Mittwoch, 8. Februar 2012

Homs saigne*

In der Nacht von Freitag auf Samstag ging es los. Was da gerade im Gange war, hätte ich nie mitbekommen, wenn ich nicht zufällig noch zu ziemlich unchristlicher Zeit auf gewesen wäre. Plötzlich mehrten sich die Nachrichten von den Freunden, die einen direkten Syrien-Bezug haben. Wie Noora aus London, die Mutter Irin, der Vater Syrer. Oder Rania aus dem Libanon, die seit anderthalb Jahren in London studierte und Familie in Syrien hat - ein Cousin, Mitte Zwanzig erst, ein hübscher Junge, gerade fertig mit dem Studium, wurde vor einigen Monaten im Auto in Syrien ermordet, bis heute ist nicht bekannt, von wem. Und von Assia, der Schwester von Ilyas in Frankreich, der, ich wusste, seit Monaten die Kämpfe, niedergeschlagenen Aufstände, die unglaubliche Gewalt in Syrien verfolgte.

Assia, Ilyas' Schwester

Assia ist wie ihr Bruder Ilyas im Norden Frankreichs groß geworden, wie ihr Bruder hat sie jeden Sommer ihre Ferien in der Heimat ihrer Eltern verbracht; jeden Sommer gab es neue Fotos zu sehen: Assia im Vorhof einer Moschee, auf dem Bazar, in Damaskus, Aleppo, und wenn sie mal ein Jahr nicht fahren konnte, war die Enttäuschung aus ihren Zeilen zu lesen. Ihren Mann hat Assia an der Uni kennen gelernt, er war im gleichen Jahr wie sie, sie haben letztes Jahr geheiratet, darauf folgten ihr Diplom und die Zulassung zum Promotionsstudium. Keine Frage, Assia ist genauso zielstrebig und entschlossen wie ihr Bruder - und das trotz ihrer Jugend, gerade mal Anfang Zwanzig ist sie.

Von Stunde zu Stunde schlimmer

Dass in Homs sich diese Nacht etwas Schreckliches anbahnte, hätte ich nicht erfahren, wäre ich diese Nacht nicht noch lange wach geblieben. Doch plötzlich häuften sich die Nachrichten von Noora, Rania, Ilyas, und plötzlich schrieb auch Assia. Die Verzweiflung in ihren Zeilen wurde von Stunde zu Stunde größer. Ich war nicht da, war nicht bei ihr, aber ich konnte sie förmlich fühlen, ihre Verzweiflung, ihre Angst, ihren Schmerz. Im deutschen Teil des Netzes fanden sich keine Hinweise darauf, was gerade in Homs geschah, kein Wunder, es war ja mitten in der Nacht, aber Al Jazeera berichtete, stellte erste Videomitschnitte ins Netz. Das müssen die Bilder gewesen sein, vor denen jetzt gerade auch Assia saß.

"Homs saigne, Homs saigne"

Dass Assias Familie aus Homs kommt, hätte ich nicht erfahren, wäre ich diese Nacht nicht noch lange wach geblieben. Ich will mir nicht vorstellen, wie es gewesen sein muss, Bilder des Hauses ihrer Familie unter Beschuss zu sehen, des Hauses, in dem sie ihre Tante, ihren Onkel weiß; Bilder der Stadt, in der sie jeden Sommer verbrachte; der Stadt, die jetzt, wie sie schrieb blutete, ihre Kinder verlor. Homs saigne, Homs saigne, es waren nur geschriebene Worte, aber ich konnte die Verzweiflung hören.

Da saß sie nun in Paris

Da saß sie nun in Paris, in ihrer Wohnung, vor dem Fernseher, sah wie ihre Stadt, die Stadt, die ihr so viel bedeutete, in der sie ihre Familie, ihre Freunde wusste, im Chaos versank. Wurde fast verrückt bei dem Gedanken, nichts tun zu können. Wünschte diese Stadt und die Menschen, die dort lebten, nicht zu kennen, weil sie ahnte, dass der Schmerz dann zumindest etwas weniger groß wäre. Fühlte sich hilflos, so machtlos angesichts der Gewalt, der sie nichts entgegen zu setzen hatte. Jubelte über die Geste der neuen tunesischen Regierung, den syrischen Botschafter auszuweisen, war fassungslos angesichts der ausbleibenden Reaktion der Arabischen Liga, der UN, oder wer-könnte-sonst-noch-was-tun. Wünschte sich eine externe Intervention und hatte Angst davor, weil sie noch mehr Tote bedeutet hätte und vielleicht eine weitere Eskalation. Saß vor dem Fernseher bis spät in die Nacht, schickte Nachrichten in die Welt. Und weinte, weinte um Homs' Kinder.

* Frz.: Homs blutet

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Der Westen und die muslimische Welt sind wieder vereint, wie damals gegen die Sowjetunion in Afghanistan !

In München waren Facebookjugend, Ölscheichs, die Türkei und die westlichen Länder sich wunderbar einig gegen Baschar, Putin und den Iran.

9/11, Jihad gegen Kreuzritter und Zionisten, Krieg gegen den Terror - alles nur eine dumme Episode - zehn Jare verlorener Zeit, vergeudet mit Ben Ali, Mubarak, Gaddafi und Baschar.

Anonym hat gesagt…

Es macht auch mich wütend, traurig, verzweifelt, wenn ich diese Nachrichten höre. Und ich habe keine Familie dort. Ich verstehe auch nicht, dass man den Menschen dort nicht helfen kann!

Anonym hat gesagt…

Am Samstag den 9.2. war Kundgebung vor dem Russischen Konsulat in Bonn. Der Aufruf dazu ist sehenswert; der US-Aussenministerin wird ein gerechtes Wort zugestanden, "obwohl sie keine Muslima ist".

Dem Bruder muss noch mal jemand verklickern, dass die gute Hillary seit 14 Tagen mit derselben Ratz-Fatz-Frisur herumläuft, alles nur wegen dem Assad-Streß.

Wenn Assad schlau ist, dann läßt er die Videos von der Jihadisten-Randale auf der Irshad Manji-Veranstaltung in den NL promoten; dann kriegen alle* wieder Angst vor Kalifat und Eurabia und geben ihm noch einen Monat zum weiterkillen.

*fast alle natürlich nur