Dienstag, 10. April 2012

Kezban

Oder: Auslandsstudium, Kopftuchtürkin

Beim Abendessen sitze ich Kezban gegenüber. Wunderhübsch ist sie mit ihrer hellen Haut und den dunklen, fast schwarzen Augen. Sie trägt ein helles Kopftuch (rosa und beige auf Weiß, toll sieht das aus) zum beigen, gut geschnittenen Mantel. Es ist nicht spät, aber sie sieht extrem müde aus. Als ich sie über Teller voll Reis, Suppe, Salat und Gemüse in Tomatensauce frage wie es ihr ihr geht, zuckt sie mit den Schultern lächelt und sagt "elhamdülillah, es geht", und dass sie müde ist. Seit sieben Uhr morgens wäre sie unterwegs und an der Uni gewesen. Ich denke nicht weiter drüber nach und erst als wir auf dem Weg nach Hause sind, und ich noch mal nachfrage, rückt sie mit der Sprache raus.

"Kein Wort hab ich verstanden"

Kezban studiert Agrarwissenschaften und in einer ihrer Arbeitsgruppen an der Uni ist heute etwas passiert. Sie erzählt, wie sie eine ihrer österreichischen Kommilitoninnen nicht verstanden und nachgefragt hat. "Sie hat es dann noch mal, noch schneller und total undeutlich gesagt", erzählt Kezban. "Kein Wort hab ich verstanden. Sie macht das immer so. Ich glaube, sie macht das extra. Ich glaube, sie hat was gegen mich." Ich widerspreche, meine, dass das doch auch Zufall gewesen sein könnte, dass sie das nicht zu schwer nehmen soll, dass sie nächstes Mal eben ein zweites Mal nachfragen soll.

"Die sind immer so zu mir"

Wir laufen weiter durch die Straßen Wiens und es dauert eine Weile bis ich merke, dass Kezban neben mir weint. "Es ist immer so, Lieselotte. Die sind immer so zu mir." Ich denke an die Erfahrungen, die ich in den letzten Monaten mit Wienern machen durfte. Wenn die bei ihr an der Uni nur halb so unhöflich sind, wie der Durchschnitt derer, die mir hier so jeden Tag über den Weg laufen - auweia. Und ich fühle mich sicher hier, bin der Sprache mächtig, geb Kontra, wenn es sein muss. Kezban - nein, Kezban macht das nicht. Sie ist zu Gast hier, seit vielleicht zwei Jahren im Land, ein wohlbehütetes, gut erzogenenes türkisches Mädchen - sie wird denen nicht zeigen, wo der Hase rennt.

"Immer muss ich besser sein"

Kezban weint. "Weißt du, zu Hause, da war ich eine der besten. Ich habe die Prüfungen zur Hochschulzulassung als eine der Landesbesten bestanden, und dann das Stipendium für das Studium in Österreich bekommen, Deutsch gelernt. Und jetzt bin ich hier und kann die Sprache immer noch nicht richtig und kann mich nicht richtig ausdrücken und fühle mich dumm, so dumm. Immer muss ich besser sein als die anderen. Es ist so schwer." Ich nehme sie in den Arm, rede ihr gut zu, sage, dass das doch ganz normal ist bei einem Auslandsstudium, dass das am Anfang allen so geht. Und gleichzeitig bin ich wütend auf Leute wie diese dumme kleine Studentin bei ihr an der Uni, die vielleicht ihr Leben noch nicht aus Österreich rausgekommen ist, aber meint, sie wäre was besseres als Kezban - ohne zu wissen, wer sie ist und was sie kann.

Verrückte Welt

Verrückte Welt. Kezban, die zu Hause eine der besten ist - fühlt sich hier wie ein Niemand. Das Mädchen an ihrer Uni, das vielleicht vor Begeisterung die Augen aufreißen würde, wenn ihr jemand ein Studium im Ausland anbieten würde ("Auslandsstudium - aaah!") guckt auf Kezban, die genau das macht, herunter ("Kopftuchtürkin - iiih!"). Und Kezban, die mindestens genauso viel, vielleicht sogar mehr als dieses Mädchen draufhat, traut sich nicht, den Mund aufzumachen - wegen einer doofen Sprachbarriere und weil ihr beigebracht wurde, dass sich das nicht gehört.

Drei Jahre noch

Drei Jahre, drei lange Jahre in Österreich hat Kezban noch vor sich. Sie wird es schaffen, da bin ich mir sicher, wird weitermachen, einfach immer weitermachen. In drei Jahren hat sie dann - inshaallah - ihr Diplom in der Hand und geht wieder nach Hause, wo anerkannt wird, was sie geleistet hat. Das habe ich ihr gesagt, und Kezban nickte und lächelte, da weinte sie schon nicht mehr, und ich wusste, dass es das war, was sie am Laufen hielt.

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Naja, aber wer mit seinem Kopftuch, seiner Kleidung, seinem Auftreten signalisiert, nicht dazugehören zu wollen, der muss eben auch damit rechnen, als nicht dazugehörig behandelt zu werden, oder nicht?

Geht die mit ihren Kommilitoninnen mal aus? Vom anderen Geschlecht ("Österreichische Männer, ihh, haram!") ganz zu schweigen?

Naja, das obligatorische Kopftuch, der lange Mantel und Mittags am Tisch mit den anderen Kopftuch tragenden Damen. Mehr Abgrenzung geht nicht, oder was meinen Sie?

Na also...

Wobei natürlich elementare Regeln der Höflichkeit einzuhalten sind. Insofern war diese Eingeborene schlicht und einfach schlecht erzogen und dümmlich. Professionell antworten und ansonsten ignorieren sollte drin sein.

Anonym hat gesagt…

Ich kenne die Wiener Mentalität zu gut. Bin da geboren und aufgewachsen. Mittlerweile bin ich umgezogen und führe mein Studium in einer anderen Stadt fort.
Es ist kein Zufall, dass du (Liese) und all die anderen Schwestern so oft in dieser Stadt latenten Rassismus erfährt.
Es ist wichtig denen zu zeigen, dass man sich nicht runterkriegen lässt und stark bleibt. Wir brauchen uns für nichts zu schämen so geht mit aufrechten Köpfen in eure Hörsäle und lasst euch von niemandem einschüchtern.
Wen interessiert es was die über uns denken. Wir können nicht unser Leben nach denen ausrichten und den Hampelmann spielen.

Lieselotte hat gesagt…

@ Anonym 1: "Kezban" bemüht sich durchaus um Kontakte zu Österreichern (das geht auch mit langem Mantel und Kopftuch...). Es besteht jedoch von der anderen Seite kaum Interesse, insofern ist da ein Zusammenkommen schwierig. Ob sie mit ihren Kommilitonnen ausgeht, weiß ich nicht, "Kezban" war aber eine der wenigen, die tatsächlich mal eine Österreicherin aufgegabelt hat, die mit ihr zum Abendessen ins Wohnheim gekommen ist. "Österreichische Männer, iiih, haram" würde man gerade von "Kezban" nicht hören.

Was den letzten Absatz Ihres Kommentars angeht - ganz Ihrer Meinung! Aber zum "professional antworten und ansonsten ignorieren" braucht es eine gehörige Portion Selbstvertrauen und Mut - vor allem in einer solchen Umgebung, in der einem im besten Falle mit Desinteresse, im schlimmsten Falle mit Abscheu und Geringschätzung begegnet wird. Die Tatsache, dass man von zu Hause eher gewohnt ist, Anerkennung (wegen der exzellenten Studienleistungen und guten Jobaussichten) entgegen gebracht zu bekommen.

Lieselotte hat gesagt…

, macht das ganze nicht besser.

(Sorry, das fehlte noch.)

Lieselotte hat gesagt…

@ Anonym 2:

Genau so habe ich das gemacht. Immer kontra gegeben, in ausgefeiltestem Deutsch, mit mindestens drei Fremdwörtern pro Satz.

Aber mir, als aus Deutschland kommender Muttersprachlerin, fällt das natürlich weitaus leichter als einem Mädchen aus der Türkei, was a) die Sprache nicht fließend spricht und b) diese Art der Diskussionskultur (wenn man's so nennen will) nicht gewöhnt ist.

Anonym 2 (Ömer) hat gesagt…

Das stell ich mir ganz lustig vor, wenn du die ganze Zeit die Klischees der Menschen brichst.
Ich finde es auch irrsinnig toll, dass du dich für die Verhüllung bekennst. Es gibt zwar einige Konvertitinnen, jedoch fällt es ihnen meiner Meinung nach schwer wenn sie als aufgewachsene Deutsche, Österreicher nun einer Gruppe von Leuten zugeordnet werden, dessen Bild in den Medien nicht das Optimalste ist.
Was mich aber interessiert, ist es wie deine Tochter mit dem Spaghat zwischen diesen Identitäten zurechtkommt. Deutsche Muslima in Österreich.