der Service nicht besonders und die Toiletten ekelerregend - aber alles wird ausgeglichen durch das göttliche Essen (aber Achtung: SCHARF!).

Serviert wird das Essen auf einfachen metallenen Tellern; Plakate an der Wand fordern zum Essen mit der Hand auf, das sei viel besser als "kalte, seelenlose" Gabeln und Messer zu verwenden. Einige der Restos haben nur vegetarische Gerichte (für die Hindus unter uns), alle anderen verwenden - soweit mir bekannt ist - halal Fleisch (das freut die Moslems). Das Publikum besteht dann auch vor allem aus (britischen) Indern und Pakistanis. Neben den Dosas sind ganz lecker auch Oothappam - mein Favorit! Und zum Schluss muss es ein Mango Kulfi sein - das hilft auch ganz gut gegen die brennende Schärfe, die sich in der Zwischenzeit so ziemlich überall vom Mund bis zum Magen verbreitet hat...

Sonntag, 20. Februar 2011

Konsumtempel

Und wenn man dann genug hat vom Multikulti-low in come-London im Osten der Stadt, setzt man sich in einen Zug der roten Central Line und fährt direkt von Stratford, Mile End, Bethnal Green in den Westen der Stadt, nach Shepherd's Bush. Keine fünf Minuten von der tube-Station entfernt ist das Einkaufszentrum Westfield.

Es war, als es vor vier Jahren eröffnete, das drittgrößte Einkaufszentrum in Großbritannien und beeindruckt auch heute noch durch seine Größe. H&M, Zara, Accessoires, Monsoon, FrenchConnection, Tommy Hilfiger, Prada, Gucci, Louis Vuitton - alle sind sie da. Im food corner lässt sich indisches, mexikanisches, arabisches, italienisches, chinesisches, englisches Essen kaufen - ich möchte nicht wissen, wieviel Geld hier jeden Tag ausgegeben wird. In den Hallen und Gängen der mall wimmelt es nur so vor reichen Arabern und Südasiaten, japanischen Touristen, ganz normalen Londoner Jugendlichen und ihren Altersgenossen von der Privatschule, die mit Papas Geld shoppen gehen.

Mich hat die Babyecke begeistert. Nicht nur, dass es drei Wickelplätze mit fließendem Wasser und Papiertüchern, eine Mikrowelle zum Aufwärmen von Babygläschen, einen TV mit Kinderprogramm, Schaukelpferde und Sitzgelegenheiten gab - nein, im hinteren Teil des Raumes fanden sich drei Séparées ("Umkleidekabinen?", dachte ich erst) mit gemütlichem Sessel und Beistelltischchen, blickdichter Schiebtür - Stillplätze waren das!

Donnerstag, 17. Februar 2011

Als Broder, Sarrazin und Co. an die LSE kamen

Henryk Broder, Thilo Sarrazin, Hellmuth Karasek und Ali Kizilkaya diskutieren an der LSE in London. Ueber Integration in Deutschland. Dass das keine ausgewogene Diskussion werden wuerde, war zu erwarten. Dass Publikum und Protestanten wuest beschimpft wuerden, es vor dem Veranstaltungssaal fast zu einer Schlaegerei gekommen waere, vielleicht eher nicht. Friedrich, der mit mir studiert, meinte, er habe sich danach einfach nur geschaemt, fuer sein Land. Und kaum einer meiner Freunde und Bekannten aus England, Kanada, den USA konnte verstehen, was fuer "Intellektuelle" wir uns da in Deutschland halten.

Am vernuenftigsten scheint Kizilkaya geredet zu haben. Man muss "Anderssein akzeptieren"; viele der Probleme, die man mit "Tuerken" in Deutschland habe, seien Schichtenproblem und nicht kultureller oder religioeser Art - so weit, so unspektakulaer. Die Anmerkung, dass man sich mit der Islamkonferenz einen "Islam auf Bestellung" zurecht machen wollte, war da wohl schon fast revolutionaer.

Auch von Broder kam nichts wirklich Ueberraschendes. Deutschlands Haltung gegenueber dem Islam ist "appeasement" (na klar), Migration an sich ist kein Problem, sondern der Islam (ja genau), was man daran sieht, dass es mit Persern und Aleviten keine Probleme gaebe (was fuer eine differenzierte Sicht der Dinge, ich bin beeindruckt).

Und auch Sarrazin fuhr die Schiene, die man halt so von ihm gewoehnt ist: Deutschland wandelt sich, das waere normal, aber an diesem Wandel sei nichts Gutes (wo lebt der Mann?).

Wir halten fest:

(1) Zur Zusammenstellung der Podiumsgaeste: Nun, ja. Ausgewogenheit sieht anders aus. Man haette ja einen der beiden, Broder oder Sarrazin einladen koennen - und dazu dann jemanden, der den beiden richtig gut kontern kann. Und jemand, der was von Migration in Deutschland weiss, haette auch nicht nur einen Tuerken, einen Muslim eingeladen, sondern einen Vertreter einer anderen Migrantengruppe. Das waere zumindest ein Versuch gewesen, von dieser unleidlichen Islamfixierung der deutschen Integrationsdebatte weg zu kommen. Ausserdem waere es schoen gewesen, wenigstens eine Frau und / oder einen juengeren Diskussionsteilnehmer auf dem Podium sitzen zu haben. Sarrazins, Broders, Karaseks, Kizilkayas Deutschland - das ist nicht unser Deutschland.

(2) Broder spielt wirklich auf unterster Liga. Auf seinem Blog heulte er, die LSE habe "gekniffen" und die Veranstaltung aus Feigheit abgesagt, dabei letztes Jahr aber kein Problem gehabt, Ghaddafi einzuladen. Ghaddafi hat per Videouebertragung an der LSE gesprochen, so wie eine ganze Reihe auslaendischer Staatsfuehrer das regelmaessig machen. Als Beispiel haette der gute Herr Broder dann vielleicht doch lieber den Vortrag des Herausgebers der arabischen Zeitung Al-Quds al-Arabi Abdel Bari Atwan, der fuer seine kontroversen Aussagen zur HAMAS bekannt war, erwaehnen sollen. Nach Protesten und ner Menge Aufruhr waehrend der Veranstaltung wurde der zweite Teil des Vortrags aus Sicherheitsgruenden abgesagt. Genau wie dieses Mal. Einmal sind die HAMASis dran, einmal die Islamopaniker - was hat das mit Feigheit oder Blindheit auf dem muslimischen Auge, wie Broder unterstellt, zu tun?!

(3) Und warum Broder, der ausfaellig wird, poebelt, und denen, die nicht konform mit ihm gehen, fast eine auf die Nase haut, warum der so viel besser sein soll als die testoterongetriebenen Jugendlichen mit deutscharabisch- oder -tuerkischem Hintergrund in Deutschlands Staedten, ueber die der Gute sich so gerne beschwert - das muss mir erst noch einmal einer erklaeren.

(3) Bleibt zu hoffen: Dass die alten, selbstgerechten Maenner bald abtreten. Euer Deutschland ist nicht unser Deutschland. Und wenn einer wie Hellmuth Karasek froh ist, "zu alt zu sein", um "das Schlimmste", was Deutschland bevorsteht, noch zu erleben, dann tut der Mann mir Leid. Was waere Berlin ohne seine deutsch-tuerkischen Baeckereien, in denen man simit und Kaiserbroetchen kaufen kann; was waere Frankfurt ohne seine indischen Restaurants, in denen das Essen fast besser schmeckt als in Indien; oder Muenchen ohne seine italienischen Restos, in denen sowieso fast nur Inder in der Kueche stehen? Was wuerden wir machen ohne einen Wladimir Kaminer, ohne Rafik Schami, Herta Mueller, Fatih Akin?

Mittwoch, 16. Februar 2011

Ethnische und religiöse Kriege

Auf dem Balkan sprach man von "ethnischen Säuberungen", in Israel/Palästina ist die Rede von "religiösen Fanatikern auf beiden Seiten" und im Irak stehen sich "Sunniten, Schiiten und Kurden" gegenüber. Wie religiös aber sind diese Kriege tatsächlich? Welche Rolle spielt der unterschiedliche ethnische Hintergrund der Kriegsparteien? Kämpfen im Nahen Osten Juden gegen Muslime (und Christen), Juden gegen Araber, Israelis gegen Palästinenser - wie soll man diese Konflikte lesen? So, meint der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler:

"Dass die ethnischen und religiösen Erklärungen der neuen Kriege so attraktiv sind, dürfte vor allem daran liegen, dass die Kriege damit, zumindest implizit, für irrational erklärt werden können: Wenn sie von antiquierten, unaufgeklärten Einstellungen und Motiven angetrieben werden, so liegt es nahe, ihnen mit dem Instrumentarium der Aufklärung zu Leibe zu rücken. (...) Solange man sich mit den ökonomischen Strukturen dieser Kriege nicht beschäftigt hat, kann man dem bequemen Glauben anhängen, Rationalisierung und Pazifierung würden auch hier, wie in den Staaten der OECD-Welt, Hand in Hand gehen. Schaut man jedoch näher hin, erkennt man, dass die neuen Kriege in vieler Hinsicht selbst das Ergebnis ökonomischer Zweckrationalität sind beziehungsweise dass zweckrational handelnde Akteure in ihnen eine bedeutende Rolle spielen: auf Seiten der Unternehmer, der Politiker und nicht zuletzt der Bewaffneten."

Herfried Münkler: Die neuen Kriege. Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 2002.

Dienstag, 15. Februar 2011

Zweifeln

"It is proper for you to doubt, to be uncertain.

Do not believe what has been acquired by repeated hearing; nor upon tradition; nor upon rumor; nor upon what is in a scripture; nor upon surmise; nor upon an axiom; nor upon specious reasoning; nor upon a bias towards a notion that has been pondered over; nor upon another's seeming ability; nor upon the consideration, 'So and so is our teacher.'

When you yourselves know: 'These things are bad; these things are blamable; undertaken and observed, these things lead to harm and ill,' abandon them.

When you yourselves know: "These things are good; these things are not blamable; undertaken and observed, these things lead to benefit and happiness," enter on and abide in them.'"

Gautama Buddha

Montag, 14. Februar 2011

Freitag, Samstag, fertig jetzt

Am Freitag wurde das endlich was mit der Revolution in Ägypten. Juhu, Mubarak ist weg! Als ich Heute, Tagesschau, SPIEGEL, Aljazeera, Le Monde und The Guardian gecheckt hatte (und alle Ägypten auf der Seite Eins hatten und sich einig waren, dass Mubarak tatsächlich zurückgetreten war) und ich mich umdrehte, sah ich, dass auch alle anderen in dem kleinen Computerraum an meiner Uni vor Nachrichtenbildern aus Ägypten saßen. Auf Facebook waren alle begeistert: meine arabischen Freunde in Frankreich, die schon seit Tunesien mitfieberten und immer noch auf ein "als nächstes ist Palästina dran!" hoffen, meine Freunde von der Uni hier in England, die aus Deutschland, meine Mutter, Leute, mit denen ich früher mal in der Schule war ... alle.

Am Freitagabend traf ich in der U-Bahn auf dem Weg nach Hause Nadia, ihren Mann und dreijährigen Sohn. Beide mit Buggy und Kleinkind ausgestattet, kamen wir ins Gespräch. Woher ich käme, woher sie kämen - oh, aus Ägypten. Hatte ich also gleich jemanden, dem ich live gratulieren konnte. Mir ist erst später eingefallen, dass ich ja genauso gut auch in zwei felsenfeste Mubarak-Anhänger gerannt sein könnte, aber sie haben sich höflich bedankt und mich für den nächsten Tag auf den Trafalgar Square zum Feiern eingeladen.

Am Samstagvormittag schreibt der SPIEGEL ziemlich nüchtern: "Revolution in Ägypten - jetzt also doch" - aber vielleicht sieht man die Dinge so, wenn man schon seit Wochen über das, was dort passiert im Nahen Osten, berichtet. Israels Regierung ist froh, dass das ägyptische Militär erst mal die Führung übernommen hat, das garantiere "Stabilität im Nahen Osten" - oje.

Und am Samstagabend vertreiben Peter Alexander (tot) und Thomas Gottschalk (will abtreten) Ägypten von der Seite Eins. Das war's. Obwohl's jetzt erst richtig los geht.

Sonntag, 13. Februar 2011

Ein blonder Sayyid, ein englischer Shaykh, Facebook und der Prophet

Habib Allah - The Beloved of Allah
Shaykh Ahmed Saad / Shaykh Zahir Mahmood
London, 4. Februar 2011

Ein Vortrag über Habib Allah, den Propheten? Ich war etwas skeptisch. Nicht dass das Thema unwichtig wäre. Aber nach dem fünften Buch, dem siebten Vortrag dazu schien es mir eher unwahrscheinlich, noch viel Neues dazu zu lernen.

Meine Skepsis verstärkte sich, als ich mit dem Lieschen im Schlepptau, den Saal betrat und links die Frauen und rechts die Männer saßen. Hm. Ich setzte mich zu den Frauen; die Veranstaltung hatte schon begonnen, oben auf dem Podest saß einer und rezitierte sehr klangvoll aus dem Qur'an. Langsam trafen die beiden Referenten ein. Beide trugen sie lange, weite Gewänder in dunkelgrün, erdbraun, weiß, schwarz, dazu Turban und Vollbart. Sie wurden kurz vorgestellt von einem jungen Studenten, der zu seinem Minibart ein weißes Käppchen, langes dunkles Gewand und Turnschuhe trug. Auf Facebook habe er die beiden ausfindig gemacht, das sei ja heute alles viel einfacher als früher, subhanallah!

Einer der beiden Referenten
, ein blonder Sayyid aus Ägypten, der an der al-Azhar, in Deutschland und Kalifornien studiert hatte, sprach als erstes. Hörte sich alles ganz vernünftig an. Dann war der zweite dran. In Großbritannien geboren, hatte er an verschiedenen islamischen (Hoch)schulen in England, Pakistan und Südafrika studiert und schließlich noch einen Bachelor in Theologie von der Universität Birmingham drauf gesetzt.

Er hat ein paar richtig gute Anmerkungen gemacht:

Zum islamischen Staat: Jetzt, während es in Ägypten revolutioniert, würden viele ja wieder vom islamischen Staat sprechen, als wäre, wenn Ägypten ein islamischer Staat wäre, alles gut. Er halte nichts von einem solchen Schwarz-Weiß-Denken: "Vergesst nicht", meinte er, "ein islamischer Staat, der besteht auch nur aus mir und euch; ob und wie gut er ist, hängt von den Menschen ab, die in ihm leben".

Zur Pluralität der Meinungen im Islam: Die müsse akzeptiert werden. "It's just me and my boys - and everybody else goes to hell" wäre einfach nicht the way to go.

Zur Kategorisierung der Muslime in Praktizierende und Nicht-Praktizierende: "Mashaallah, er praktiziert den Islam!" - was heißt das überhaupt, "er praktiziert"? Man solle, so der Shaykh, viel öfter hinterfragen, wie man eigentlich spricht. Woran sieht man, dass jemand praktiziert? Am Bart? Daran, dass er manchmal betet? Am Kopftuch? (Hier hatte er wahrscheinlich die meisten Lacher auf seiner Seite - als er meinte: 'Vor allem, wenn es "upstairs hijab and downstairs Holly- or Bollywood' ist".)

Dazu, wie die Religion oft als Vorwand genommen wird: Wie kommt es, meinte er, dass so viele bereit sind, "für den Islam zu sterben", aber längst nicht so viele, im Einklang mit dem Islam zu leben?

Da stand er also, der Shaykh aus England, der in Südasien, Südafrika und Mittelengland studiert hatte, stand da in seinem traditionellen Gewand, mit Turban und Bart in dem großen, weiß gestrichenen Saal, unter ihm gewachstes Parkett, über ihm die Stuckdecke - und wenn das nicht Ost und West in bester Harmonie waren ... dann weiß ich auch nicht weiter.

Samstag, 12. Februar 2011

Friedensglossar

Sehr hilfreich für Studenten der Friedens- und Konfliktforschung, Praktiker auf dem Gebiet und alle, die sich einfach nur für das Thema interessieren, ist die Publikation

A Glossary of Terms for Conflict Management and Peacebuilding,

die dieses Jahr vom United States Institute of Peace veröffentlicht wurde. In wenigen Worten, sehr anschaulich und auch für Laien verständlich werden hier Grundbegriffe der Friedens- und Konfliktforschung erklärt. Super! (Findet die Lieselotte.)

Freitag, 11. Februar 2011

Nachkriegsgeschichte(n)

Wäre ich nächste Woche in Berlin, würde ich da hin gehen:

Donnerstag, 17. Februar 2011
20.00 Uhr

Nach dem Krieg - Geschichte bezeugen, Geschichten erzählen

Mit Brigitte Döbert und Katharina Wolf-Grießhaber
Moderation: Volker Weichsel (Zeitschrift OSTEUROPA)

"Was auf der Landkarte 1991, zu Beginn des Bosnienkriegs, noch wie ein bunter Flickenteppich aussah, hatte sich mit Kriegsende 1995 und dem Dayton-Vertrag in drei große Farbfelder auseinanderdividiert: Seither leben muslimische Bosniaken, katholische Kroaten und orthodoxe Serben nach Ethnien getrennt in zwei weitgehend autonomen "Entitäten", der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska.

So kompliziert das neue Staatsgebilde, so frisch sind noch die Narben des Krieges. Die sogenannten ethnischen Säuberungen, das Aushungern der Enklaven, die Massaker an der Zivilbevölkerung, die im Genozid an den bosnischen Muslimen in Srebrenica gipfelten, auch das Versagen der internationalen Gemeinschaft - wie lässt sich darüber schreiben? Lässt sich mit Worten "dem Wahnsinn Sinn verleihen" (Suljagic), "das geborstene Bild der Welt kitten" (Jergovic)?

Der Bosniake Emir Suljagic (geb. 1975), der dem Massaker von Srebrenica entging, weil er als Dolmetscher für die Uno arbeitete, und der bosnische Kroate und vielfach ausgezeichnete Schriftsteller Miljenko Jergovic (geb. 1966) beide haben, aus zeitlichem und räumlichem Abstand, über den Krieg geschrieben.

Katharina Wolf-Grießhaber hat Suljagics "Srebrenica. Notizen aus der Hölle" (Zsolnay 2009) aus dem Bosnischen, Brigitte Döbert Jergovics Sarajevo Marlboro" (Schöffling 2009) aus dem Kroatischen übersetzt. Im Gespräch mit Volker Weichsel (Zeitschrift Osteuropa) stellen die
Übersetzerinnen, Expertinnen des sprachlichen Abstands, die beiden Bücher vor.

Eine Veranstaltung der WELTLESEBÜHNE in Zusammenarbeit mit der Literaturwerkstatt Berlin, gefördert durch die Robert Bosch Stiftung.

Ort:
Literaturwerkstatt, Kulturbrauerei Haus 8.0,
Knaackstr. 97, 10435 Berlin
Eintritt 5 Euro, ermäßigt 3 Euro

Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an den Veranstalter (http://www.weltlesebuehne.de/berlin.html)."

Sonntag, 6. Februar 2011

Kampfhund

(1) Das Lieschen schnarrt. Manchmal so laut, dass wir uns schon überlegt haben, ob wir das Kind aus dem gemeinsamen Bett ins Wohnzimmer ausquartieren sollen.

(2) Letztens auf dem Spielplatz. Wir waren gerade angekommen und das Lieschen schon unterwegs in Richtung Rutsche oder Karussel. Außer uns waren nicht viele Leute da, kein Wunder, das Wetter war mal wieder englisch kalt-nass-grau. Und während ich da stand und den Kindern auf der Schaukel zusah, hörte ich auf einmal ein Knurren hinter mir. "Oh nein", ich drehte mich um und suchte den eingezäunten Spielplatz mit den Augen nach einem Hund ab. Es wäre nicht das erste Mal, dass mir ein Riesenhund (dem Knurren nach war das ein ganz großer) auf dem Kleinkinderspielplatz über den Weg läuft. In der Gegend, in der wir früher gewohnt haben, ist dem Lieschen und mir allen Ernstes mal ein unbegleiteter fieser Beißhund - so einer von der Kampfsorte - begegnet (so schnell war ich noch nie ganz oben auf einem Klettergerüst gewesen, das könnt ihr mir glauben). Jetzt schaute ich also - sah aber nichts. Komisch. Drehte mich wieder Richtung Schaukeln, und da - da war es wieder. Das war eindeutig ein Hund, und anscheinend ein richtig aggressiver. Aber wo? Ich guckte und guckte, und als mein Blick auf den Buggy, den da jemand neben den Schaukeln abgestellt haben musste, fiel, hörte ich es wieder - und wieder - Nein, das konnte nicht sein! Kein knurrender Hund, sondern ... ein schnarchendes Baby?

(3) So schlimm ist es vielleicht doch nicht mit dem Lieschen.