Sonntag, 19. Februar 2012

Hoher Besuch

Heute war der Vorsitzende des Vereins, der Träger des muslimischen Mädchenwohnheims ist, bei uns zu Besuch. Das war etwas Besonderes, weil sonst außer Handwerkern kein Mann in den Räumlichkeiten erlaubt ist. Ausnahme: die zwei oder drei Vorträge und Treffen mit einem Wissenschaftler aus der Türkei, die seit ich hier bin im Mädchenwohnheim organisiert wurden. Heute also der Vorsitzende. Gerade zu Hause angekommen, treffe ich einige der Mädchen, die in der Küche mit Teekannen hantieren und Popcorn machen.

Türkischer Kopftuch-Chic

Ich kenne sie sonst draußen mit langem, gut geschnittenen Mantel und schickem Kopftuch oder drinnen in Jogginghose, Jeans, Pulli oder was man sonst eben so trägt. Heute sind sie zwar vollkommen bedeckt, tragen aber - zu Hause - keinen Mantel. Die beiden in der Küche stecken in langen, schicken Röcken, darüber eine in den Bund gesteckte Bluse und ein Satinkopftuch - sie sehen ein bisschen aus wie die Models moderner türkischer Tesettür-Mode. Die Mädchen laden auch das Lieschen und mich ein, runter zu kommen, aber wir haben noch etwas zu tun. Etwas später gehen wir dann noch mal gucken.

Kuchen mit Salat

Von weitem schon sehe ich, in welchem Zimmer sie sind - das mit dem Berg an Pantoffeln vor der Zimmertür. Als ich an der Schwelle stehe, sitzen dort mehr als ein Dutzend Mädchen, der Vorsitzende des Vereins, seine Frau und Töchter um eine riesiges Tischtuch, das auf dem Boden ausgebreitet wurde. Wir werden freudig begrüßt, kriegen zwei Plätze zugewiesen, Kissen zugeschoben, Tee und einen Teller mit kizir und kazandibi serviert. Mir fällt ein, wie verdutzt ich damals gewesen bin, als ich zum ersten Mal bei türkischen Bekannten Zitronenkuchen und Hackfleischtaschen auf ein- und demselben Teller serviert bekommen habe...

Deutsch, Türkisch, Englisch

Der Vorsitzende erklärt gleich, dass jetzt bitte nur noch Deutsch gesprochen wird. "Aber sie versteht uns doch", werfen gleich ein, zwei Mädchen lachend ein. Dann werden des Lieschens Deutsch- und Englischkenntnisse getestet und der Vorsitzende erzählt lachend, wie die Mädchen, weil sie im Wohnheim meistens nur Türkisch sprechen und ihre Deutschkenntnisse darunter leiden, einmal, vor einiger Zeit, bestimmt hatten, dass ab sofort nur noch Deutsch im Heim gesprochen werden dürfte. Eine Woche hätten sie das ausgehalten, sagt jemand; und dann jemand anderes: "In der Woche war es sehr still im Wohnheim", und alle lachen.

Türkisch nur auf dem Flur

Dann hätten sie sich überlegt, dass in den Gemeinschaftsräumen Türkisch ok sein sollte, in den Zimmern aber nur Deutsch gesprochen werden sollte. "Das sah dann so aus", erklärt der Vorsitzende und kann ein Lachen nur schwer unterdrücken, "dass man sich im Zimmer unterhalten hat, und wenn man auf schwierige Themen gekommen ist, raus in den Flur oder die Küche gegangen ist". Wieder lachen alle. Kaum eines der Mädchen hier ist zufrieden mit seinen Deutschkenntnissen, dabei sprechen bis auf die beiden Neuankömmlinge aus der Türkei alle Mädchen hier im Raum die Sprache fließend - und gut genug, um im Studium Fachliteratur zu wälzen.

Ausflug ins Skigebiet

Später erzählt eines der Mädchen von dem Wochenende, das sie kürzlich im Skigebiet verbracht hat. Mehr im Schnee gelegen als wirklich gefahren wäre sie, meint sie lachend, sie sei noch Anfängerin. Und dann verhandeln die Mädchen mit dem Vorsitzenden plötzlich, ob der Verein nicht auch bald einen Ausflug zum Skifahren organisieren könnte, vielleicht im März irgendwann? Kosten werden berechnet und geschaut, wer überhaupt Ski fahren kann oder Lust hätte, es zu lernen.

Mit wehendem Kopftuch

Ich muss daran denken, wie Esme, die auch hier mit uns in der Runde sitzt, und die ich auf der Straße noch nie ohne ihren langen Mantel und das Kopftuch gesehen habe, mir letztens erzählt hat, dass sie als junges Mädchen begeisterte Fußballspielerin war - in Mantel und Kopftuch zusammen mit den Jungs in ihrer Gasse. Noch heute macht sie, wenn ihr Studium und Arbeit Zeit lassen, gerne Sport. Badminton war sie letztens spielen, wobei mir ein Rätsel ist, wie sie das mit dem Mantel hinbekommen hat, und Eislaufen stand auch letztens auf der Liste.

Werd sie vermissen

Es sieht so aus, als hätten sich die Mädchen und der Vorsitzende geeinigt. Das Thema wechselt vom bevorstehenden Ausflug zu irgend etwas anderem, die Diskussion in der großen Runde verläuft sich und viele einzelne Gespräche entstehen. Ich schaue zu Saliha, die neben mir sitzt, in ihrem akkurat gebundenen Kopftuch, von H&M hat sie das und es sieht super aus zu ihrer hellen Haut, jetzt lächelt sie und ich denke daran, wie sehr ich diese Mädchen vermissen werde.

7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Jetzt hättt ich aber auch gern ein paar Bilder von "moderner türkischer Tessetür-Mode" gesehen.....

Lieselotte hat gesagt…

Voila:

http://www.google.at/search?q=turkish+style+hijab&hl=de&client=firefox-a&hs=OhZ&rls=org.mozilla:de:official&prmd=imvns&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ei=vmNBT--zBcTKtAaamdnvBA&ved=0CCgQsAQ&biw=1024&bih=478

Anonym hat gesagt…

ooooh, danke, das ist überwältigend!!!

conring hat gesagt…

@Liselotte
danke für das Bildmaterial.
Inwieweit unterscheidt sich das eigentlich von westlcihen Modeaufnahmen?
Heidi Klum oder andere Models possieren doch ganauso.

Lieselotte hat gesagt…

@ conring:

Ja, aber die tragen kein Hijab... Versteh die Frage nicht ganz.

conring hat gesagt…

@Liselotte
war eigentlich keine Frage, sonder eine Feststellung. Die Damen sind doch gesichtsmäßig genauso aufbereitet wie westliche Models, um dem vermuteten Schönheitsideal der Käuferschaft zu entsprechen.

Lieselotte hat gesagt…

Ja. Und?