Samstag, 1. September 2012

Die gleiche Stadt war das nicht mehr

Oder: Ein Ort in Ostdeutschland vor der Wende 
und 10, 20 Jahre danach

In der Stadt, in der ich in Deutschland studiert habe, irgendwo im Osten der Republik, hatte sich 10, 20 Jahre nach der Wende viel getan. Ein Großteil der Häuser, vor allem im Zentrum der Stadt, waren saniert worden, manches abgerissen, und die eine Einkaufshalle, die andere Shopping Mall neu dazu gekommen. Das eine oder andere Gebäude stand zwar noch immer wie vor einigen Jahren da, aber die gleiche Stadt war das nicht mehr. Es sah neuer aus, schicker, weniger nach DDR, mehr nach neuem Deutschland, was immer das auch sein sollte.

Ein neuer Staat

Mit der Verabschiedung des alten Oststaates waren aber nicht nur neue Gelder für Stadtplanung und die Aufmöbelung der Infrastruktur in die Kasse geflossen, die Bewohner der Stadt sahen sich auch mit einer Umwälzung konfrontiert, die ihresgleichen sucht. Ein neuer Staat, neues Geld, neue Telefonnummern, Postleitzahlen, ein neues Schulsystem, neue Geschichten von Gut und Böse, neue Helden und Verlierer. Arbeitslosigkeit.

Perspektivlosigkeit

Perspektivlosigkeit. Ob hier irgendwann mal wieder irgendwas richtig ginge? Klar gab es noch lokale Betriebe, Einzelhandel, die Universität, eine Institution hier, eine Organisation dort, wo der eine oder andere unterkam (oder untergekommen bleiben konnte), aber insgesamt sah die Situation nicht rosig aus. Die, die konnten, packten. Und gingen. Und so kam es, dass die Einwohnerzahl der Stadt drastisch sank. Ab in den Westen. Gingen viele.

Wohnen wollte da keiner

Die Wohnungen, die sie hinterließen, die sie zuvor noch gemietet hatten, standen eine Weile leer. Waren saniert worden oder auch nicht. Aber irgendwann stellte sich die Frage, was zu tun sei mit Tausenden, Zehntausenden an leeren Wohnungen. Manches machte sich ja nach der Sanierung ganz gut. Neu verputzt und gestrichen, neues Bad, neue Küche und ein Balkon dran - das macht schon 'nen Unterschied. Aber anderswo in der Stadt wäre es wohl einfach zu teuer geworden, all diese Blöcke zu renovieren. Und: wohnen wollte da, etwas auswärts gelegen, keiner. Sanierte Platten (die nach der Renovierung eigentlich genauso aussahen wie ähnliche Wohnblöcke im Westen), sanierte Platten gab's auch näher am Zentrum, genauso nett renoviert, aber besser angeschlossen und schöner gelegen.

Stadtteile, die es nicht mehr gibt

Es gibt Leute, die, ungefähr so alt wie ich, in der Stadt, in der ich studiert habe, groß geworden sind, und die, wenn sie heute zu Besuch in die Stadt fahren - denn wohnen tun sie da schon lange nicht mehr -, das Viertel, in dem sie einst groß wurden, nicht mehr erkennen. Weil so viel abgerissen wurde, dass es den Stadtteil nicht mehr gibt, so nicht mehr gibt, wie vorher.

Gang der Dinge?

Wahrscheinlich ist das normal, und einfach der Gang der Dinge (hatten wir das nicht schon mal beim Thema Gentrifizierung?), und für die, die damals Kinder waren, einfach auch Teil des Erwachsenwerdens und Teil des Prozesses, zu verstehen, dass sich genauso wie sich die Dinge ändern, man selbst sich ja auch ändert - aber es gibt nun mal Leute, die, wenn sie zurück an den Ort fahren, an dem sie groß geworden sind, durch Straßen und an Häusern vorbei laufen können, die sich zwar verändert haben, aber noch da sind.

Bilder

Wie ich - wieder - auf das Thema komme? Durch eine Fotoserie einer jungen Fotografin, die Orte ihrer Kindheit - lange nach der Wende: es tut sich auch heute noch viel! - im Abstand mehrer Jahre wiederbesucht, abgelichtet und mit Aufnahmen, die dort in ihrer Kindheit entstanden sind, kontrastriert hat. Und durch diesen Artikel über einen jungen Mann aus dem Westen, der um 1990 und dann noch einmal zehn Jahre später Ansichten von Ostdeutschlands Innenstädten dokumentierte. Mensch, was ein Wandel!

Frankfurt (Oder). Oder Chemnitz. Brandenburg. Görlitz. Eberswalde. Cottbus. Greifswald. Rostock. Wismar. Stralsund. Freiberg. Zwickau. Halle. Magdeburg. Jena. Weimar. Oder so.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Mann, hab ich das Lied lange nicht gehört. Es ist mir absurderweise, das erste Mal im tiefsten Niederbayern begegnet. Als der Kommilitone meiner dort lebenden Freundin nicht fassen konnte, dass ich tatsächlich an diesem Nicht-Ort studiere. Hast du m.E. für Nicht-in-der-Materie-steckende (Wessis?) sehr einfühlsam zusammen gefasst, die Situation da ganz im tiefen Osten.