Mittwoch, 5. Oktober 2011

Von Ilyas

...der fuer sein Land kaempfen wollte

Als ich Ilyas in Frankreich kennen lernte, war er 18, einige Jahre jünger als ich. Wir studierten an der selben Universität in Frankreich und er war einer der wenigen anderen Muslime, so haben wir uns kennen gelernt. Er wurde einer meiner besten Freunde dort. Als ich fragte, woher seine Familie stammte, sagte er: "Ich bin Syrer", dabei hatte er den Großteil seines Lebens in Frankreich verbracht. Ein Jahr war er, als seine Eltern mit ihm nach Europa gekommen waren. Dass er in Damaskus geboren war, erzählte er mir voller Stolz. Seine Eltern waren Ärzte und lebten mit ihren drei Söhnen und der Tochter in einer kleinen Stadt im Norden Frankreichs. Ilyas besuchte sie an den Wochenenden. Ilyas war intelligent, gebildet, höflich, gutaussehend - wie stolz sie auf ihren ältesten Sohn sein mussten.

Hochschulengagement vom Regime nicht gern gesehen

Als ich an der Uni eine Hochschulgruppe gründen wollte, war Ilyas von der Idee begeistert und sagte mir seine Hilfe zu. Gemeinsam mit einer Reihe anderer Kommilitionen arbeiteten wir an der Idee und wollten unsere Gruppe gerade bei der Universitätsverwaltung anmelden - was nötig war, um als offizielle Studentengruppe der Uni anerkannt zu werden -, als Ilyas mir plötzlich erklärte, dass er zwar gerne weiter mit uns arbeiten würde, sein Name aber in keinem Fall auf der Webseite der Gruppe oder der Universität vermerkt sein dürfte. Sein Vater hatte ihn daran erinnert, dass er aus Syrien stammte und dass die Familie in enorme Schwierigkeiten kommen könnte, falls Ilyas Name in Verbindung mit einer Hochschulgruppe im Ausland im Internet zu finden sei. So kam es, dass nicht Ilyas sondern zwei weitere Freunde von mir mit mir gemeinsam als offizielle Gründer unserer Gruppe bei der Hochschulverwaltung registriert wurden.

Sein Heimatland im Kriegsfall verteidigen

Ich weiß nicht mehr, wie wir darauf kamen, aber irgendwann meinte Ilyas, dass, wenn jemals ein Krieg gegen Syrien geführt werden würde, er natürlich in sein Heimatland, wie er es nannte, fahren würde und sich an seiner Verteidigung beteiligen würde. Da saßen wir in der Mensa einer französischen Universität, neben uns seine besten Freunde Eloise, Anna und Mathieu, die gerade mit uns in der Vorlesung gewesen waren, und unterhielten uns auf Französisch über die Möglichkeit eines Krieges im Nahen Osten und dass er, Ilyas, der Franzose, in diesem Falle die Heimat seiner Eltern mit der Waffe in der Hand verteidigen wollte. Surreal? Ja, ein bisschen schon.

Krise im Nahen Osten

Ein paar Monate später war ich im Nahen Osten, nicht in Syrien, aber nicht weit von dort. Das Thema überall war der neuste bewaffnete Zusammenstoß an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon. "Und", fragte meine Freundin Lana ihren Bekannten Mahmoud, mit dem wir auf der größten Einkaufsstraße der Stadt unterwegs waren, "was glaubst du, wenn das Ganze so weiter geht, meinst du, die Syrer greifen auch ein?" Mahmoud lachte und sagte schnell etwas auf Arabisch. Lana nickte und sah ihn an. Ich bat um Übersetzung und als sie mir erklärte, was er gesagt hatte, glaubte ich für einen Moment, nicht atmen zu können: "Wir fragen uns alle, warum die Syrer nicht schon längst eingegriffen haben". Ich dachte an Ilyas, wie jung er war, und dass er, falls es zu einem Krieg zwischen Israel und Syrien kommen sollte, vielleicht wirklich glauben würde, das Land, dass er tatsächlich doch nur aus den Sommerferien kannte, als Soldat verteidigen zu müssen. Mir war schlecht und auf Einkaufen hatte ich keine Lust mehr.

Volksaufstand in Syrien

Dass alles ist Jahre her. Ilyas ist in der Zwischenzeit älter als ich es damals war. Er hat sein Studium beendet, sich für einen Ausbildungslehrgang zum Beamten beworben, in den er aufgenommen wurden, eine Prüfung nach der anderen bestanden und wird in einigen Jahren wohl in irgend einem Ministerium für Frankreich, sein Land, arbeiten. Und dann war plötzlich tatsächlich Krieg in Syrien. Das syrische Volk lehnte sich endlich, endlich gegen das Regime auf, dass es seit Jahren unterdrückte hatte und ich dachte, beschäftigt mit Studium, Arbeit und Familie, nicht gleich an Ilyas. Erst als sich die Berichte aus Syrien sich häuften, fiel er mir ein und was er damals gesagt hatte.

Cousin verhaftet, Nachbar ermordet

Aber Ilyas fuhr nicht zum Kämpfen nach Hause. Er saß zu Hause vor dem Fernseher und Computer, sah sich Nachrichtensendung über Nachrichtensendung, Youtube-Video über Youtube-Video, Zeitungsartikel über Zeitungsartikel durch. Ein Cousin wurde verhaftet, der nächste, ein Freund aus Kindestagen, und er konnte nur hoffen, dass sie Folter und Erniedrigungen entgehen würden und bald freigelassen werden würden. Wenn ich in den Nachrichten von der Ermordung noch eines Regimekritikers hörte, las ich nicht viel später, dass Ilyas die Familie seit Jahren kannte, es Nachbarn waren, er mit den Söhnen als Kind gespielt hatte.

Vor dem Bildschirm...

Ilyas
ging auf Demos in Frankreich, eröffnete einen Twitter-Account und postete regelmäßige Updates zu den Entwicklungen in Syrien und der Region. Welche Freude, als Ben Ali, der Diktator, Tunesien verlassen musste! Welche Erleichterung, als Mubarak, auch der ein Diktator, abdanken musste! Ungläubig verfolgte er das Vorstoßen von Rebellen und westlichen Allierten in Lybien - aber was war mit Syrien? Seit Monaten wurden die Proteste des Volks nun fortgeführt, seit Monaten antwortete das Regime auf jeden Widerspruch mit brutalster Gewalt - und Ilyas konnte nicht viel mehr tun, als die Geschehnisse zu Hause vor dem Bildschirm mitzuverfolgen.

...bis nachts um drei

Ein Video von der Hinrichtung eines syrischen Journalisten durch regimenahe Sniper, auf das er auf Youtube gestoßen war, veröffentlichte er, noch eins, auf dem nächsten war es ein kleines Mädchen, dass durch einen Bauchschuss ums Leben gekommen war, dann eine alte Frau, deren Blut die Straße tränkte, noch ein Video und noch eins und noch eins, und ich sah ihn nicht, aber ich wusste, wie er sich quälte, konnte mir vorstellen, wie er glaubte, all diese Filme zu sehen, um, wenn er doch letztendlich nicht viel ausrichten konnte, wenn er nicht in Syrien, nicht bei seinen Freunden, seinen Nachbarn, seiner Familie war, doch wenigstens so am Geschehen zu sein, mitzufühlen, bei ihnen zu sein. Ich wollte ihm sagen, dass er das lassen sollte, dass er sich informieren und Nachrichten sehen konnte, aber dass bis spät in die Nacht Hinrichtung über Hinrichtung auf dem Bildschirm zu verfolgen, keinem der Menschen dort helfen würde. Ich wollte es ihm sagen. Und habe nichts gesagt.

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Gratuliere zur Ankunft im richtigen Leben, bzw. beim richtigen sterben.

"Wir fragen uns alle, warum die Syrer nicht schon längst eingegriffen haben". (2006 wohl)

Schade aber auch, dann hätten die Zionisten Assad vor fünf Jahren nämlich weggeblasen. (Hatten sie in Aussicht gestellt)

Da sie aber tückischerweise von der Hizb'a-Lat (Trendiger Slang unter bestimmten Aufständischen) doch noch etwas übrig gelassen haben, werden die Syrer jetzt auch noch von bärtigen snipers massakriert und nicht nur von Assads strengrasiert-säkularen.

Die Türkei läßt ihre Passivität mit einer Drohung Assads entschuldigen, Tel Aviv zu vernichten, wenn ihm irgendwer was tue. Allerdings beginnt gerade ein türkisches Mannöver in Grenznähe.

Mal sehen.

Der unter sturen Westfalen aufgewachsene Germanist Ammar Cheikh Omar hat seine Konsequenzen gezogen (mal googlen, lohnt sich).

Er ruft als Deserteur auf deutsch in Uniform zum Widerstand auf. War guter Antifa-Unterricht in Old-Germany vielleicht auch mit im Spiel. Hoffentlich verkaufen die Türken ihn nicht an Assad zurück für ein paar Kurden, wie den Obersten Harmoush ...

Lieselotte hat gesagt…

Da haben Sie Ihren politischen Syrien-Kommentar. Zufrieden?

Anonym hat gesagt…

"Zufrieden?"

Meine Zufriedenheit kann ich Ihnen als Maßstab nicht wirklich empfehlen.

Was ist, wenn ich erst zufrieden bin, wenn der Letzte tot ist ? Sie wissen doch, wer alles mit den Muslimen nie zufrieden sein wird. Vielleicht gehöre ich auch zu denen ...

Es ist Ihre Gemeinde, die verblutet und Sie tun so, als wäre es bloss eine Marotte von ein paar Lästerern. (Es schreiben und mahnen hier übrigens mehrere Leute "syrienkritisch".)

Ein paar noch nicht ganz Menschheitsvergessende gibt es erstaunlicherweise bei all dem Kulturkrampf noch.

Beide Seiten in Syrien bezeichnen ihre Toten als Märtyrer; aber keiner sagt die Einschränkung Inshallah ! dazu. Wie zufrieden siind Sie damit ?

Lieselotte hat gesagt…

"Meine Zufriedenheit kann ich Ihnen als Maßstab nicht wirklich empfehlen."

Die Frage war eher ironisch gemeint.

"Was ist, wenn ich erst zufrieden bin, wenn der Letzte tot ist ?"

Dann sollten Sie sich vielleicht fragen, wer von uns beiden der Extremist ist.

"Sie wissen doch, wer alles mit den Muslimen nie zufrieden sein wird. Vielleicht gehöre ich auch zu denen ..."

Aus Ihren bisherigen Kommentaren zu schliessen, hoert sich das ganz genauso an.

"Es ist Ihre Gemeinde, die verblutet..."

So so. Ich dachte, Denken in Kategorien von "uns" und "euch" waere out. Die Syrer sind also meine Gemeinde. Und wer ist Ihre? Die Katholiken in China? Die Atheisten in Nordkorea? Wann empoeren Sie sich ueber deren Unterdrueckung?

" ...und Sie tun so, als wäre es bloss eine Marotte von ein paar Lästerern."

Etwas genauer, bitte. Wo tue ich, als waere was nur eine Marotte von wem?

"(Es schreiben und mahnen hier übrigens mehrere Leute "syrienkritisch".)"

Ja, die Lieselotte zum Beispiel. Und was jetzt? (Davon abgesehen faellt es mir schwer, das "mahnen" zu nennen. "Hetzen" passt besser - ich koennte Ihnen ja bei Gelegenheit mal die Liste der Kommentare, die ich ob Ihrer Blutruenstigkeit hier nicht veroeffentlichen konnte, zukommen lassen.

"Ein paar noch nicht ganz Menschheitsvergessende gibt es erstaunlicherweise bei all dem Kulturkrampf noch."

Das sind Sie und die Jungs von PI, stimmt's?

"Beide Seiten in Syrien bezeichnen ihre Toten als Märtyrer; aber keiner sagt die Einschränkung Inshallah ! dazu. Wie zufrieden siind Sie damit ?"

Was ist denn das fuer eine Frage? Da wird in Syrien Religion politisch benutzt. Ist das jetzt irgend etwas Neues in der Geschichte der Menschheit?

Anonym hat gesagt…

"Die Frage war eher ironisch gemeint."

Mit allem hatte ich gerechnet, nur damit nicht.

"wer von uns beiden der Extremist ist."

Zur Zeit und wohl auf absehbare Zeit, ist die Wirklichkeit das Extremste. Was soll man da als Extremist noch extremes machen ? Wegkucken ist noch vergleichweise extrem. Schaff' ich aber nicht.

"wer alles mit den Muslimen nie zufrieden sein wird. " - "Aus Ihren bisherigen Kommentaren zu schliessen, hoert sich das ganz genauso an."

Mit der Zufriedenheit über die Moslems habe ich in der Tat die allergrößten Probleme; im Unterschied zu Putin, dessen Exportgüter, Waffen und Rohstoffe, immmer gefragter werden, je mehr sich die islamische Welt selbst inflammt.

"Mahnen" - "Hetzen" Wer jetzt noch hetzt, hat nichts verstanden.

"die Jungs von PI" - viele von denen verwechseln Borderline mit Vitalität.

"Wann empoeren Sie sich ueber deren Unterdrueckung?"

Ich schwanke zwischen Dauerempörung und gelegentlicher Hoffnung, dass es auch mal die richtigen treffen könnte. Meine Haltung ist ausgesprochen unchristlich. Keine Demut, viel Zorn.

"Ich dachte, Denken in Kategorien von "uns" und "euch" waere out."

Hab' ich auch mal mitgekriegt, dass das so sein soll; ich mißtraue dem Braten aber. Soweit sind die Leute noch nicht.

"Religion politisch benutzt. Ist das jetzt irgend etwas Neues "

Es scheinen nur noch Fehlverständnisse unterwegs zu sein. Wenn die Benutzung von Religion ein alter Hut ist; haben Sie dann deren Nichtbenutzung auch schon mal beobachtet ?

Anonym hat gesagt…

"ich koennte Ihnen ja bei Gelegenheit mal die Liste der Kommentare, die ich ob Ihrer Blutruenstigkeit hier nicht veroeffentlichen konnte, zukommen lassen"

Machen Sie doch mal einen Artikel draus: Arbeitstitel "Best of kuffar" vs. "Best of did-not-understand-religion".

Lieselotte hat gesagt…

Nein, das muesste dann schon heissen "best of hat-nicht-gelernt-sich-zivilisert-auszudruecken". Oder wahlweise "kann nicht diskutieren, ohne ausfallend zu werden".

In diesem Sinne,
Lieselotte

Anonym hat gesagt…

Immer diese Klischees von Religionskonflikt, etc. :

Hier gibt's: Sunniten für Assad !

http://www.voanews.com/english/news/middle-east/Top-Syrian-Cleric-Warns-of-Suicide-Bombs-if-West-Attacks-131485523.html

Der Mann droht mit Selbstmordanschlägen, falls der Westen Assad was tut; und das kurz nachdem sein Sohn ermordet wurde.

Schade, dass nur die Moslems sonne Power haben, sonst wär noch viel mehr los!