Oder: Osttürkei. Westtürkei. Deutschland. USA?
Hümeyra ist Mitte Zwanzig. Sie ist in [Stadt in Deutschland] geboren und hat einen Bruder, der ein Jahr älter ist als sie. Ihre Großeltern waren vor Jahren aus dem Osten der Türkei nach [Stadt in der Westtürkei] gekommen. Auf der Suche nach Arbeit kam ihr Großvater vor Jahrzehnten dann nach Deutschland. Holte seinen Sohn, als die Situation in der Türkei nach einem der Putsche für junge Leute gerade mal wieder unsicher aussah, nach. Und schließlich auch die junge Frau des Vaters. Sechzehn war sie, als sie heiratete; er nur ein Jahr älter als sie.
Schwieriger Start
Es muss schwierig gewesen sein für Hümeyras Mutter, damals in den ersten Jahren. Jung war sie, so jung, mit zwei kleinen Kindern, in einem fremden Land, mit zwei Männern, die bis vor kurzem auch noch Fremde waren für sie. Sie blieb bei den Kindern zu Hause, aber als sie in der Schule waren, begann sie, Deutsch zu lernen und ihren Realschulabschluss nachzuholen. Sie bekam eine Stelle bei der Deutschen Bank und arbeitete sich in den nächsten Jahren langsam hoch. Ihr Mann hätte in der Türkei vielleicht studiert. Hier, in Deutschland, musste er arbeiten, um seine Familie durchzukriegen. Er ist bis heute Lagerarbeiter.
Erster Schritt: Abitur
Hümeyras Bruder kam aufs Gymnasium. Er hatte dort aber Schwierigkeiten und wurde schließlich wieder zurückgestuft. Die Erfahrung wollte Hümeyras Mutter nicht noch einmal machen und schickte ihre Tochter gleich auf die Realschule. Im Nachhinein glaubt Hümeyra, dass das ein Fehler war. Sie hatte auf der Realschule ausgezeichnete Noten, aber der Übergang zum Gymnasium fiel ihr schwer. Mit viel Fleiß, Durchsetzungswillen und Unterstützung von Freunden hat sie es dennoch geschafft.
Zweiter Schritt: Studium
Nach dem Abitur begann sie Physik und Musik auf Lehramt zu studieren. Sie schaffte das Studium in der Regelstudienzeit, machte nebenbei noch eine Ausbildung in Montessoripädagogik und absolvierte Praktika an einer der renommiertesten Privatschulen ihrer Stadt. In der Zwischenzeit hatte sie Yasin kennen gelernt. Der hatte Ingenieurwissenschaften studiert, noch ein bisschen Zeit bis zum Studienabschluss und studierte deshalb ein halbes Jahr Spanisch in Madrid.
Englisch lernen in Cambridge
Etwas später planten Hümeyra und Yasin ihre Verlobung. Zu dem Zeitpunkt waren die Familien bereits involviert. Hümeyra war es wichtig, vor der Verlobung, sie war gerade mit dem Studium fertig geworden, für einige Zeit ins Ausland zu gehen. Sie wollte ihr Englisch verbessern. Yasins Eltern waren von der Idee nicht angetan, aber schließlich setzte Hümeyra sich durch und fuhr für zwei (oder waren es drei?) Monate zum Englisch lernen nach Cambridge.
Wie weiter?
In der Zwischenzeit sind Hümeyra und Yasin seit einigen Jahren verheiratet. Sie hat ihr Referendariat absolviert und anschließend eine Stelle gefunden. Nebenbei macht sie einen Master in Islamischer Religionspädagogik. Yasin steht kurz davor, seine Promotion zu Ende zu bringen. Er war in der Vergangenheit oft frustriert gewesen, in Deutschland immer noch "der Türke" zu sein und hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, in die Heimat seiner Eltern zurück zu gehen. Jetzt besteht für ihn eventuell die Möglichkeit, für einige Zeit an eine der besten Universitäten in seinem Fach in den USA zu gehen. Wenn er dort war, stehen ihm, aus akademischer Sicht, alle Türen offen. Hümeyra überlegt schon, ob sie ihn dann dorthin begleiten wird oder lieber ihrer Stelle zuliebe in Deutschland bleiben soll. Reizen würde sie es schon, eine Zeit in den USA zu leben, und mit ihm zusammen zu sein, ist ihr wichtig - ihr Job aber auch.
Mittwoch, 7. September 2011
Hümeyra
Labels:
Beruf,
Deutschland,
Frauen,
Großstadt,
Integration,
Islam und Muslime,
Mini-Portrait,
Türkei,
Uni
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
18 Kommentare:
Wenn man ihren Blog liest, dann scheint die Akademikerguote unter Moslems bei etwa 107 Prozent zu liegen.
"oft frustriert gewesen, in Deutschland immer noch "der Türke" zu sein"
Ist es nicht Herr Erdogan, der sagt, dass die Türken nicht vergessen sollen, wer sie sind ? Manche Deutsche nehmen die Ausführungen des Premieministers unseres NATO-Partners Türkei eben auch ernst und unterstellen nicht gleich Assimilierung.
@ Kommentator 1: Ich schreibe halt über die Leute, die ich kenne, und die Geschichten, die ich höre. Und?
@ Kommentator 2: Und? Was hat "Yasin" mit Erdogan zu tun?
@ Kommentator 1: Außerdem hört man von diesen Leuten sonst kaum was. Dann halt hier bei mir.
"Was hat "Yasin" mit Erdogan zu tun?"
Ja, angenommen mal: gar nichts. Dann könnte sich aber seine Fustration, in Deutschland immer noch "der Türke" zu sein, doch auch mal gegen jemenden richten, der dazu aufruft.
Als er mit dem Gedanken gespielt hatte, in die Heimat seiner Eltern zurück zu gehen, haben Sie ihn da mal gefragt, wie er es findet, dass den Deutschen ein solches falsches Bild von ihm vielleicht auch von türkischer Seite mit eingeredet worden sein könnte ?
Nein. Können Sie ja machen, wenn Sie ihn nächstes Mal sehen.
ICH habe ihm gesagt, dass er in Türkei genauso (wenn nicht sogar noch mehr) Fremder sein wird als hier. Dass es bestimmt frustierend ist, als Promovent an einer deutschen Hochschule gefragt zu werden, ob man denn auch richtig Deutsch spreche, aber dass das doch - zumindest da, wo er wohnt - die Minderheit der Menschen ist, die ihm solche Fragen stellt. Und dass, wenn Leute wie er gehen, letztendlich tatsächlich nur die hier übrig bleiben, die schlechtes Deutsch sprechen und eine miserable Ausbildung haben...
Zu Erdogan oder wer-dran-Schuld-ist, sind wir da gar nicht gekommen...
"Zu Erdogan oder wer-dran-Schuld-ist, sind wir da gar nicht gekommen"
Schade.
"Und dass, wenn Leute wie er gehen.." diese in Istanbul eine Karriere machen mit beruflichem Deutschlandbezug, Callcenter, Tourismus, Außenhandel... ist gut für die Leute und die deutsche Wirtschaft.
Rückwanderung taugt nicht zur Nährung eines deutschen Schuldkomplexes, sondern ist ein Vehikel für deutschen Kulturimperialismus; die Almancis werden mit Handkuss genommen, wegen dt. "Tugenden", Sie wissen schon, dem Nazi-Zeug, Pünktlichkeit etc; nur als Touris werden Almancis angenervt inder Türkei als Profis sind sie hochgefragt.
Mag sein, dass seine Kompetenzen in der Türkei gefragt wären. Aber fremd fühlen würde sich "Yasin" ziemlich wahrscheinlich trotzdem.
"Aber fremd fühlen würde sich "Yasin" ziemlich wahrscheinlich trotzdem."
Aber das ist doch modern - leben als Expatriate, mondän, weltläufig ... ist doch besser, als mit verklärt-verdorrten Wurzeln verkannt, verdächtigt, unanerkannt dort rumzugrummeln, wo man zufällig geboren ist, oder wo einem die Eltern hingeschleppt haben.
Die Leute die Sie vorstellen (oder ihre Vorstellung dieser Leute) wirken manchmal so gebeutelt, schicksalsverschlagen.
Zigtausende von Bankbuchhaltern und andere völlig unspektaküläre Zeitgenossen waren mal fünf Jahre in Singapur, drei Jahre in Brüssel, etc. und haben auch wohl nicht erwartet, dass ihre Dorfgebräuche überall sofort mitgepflegt werden.
Bei Ihnen geht das (nach oberflächlichem Leseeindruck) immer so: mußte flüchten, Familie in alle Winde verstreut, dumm angeguckt worden, wegen Niqab, Bart, oder was weiss ich ...
Oder Dritte Generation und wird immer nch gefragt ... Wenn Sie Oberjapanologin sind und dann in einem Japanischen Kaff wegen Ihrer (vermutlich) längeren Nase angesprochen werden, dass Sie aber gut Japanisch sprechen; würden Sie damit auch einen Japanologinnenblog vollschreiben ?
Ich glaube eher nicht, oder ?
Wenn Ihnen meine Geschichten nicht passen, dann hätte ich da einen ganz simplen Hinweis für Sie: Sie müssen die nicht lesen.
Ob und was ich in meinem Japanologinnenblog schreiben würde, ist meine Sache. Was kümmert's Sie?
"Wenn Ihnen meine Geschichten nicht passen.. "
Ich erwarte keineswegs, dass mir alles passt, was ich lese; im Gegenteil - ich finde gerade interessant, was mit "nicht passt". Was finden Sie an dem Versuch eines Vergleichs zwischen dem Selbstempfinden von Expatriates und wurzelbedachten MirantInnen so anstößig ?
Erstens: Woher wissen Sie, dass "Yasin" und "Huemeyra" wurzelbedacht sind? Sie lesen da mal wieder etwas in meinen Text rein, das da so nicht steht.
Zweitens ist "Huemeyra" keine Migrantin, weil sie hier geboren wurde.
Drittens gibt es einen Unterschied zwischen Expats und "Migranten" wie "Yasin" und seine Familie: Als Expat ist man fuer ein paar Jahre wo, bleibt oft ein bisschen aussen vor, weil man weiss, dass man eigentlich doch woanders dazu gehoert und da auch wieder zurueck will, eines Tages. Das ist was ganz anderes als bei "Yasin" und "Huemeyra", die hier geboren sind, hier sozialisiert wurden und mit der Tuerkei nicht mehr allzu viel zu tun haben. Jedenfalls nicht im Sinne von "Heimat".
"Woher wissen Sie, dass "Yasin" und "Huemeyra" wurzelbedacht sind?"
Dass Sie jemals auch über wurzelneutrale, oder gar wurzelvergessene Menschen schreiben könnten, kam mir einfach nicht in den Sinn.
"Als Expat ... bleibt oft ein bisschen aussen vor ...", soweit man will, es gibt vom Standortmuffel bis zum begeisterten Eintaucher ein breites Spektrum; ähnlich bei Auslandskorrespondenten; die einen hängen nur an der Hotelbar, die anderen tauchen direkt in den lokalen Volkstanz ein.
"ist man fuer ein paar Jahre wo ... " Und danach für ein paar Jahre noch mal wieder woanderswo.
"... weil man weiss, dass man eigentlich doch woanders dazu gehoert "
So mancher britischer Kolonialbeamter kehrte als Exzentriker "heim" nach GB, allein deshalb, weil er als eklektischer Exzentriker in GB einen spleeninigen Ehrenplatz beanspruchen konnte, während er sich woanders eher hätte "entscheiden" müssen.
"... und da auch wieder zurueck will, eines Tages."
Mag sein, aber oft verkümmert der Wunsch als Vater des Gedankens auch, oder es geht nur um einen Wunsch für die Altersruhe, oder die Grabstätte.
Haben Sie mal alte Engländer in Spanien getroffen; die sind einerseits "very british" andererseits natürlich absolut liebevoll gegenüber ihrer spanischen Umgebung.
Naiv-romantisch-nostalgische Heimatempfindungen verbunden mit kruden Respekterwartungen finde ich peinlich und abtörnend, falls Sie noch verstehen, was das heißt.
Wenn mir ein Russe sagt, dass ich aber gut russisch spreche, dann sage ich: Klar, ich dachte, Ihr kommt alle zu uns, und dann lachen wir.
"Ob und was ich in meinem Japanologinnenblog schreiben würde, ist meine Sache. Was kümmert's Sie?"
Das sollte doch wohl eine hypothetische Frage sein, um eine Annahme zu testen, und Sie behandeln das wie eine Verdächtigung. Ausgerechnet das war mal keine Verdächtigung.
Einmal Türkei und zurück
Erst in Istanbul lernte sie verstehen, wie die Verwandten in Stuttgart denken. Sie fühlt sich jetzt heimischer in Stuttgart als je zuvor.
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2011-09/migranten-tuerkei-rueckkehr
Expat sein ist out; heute sagt man Transmigration:
Die Soziologie bezeichnet solche Wanderungsbewegungen, deren Akteure nicht in das klassische Schema der Migration passen, als Transmigration.
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2011-09/migranten-tuerkei-rueckkehr/komplettansicht
Kommentar veröffentlichen