Dienstag, 9. August 2011
Unruhen in London
- 9. Ramadan -
Die Unruhen in einigen Londoner Stadtteilen, die auf den Tod eines jungen Mannes Donnerstagabend folgten, scheinen sich auszuweiten. Ob es sich bei dem 29-jährigen Mark Duggan um einen skrupellosen Drogendealer oder unbescholtenen Familienvater handelte, darüber sind sich die Medien hier noch nicht ganz einig. Die Randale auf den Straßen geht in der Zwischenzeit weiter, zurzeit brennt Hackney.
Wie sieht's zu Hause aus?
In Lieschens Kindergarten macht sich Alexander Sorgen, ob er es heute Abend nach Hause schafft, weil es in seiner Gegend - Lewisham - auch schon anfängt, unruhig zu werden; er ist nur froh, seine Frau und ihren kleinen Sohn sicher zu Hause zu wissen. In [dem Stadtteil, in dem wir wohnen] ist es ruhig, denke ich, aber als ich mit dem Lieschen dort aus dem U-Bahnhof komme, erhalte ich einen Anruf vom Alimustafa, laut dem das Einkaufszentrum auf dem Weg zu unserem Haus geschlossen ist und die Polizei die Leute umleitet und auffordert, nach Hause zu gehen.
"Aus Sicherheitsgründen heute geschlossen"
Er hätte Polizeihubschrauber über dem Viertel kreisen gesehen und ein paar Viertel weiter sehe es auch schon schlecht aus. Und tatsächlich, auf dem Weg nach Hause kommen uns ein Mannschaftswagen und ein weiteres Polizeiauto - dog unit steht darauf - mit lauter Sirene entgegen gerast. Der Großteil der Geschäfte unterwegs ist geschlossen, die Metallrollläden herunter gelassen, hin und wieder ein Zettel im Fenster, dass aus Sicherheitsgründen heute Abend geschlossen wäre. Ich ertappe mich dabei, wie ich den Jugendlichen mit Kapuzenpulli und Baseballkappe, die mit Handy in der Hand an der Bushaltestelle stehen, misstrauisch hinterher gucke.
Brennende Autos und Geschäfte
In der Pizzeria, in der wir unterwegs kurz Halt machen, stehen alle wie gebannt vor dem laufenden Fernseher, der Bilder aus Hackney, Bilder von brennenden Autos und Geschäften, von Steine werfenden Jugendlichen und parierenden Polizeibeamten. Der Pizzabäcker erzählt, dass gestern Abend auch unsere U-Bahnstation von der Polizei geschlossen wurde, weil die Situation im Viertel begann sich zu verschlechtern. Während Alimustafa auf die Pizza wartet, sehe ich auf die Straße mit den geschlossenen Geschäften und den herunter gelassenen Metallrollläden - und da fällt mir wieder ein, woher ich diese Bilder, diese Bilder und das Gefühl, dass irgendwo da draußen Leute sind, die up to no good sind, kenne: aus Palästina, dem Jemen, aus Pakistan. Nicht aus London.
Feuerwehrskörper und Gegröhle
Zu Hause angekommen machen wir erst mal den Fernseher an. Brennende Häuser, black britische Lokalpolitiker, race equality-Spezialisten, Polizisten und Journalisten, die uns erklären, was da los ist, in Hackney und Tottenham. Derweil macht Aldona sich Sorgen um ihren Freund Stasys, der in Bethnal Green arbeitet, wo es auch schon beginnt, auf den Straßen unruhig zu werden. Stasys und seine Kollegen können das Geschäft zurzeit nicht verlassen. Als er sie anrief, hörte sie ihm Hintergrund Feuerwehrskörper und Gegröhle, und jetzt macht sie sich Sorgen und hofft, dass er bald nach Hause kommt.
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14 Kommentare:
Das ist eben die Hypothek, die England offenbar für eine verfehlte Wirtschafts-, Sozial- und auch Einwanderungspolitik zahlen muss.
Ich lese gerade geschockt den Guardian und kriege das irgendwie nicht mit dem Bild der total offenen, freundlichen, multikulturellen Gesellschaft zusammen, das Sie über London immer zeichnen.
Erinnert auch irgendwie an Frankreich. Brennende Banlieus.
Irgendwas scheinen wir in Deutschland ja richtig zu machen, dass so etwas bei uns nicht um sich greift. Mal sehen wie lange noch.
Das macht mir Angst, und, machen wir uns nichts vor: auch in Deutschland werden die Spannungen zunehmen, wenn weitere Einschnitte im sozialen Netz kommen - und die werden kommen.
@Anonym:
In Deutschland sind zudem diese weniger zentral gelegenen, günstigen Wohnviertel meist auch etwas kleiner als in Städten wie Paris und London. Vielleicht ist die "Durchmischung" bei uns auch einfach doch etwas besser. Vielleicht macht es eben die reine Größe einer Gruppe aus? Irgendwann kocht es eben über. Und das zu Recht, finde ich. Natürlich kann man Gewalt nie rechtfertigen, aber eine logische Konsequenz stellt sie irgendwie schon dar. Wenn von staatlicher Seite nichts getan wird, um das soziale Gefälle ein wenig abzuflachen.
Es ist wirklich interessant: Einerseits wird die britische Einwanderungspolitik und Integrationsförderlichkeit gelobt, andererseits leben die verschiedenen Kulturen doch sehr nebeneinander her. Mir kommt da gerade ein Gedanke: Vielleicht ist es gar nicht als so positiv anzusehen, dass z.B. Beamte indischer Abstammung einen Turban zu ihrer Uniform bekommen, oder eine muslimische Angestellte ein zur Berufskleidung passendes Kopftuch erhält ... Vielleicht ist das nur auf den ersten Blick eine gelungene Integrationsstrategie. In mancherlei Hinsicht könnte es auch ein Mittel der Segregation bedeuten. Aber gut, jetzt schweife ich total ab ...
@ Anonym:
Offene, freundliche, multikulturelle Gesellschaft?
Multikulturell - ja. Offen - meistens. Freundlich - nicht immer.
Ja, so habe ich das hier bis jetzt beschrieben. Aber es war auch die Rede von ner Menge Probleme, siehe zum Beispiel die Posts zu "Madeeha" (Einwanderungspolitik) oder Wohnungssuche (Armut und Verwahrlosung ganzer Viertel).
Ob und inwiefern ich denke, dass das was mit den aktuellen Ausschreitungen zu tun hat, da schreib ich spaeter noch ein Artikelchen zu.
@ Anisah:
Meinst du? Bin mir da nie so sicher. Wir haben keine Moloche in Deutschland wie zum Beispiel London oder Paris, mit so einer extremen sozialen Ungleichheit.
@ Annanymous:
Bei den Ausschreitungen hier sind es nicht, wie zum Beispiel damals in Paris, vor allem die Migrantenkinder, die randalieren. von den Eindruecken, die ich bisher habe, ist das ein bunter Schnitt durch die Gesellschaft. Viele junge "black British" aber auch "Weisse".
Mit Einwanderung und Integration "ethnischer" Minderheiten hat das hier meiner Einschaetzung nach nicht viel zu tun. Da geht es um soziale Ungleichheit, um Kriminalitaet, Abenteuerlust und Anti-Staat-Ressentiments. - Naja, werd wie gesagt spaeter in nem eigenen Post dazu was schreiben.
@ Lieselotte zum Thema Moloch
Ich denke, dass Berlin auf einem guten Weg ist, so ein Moloch zu werden.
Stimmt das ?
"Interessant ist der Fakt in London, dass dort Schwarze( meist nicht Muslime) die Bezirke in Brand setzen und türkische und kurdische Shop-Owner und deren Angehörige und Freunde, ihren Besitz verteidigen oder sogar brutal gegen die Randalierer vorgehen"
http://blog.zeit.de/joerglau/2011/08/08/zweierlei-islamkritik_4990/comment-page-14#comments
"soziale Ungleichheit, um Kriminalitaet, Abenteuerlust und Anti-Staat-Ressentiments"
und dabei räumen die kleinen kunterbunten Gangster die pakistanischen Mittelstandsgeschäfte aus und wenn sie mehr geklaut haben als sie tragen können, dann rufen sie sich die Londoner Traditionstaxis.
Das ist übrigens die Ideologiezentrale der rioters
http://sonsofmalcolm.blogspot.com/
Hm, dann war das eine falsche Vermutung meinerseits. Aber kann es sein, dass in England Armut und soziale Benachteiligung ungleich stärker als in anderen europäischen Ländern auch unter den "Weißen" Einheimischen verbreitet ist? Ich meine, ich war z.B. leicht irritiert, als mir auffiel, dass auch die Engländer ohne Migrationshintergrund oft arm wie die Kirchenmäuse aussehen und scheinbar ganz normale Bürger mit einer krassen Ruine im Mund herumrennen, als wäre das total normal. Hier zahlt doch das Amt noch solche Dinge ... aber in England? Da drehen sie Dir mit Erreichen Deines 70sten Lebensjahres die Dialyse-Maschine ab.
Die Multikulti-Bilanz des Vaters von zwei getöteten Söhnen:
Ghazanfar Ali, 66, the father of the brothers, said: "This used to be a good country, a fair country. Now it's getting like the Third World, there is no respect for the law.
"I used to rely on justice but there is no justice any more.
"These yobs are just ignoring the law, they are just ruining the country, ruining where they live, rubbishing their own country."
(England wird Dritte Welt; gut dass der Mann nicht weiss ist, dann wäre er Rassist, wie Sarrazin...)
http://www.montrealgazette.com/Father+late+save+dying+riots/5235799/story.html
@ Anonym:
Wieso ist das Statements dieses Mannes eine "Multikulti"-Bilanz? Wo ist in seiner Aussage die Rede von "Multikulti"?
Wenn der Mann "weiss" waere, waere er kein Rassist, weil er gar keine Aussage ueber Angehoerige einer bestimmten "Rasse" macht. Es gibt eine ganze Reihe "Weisser", "Schwarzer", "Brauner", die aehnliches sagen.
Es gibt hier nicht in erster Linie um "Rasse" oder ethnische Zugehoerigkeit, sondern um soziale Missstaende und eine (Grossstadt-)Kultur der Gewalt.
@ Annanymous:
Ja, ich denke, dass das auch eine Rolle spielt. Es gibt hier einfach eine Verwahrlosung in vielen Vierteln - die gibt es bei uns nicht. Siehe zum Beispiel meine Berichte ueber unsere Wohnungssuche und die Behausungen, die uns dabei angeboten wurden.
"Wieso ist das Statements dieses Mannes eine "Multikulti"-Bilanz?"
"This used to be a good country, a fair country. Now it's getting like the Third World, .."
Die vorher-nachher-Differenz hebt doch offensichtlich auf einen Migrationsprozeß ab, der nicht mehr im Zeichen von Arbeitsmigration stand, sondern im Zeichen von "Communities" und der Pflege ihrer diversen Identitäten.
"According to family sources, Ghazanfar Ali, the father of Shahzad and Masawar, had migrated to Britain during the early 1970s and all his family was living with him. They ran a business of car washing in Birmingham."
In den Siebzigern war es noch "a good country" und jetzt ist es das nicht mehr. Glauben Sie, er meint die Playstations seien schuld ?
"Wenn der Mann "weiss" waere, waere er kein Rassist, weil er gar keine Aussage ueber Angehoerige einer bestimmten "Rasse" macht."
Wo leben Sie denn; glauben Sie man würde ihn (in Deutschland) als Monarchisten belächeln. Es ist klar, was gemeint ist.
"Es gibt hier nicht in erster Linie um "Rasse" oder ethnische Zugehoerigkeit, sondern um soziale Missstaende und eine (Grossstadt-)Kultur der Gewalt."
Es geht nicht um gute oder böse Ethnien, sondern darum, dass viele in der Ethnie, die diese Land, UK aufgebaut hat, bereit sind, zu vergessen, um welche Werte es dabei ging, und entgegengesetzte Werte einfach auch ganz in Ordnung finden.
Ich finde die Haltung der Sikhs und der Kurden gegenüber diesen Anspruchshorden übrigens wesentlich gesünder, als die Ausflüchte der Polizei. Wenn sich Ur-Briten zum Schutz ihrer Geschäfte gesammelt hätten, dann hätten sie die Antifa auf den Hals bekommen. Und das wissen Sie auch alles ganz genau.
Ach, so; Quelle:
http://www.punjabstarnews.com/United-Kingdom/Birmingham-riot-victims-hail-from-Punjab.html
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