Donnerstag, 15. März 2012

Auslaenderfeindlichkeit im Alltag

Oder: persoenliche Erfahrungen. Oder: Wien ist anders.

Ich komme aus [einer deutschen Grossstadt]. Auslaenderfeindlichkeit, Rassismus, Islamophobie habe ich persoenlich, im direkten Kontakt mit anderen nicht bewusst erlebt. Kaum bewusst erlebt. In meiner Studienzeit in [Stadt im Osten der Republik] und in [Stadt in Frankreich] und zu Besuch in der Tuerkei hatte ich ein paar Begegnungen mit ganz besonders freundlichen - mir fremden - Zeitgenossen, die meinten, mir ihren Enthusiasmus ueber mein Kopftuch, meine Religion, mein (vermeintliches) Auslaendersein an den Kopf schleudern zu muessen. Einmal habe ich vor meiner Kopftuch- und Islam-Zeit von einer Gruppe Habescha-Jungs einen antideutschen Kommentar zu hoeren bekommen. Aber das war's. Mehr war da nicht.

Wien ist anders

Umso mehr erstaunt es mich, dass die Situation hier in Wien ganz anders zu sein scheint. Multikulti gibt's hier auch, Wien ist genauso eine europaeische Grossstadt wie London, Paris, Berlin. Dennoch haben es nur die Wiener hinbekommen, mir innerhalb von nur einer handvoll Monaten mindestens drei auslaenderfeindliche, rassistische, islamophobe Verbalattacken zu bescheren.

Situation 1 ... beschrieb ich hier.

Situation 2: Fruehmorgens an der U-Bahn-Haltestelle. Es ist - vor sechs Uhr - noch dunkel und kaum jemand unterwegs. Ich, gesundes Selbstbewusstsein, fuehle mich trotzdem sicher. Als sich eine scheinbar Obdachlose auf die Bank neben mich setzt, denke ich noch, "die arme Frau, bei dem Wetter auf der Strasse". Als sie anfaengt zu schreien und einen imaginaren Freund zu beschimpfen, tut sie mir noch mehr Leid. Bis ich auf einmal ein "Scheisszugewanderte" heraushoere und begreife, dass die Ansage an mich gerichtet ist. Ich habe das Lieschen bei mir und will nichts riskieren. Zum Glueck stehen ein paar dutzend Meter weiter mehr Leute, schnell bin ich aufgestanden und weg. Mit Verwirrten argumentiert man nicht.

Situation 3: Am spaeten Nachmittag in der Strassenbahn. Emel, das Lieschen und ich sind zusammen unterwegs zu Bekannnten. Als der Mann, vielleicht Ende Vierzig, zusteigt, starrt er uns Kopftuchtanten schon an wie Ausserirdische und laesst uns auch waehrend der Fahrt nicht aus dem Blick. Das habe ich nicht bemerkt, Emel mir spaeter gesagt. Kurz vor dem Aussteigen, er steht direkt neben uns, rotzt er, schoen laut, eine Ladung Schleim von irgendwo aus den Tiefen seines Halsnasenohrensystems nach oben. Boerks. Emel und ich schauen uns an und denken das gleiche. Wie widerlich. Die Bahn steht noch, der Mann ist schon draussen auf dem Bahnsteig und ich bin mit dem Lieschen beschaeftigt, bemerke gar nicht, was passiert, bis Emel sagt: "so ein Rassist". Wir sehen durch die Scheibe, wie er steht dort draussen und uns auf unglaublich vulgaere Art die Zunge rausstreckt und so tut, als wuerde er sich uebergeben.

Islamophob oder einfach nur ein Idiot?

Es gab noch mehr unschoene Erfahrungen, die ich in den paar Monaten, in denen ich Wien mit meiner Anwesenheit beglueckt habe, machen musste. Eindeutig rassistisch / auslaenderfeindlich / islamophoben Motiven zuordnen wuerde ich nur diese drei. Weil woher will man wissen, ob die Frau in der U-Bahn, die einen anschnauzt, "bewegst du dich jetzt mal endlich" oder der Mann auf der Strasse, der den vier Kopftuchmaedchen zuruft, "macht ihr jetzt mal langsam Platz" (und und und) nicht einfach nur unglaublich unhoeflich sind? Es gibt viele Leute, die aehnlichen diskriminierenden und degradierenden Attacken ausgesetzt sind, und irgendwann anfangen, ueberall den Auslaenderfeind zu sehen. Da muss man aufpassen, es passiert schnell, aber hilfreich ist es auch nicht.

1 Kommentar:

Anisah hat gesagt…

Ja. Sowas zermürbt und verleitet zur Selbstzensur.