Sonntag, 20. Mai 2012

Nicht weit von Hollywood

Lieschens Grandma hat eine Freundin hier in Kalifornien, die sie noch aus ihrer Schulzeit in [Land in Südasien] kennt. Tasneem hat ihre Studien zu Ende gebracht, einen Abschluss in Medizin erlangt und ist nach ihrer Hochzeit nach LA gezogen. Dort arbeitet sie bis heute als praktizierende Ärztin. Ihr Mann ist ausgebildeter Ingenieur, hat sich aber als Händler selbstständig gemacht. Die beiden haben zwei Söhne.

The Valley bei Hollywood

Die Familie wohnt in dem Teil Los Angeles', der von den Einheimischen nur the Valley genannt wird. Hollywood ist nicht weit von hier, und tatsächlich strahlen uns auf dem Weg zum Haus der Familie die berühmten neun weißen Großbuchstaben von einem der mit Grün bewachsenen Hügel entgegen.

Pseudo-Barock in Pastellfarben

Das Haus der Familie liegt, wie so viele der frei stehenden Wohnhäuser hier, an einem Hügel. Durch die mit Stein ausgelegte Eingangshalle werden wir in den Empfangsraum geführt. Eine ganze Reihe an Sofas und Sesseln, alle im selben grauenhaften Pseudo-Barockstil in Pastellfarben gehalten. Ebenso pompös: der Teppich, die Vorhänge, die Glasvitrinen, in denen aufdringlich hässliche Kelche aus buntem, mit Goldrändern versetztem Glas und andere Grässlichkeiten hergezeigt werden. An einem Ende des Zimmers ist ein Kamin in die Wand eingelassen.

Rosa Hemd, beiger Shalwaar Kameez

Der Empfangsraum geht in das Esszimmer über, auf der anderen Seite des Hauses gibt es auch noch ein "normales" Wohnzimmer. Unsere Gastgeber sind herzensgute Menschen. Tasneems Mann habe ich gleich ins Herz geschlossen, sein offenes, freundliches Gesicht mit dem großen Lächeln und langen Bart muss man einfach gern haben. Er trägt ein langes südasiatisches Gewand in einem kräftigen Rosa über einer weiten, weißen Hose. Seine Frau hat einen gebügelt und gestärken Shalwar Kameez in hellblau und beige angelegt, die akkurate Kurzhaarfrisur lässt sie selbstbewusst, fast sogar ein bisschen unnahbar, wirken.

Erbsen in Spinat, Dal, Lamm, Rind, Reis, Naan, Salat

Nach dem allgemeinen "Und wie geht es euch, und wie geht es uns" - ein weiteres befreundetes Paar ist eingeladen, die Frau trägt einen schicken Shalwar Kameez in strahlenden Farben (Lila, Gelb, Orange, Grün, Rot) zur Schau, der Mann wirkt eher unauffällig - bittet die Gastgeberin zu Tisch. Erbsen in Spinat, Dal, Lamm, Rind, Reis, Naan, Salat - die mexikanische Haushälterin steht in T-Shirt mit irgendeiner englischen Werbeaufschrift und einem unaufdringlichen Lächeln nicht weit vom Tisch mit den Schüsseln und Tellern. Mensch, ist mir das unangenehm - das mochte ich schon in Südasien nicht, aber eine Haushälterin haben, hier in den USA?

"Do you want roti?"

Lieschens Grandma erzählt mir später, dass die Haushälterin schon lange für die Familie arbeitet und jetzt, weil sie schon älter ist, bei ihnen bleibt. Tasneem hat ihr beigebracht, wie man Dal kocht und Tasneems Mann spricht mit ihr in einem Mix aus Spanisch und Englisch. Mit dem Lächeln, das mir an ihr gleich aufgefallen ist, fragt sie mit mexikanischem Akzent, ob wir noch Roti wollen.

Diskussion in der Männerrunde

Mit den Tellern voller Essen machten wir uns auf den Weg nach draußen. Auf der Terrasse standen ein Tisch mit Stühlen und eine Sitzgruppe mit Sesseln und bevor ich mich versah, saßen ich und das Lieschen mit den Herren in unserer Runde am Tisch und wir diskutierten die Situation von Hindus in Pakistan, die Berufstätigkeit von Frauen im Islam, die Unterschiede zwischen deutscher und amerikanischer Mentalität (letzteres wurde zu einem längeren Vortrag meinerseits über fragwürdige Kulturkonzepte) und ob Frauen und Männer gleichermaßen zur Kindererziehung taugen (oh ja, und wie!).

Mangosahnetorte, Ananas, Erdbeer und Orangen

Traditionellerweise hätten wir an den Aunty-Tisch, die Sitzgruppe, auf die sich die drei Damen sich verteilten, gehört, aber in einer so kleinen Gruppe sind die Grenzen fließender und als komische Deutsche habe ich da eh immer ein bisschen mehr Spielraum. Später sind wir doch zu Grandma und ihren Freundinnen gewechselt, als es nämlich Mangosahnetorte und in Stücke geschnittene Ananas, Orange, Erdbeere und Mango gab. Es war angenehm warm und das Lieschen sprang in ihrem neuen strahlendweißen Kleid um den mit blau blitzendem Wasser gefüllten Swimmingpool und spielte in der weiß gestrichenen Laube, die in einer Ecke des Gartens stand.

Erdbebengebiet

Von der mit Holzplanken ausgelegten Terrasse auf der anderen Seite des Gartens sah man ins Tal, auf die Hügel auf der anderen Seite und eine ganze Menge ähnlicher Häuser und Garten. Dass das Valley ein von Erdbeben ganz besonders geplagtes Gebiet ist, war so nicht zu erahnen. Dabei hatte Tasneems Familie vor einigen Jahren ihr altes Haus komplett abreißen müssen, nachdem es durch die Erschütterungen eines Erdbebens so stark beschädigt worden war, dass das Gebäude nicht mehr bewohnbar war. Glück gehabt hatten sie, ohne die vorher abgeschlossene Erdbebenversicherung hätte sie das ziemlich teuer kommen können.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"letzteres wurde zu einem längeren Vortrag meinerseits über fragwürdige Kulturkonzepte"

Wessen Kulturkonzepte denn?

Lieselotte hat gesagt…

Die weitverbreitete Vorstellung, dass Kultur gleich Nationalkultur ist. Dieses Konzept von Kultur übersieht nämlich die vielen anderen kulturellen Faktoren, die außer Nationalität oder Wohnort noch eine Rolle spielen: Bildung, Einkommen, beruflicher Rang, gesellschaftliche Stellung, Alter und und und.

Oft hat ein Angehöriger einer bestimmten sozioökonomischen Schicht mit entsprechender Bildung viel mehr mit Menschen eines ähnlichen Status' in einem anderen Land als mit Leuten mit einem ganz anderen Hintergrund, die aber in seinem Land keben, gemeinsam.

Mein Beispiel war ein upper class Südasiate, der in vielem mit einem wohlhabenden, gebildeten Ami viel mehr gemeinsam hat als mit einem Landsmann, der irgendwo am Existenzminimum rumkrebst.

Tendenzen zu bestimmten Norm- und Wertvorstellungen und Verhaltensweisen mag es in bestimmten Ländern durchaus mehr als in anderen geben, aber DIE Amerikaner an sich mit DEN Deutschen, DIE Amerikaner mit DEN Südasiaten zu vergleichen - schwierig.