Als der Alimustafa hörte, dass der damalige Freund meiner Schwester eine dreijährige Ausbildung zum Maler machte, brauchte er ein ganzes Weilchen, bis er sich von seinem Lachanfall erholt hatte. "Wie? Der lernt drei Jahre lang, wie man 'ne Wand anmalt?" Ich versuchte ihm zu erklären, dass der junge Mann neben Englisch, Deutsch und allen anderen regulären Schulfächern eben vor allem auch Mathe und Chemie lernte - wo man sich doch zumindest vorstellen konnte, dass Hintergrundwissen in diesen Bereichen einem angehenden Maler von Nutzen sein konnte. Alimustafa war, ganz Angelsachse, nicht überzeugt.
Zwei Wochen und er kann's
Hier in London las ich letztens in einem Zeitungsartikel die "Erfolgsstory" irgend eines ehemals arbeitslosen Eastlondoners, der jahrelang nichts gemacht hat und nun endlich, endlich wieder einen anständigen Job, sowie das Geld und das Ansehen das dieser mit sich bringt, hatte. Er arbeitete auf dem Bau, was er nicht gelernt hatte, aber nach einem zweiwöchigen Einführungskurs "konnte" der Mann dann Zement gießen und Kacheln legen. Kein Wunder, dass sich selbst mir als Totallaie angesichts so mancher Elektro- oder Sanitärkonstruktion hier die Haare sträuben.
Dual - und sogar bezahlt
Wenn ich in meinen Deutschkursen hier auf das Duale System, das ich zusammen mit dem deutschen Ausbildungssystem im Allgemeinen anhand eines großen Schaubildes mit einer Menge Balken, Kreisen und Pfeilen erläuterte, und die Tatsache, dass Auszubildende bei uns bezahlt werden, verwies, blickte ich immer wieder in die gleichen nickenden Gesichter - mit einem Ausdruck irgendwo zwischen ungläubig, anerkennend, tief beeindruckt und das-brauchen-wir-auch.
Ausbildungsgehalt: 50 Pfund pro Woche
Hier in Großbritannien bekommt man als Auszubildender mitunter nur 50 Pfund pro Woche. Das ist selbst außerhalb der überteuerten Riesenstadt London gerade mal genug, um die Kosten für Lebensmittel zu begleichen. Natürlich gibt es auch in Deutschland Ausbildungsberufe, in denen man im ersten Jahr lächerlich wenig verdient - als Friseurlehrling zum Beispiel. Aber zumindest im zweiten und dritten Jahr ist man finanziell besser dabei - und selbst ganz am Anfang verfügt man doch über eine solide Grundlage.
Nach dem Studium wieder nach Hause zu Mama?
Wieso man aber als angehender Arzt im so genannten Praktischen Jahr (PJ), als angehender Erzieher oder als Psychotherapeutin in der Ausbildung kaum bis gar kein Gehalt gezahlt bekommt, ist mir ein Rätsel. Als Erzieher mag das noch halbwegs machbar sein, nach dem Realschulabschluss oder Abitur ist man ja noch relativ jung, dann bleibt man halt noch ein bisschen länger zu Hause wohnen. Nicht ideal, aber sicher machbar. Aber wie soll das als PJ-ler zu machen sein? Als Psychologe? Nach dem Studium plötzlich wieder gar nichts verdienen? Wollen wir, dass nur die, die es sich leisten können, das aus eigener (oder Papas - oder Mamas) Tasche zu finanzieren oder das finanzielle Risiko eines horrenden Kredits auf sich zu nehmen, Mediziner und Psychotherapeuten werden?
Arbeit muss bezahlt werden
Wer über Jahre in verantwortungsvoller Position Vollzeit arbeitet (selbst wenn er sich noch in der Ausbildung befindet), der muss dafür anständig bezahlt werden. Zumindest muss er mit dem Geld seine Lebenskosten begleichen können. 150 Euro im Monat, die manche Psychotherapeuten in Ausbildung bekommen, sind nicht genug.
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3 Kommentare:
Was ein persönlich bedeutsames Thema für mich! Ich stehe kurz vor so einer Ausbildung zur Psychotherapeutin und wir diskutieren häufig über die Sache mit der nicht vorhandenen oder nicht erwähnenswerten Bezahlung in der praktischen Ausbildung. Man macht den gleichen Job in der Klinik wie die approbierten Kollegen, aber bekommt nichts/fast nichts dafür. Gleichzeitig muss man die teure theoretische Ausbildung bezahlen! Ha! Ein paar sind tatsächlich in der privilegierten Lage, dass ihnen die Ausbildung finanziert wird. Einige davon sind sogar in der noch privilegierteren Lage, dass sie auch für ihren Lebensunterhalt nicht selbst aufkommen müssen (gutverdienender Ehemann, reiche Eltern oder was auch immer), aber die meisten müssen sich schier zerreißen zwischen unbezahltem Praktikum und Nebenjob sowie Theoriestunden abends und am Wochenende.
Besonders krass ist, dass viele Menschen scheinbar die Arbeit, die im sozialen Bereich oder Gesundheitswesen geleistet wird, nicht als solche anerkennen bzw. deren Wert nicht zu würdigen wissen. Folgendes habe ich gestern auf Facebook bei einer Bekannten (momentan Hausfrau mit Vorschulkind, seit einem Jahr Dipl.-Psych., steinreicher Ehemann) gelesen:
"Heute wieder etwas gelernt fürs leben: "wir können ihr freundliches angebot einer ehrenamtlichen tätigkeit in unserer klinik leider nicht annehmen. Es darf nicht der eindruck entstehen, dass sie als ehrenamtliche helferin dem fest angestellten fachpersonal die arbeit wegnehmen." AHA!!!! Dumm, dümmer, deutsches gesundheitswesen >:O"
Die Kommentare dazu:
"..unglaublich. Man würde ja noch verstehen, wenn die sagen, dass sie ausgelastet sind oder irgendwas anderes logisches, aber bei der Begründung fehlen mir echt die Worte."
"eh was :D ???"
"hiermit biete ich Dir eine "ehrenamtliche" Tätigkeit in unserer Kaffeerösterei-Klinik an - selbstverständlich in Vollzeit und auf min. 60 Monate?!?! :))))"
"Zum Glück sind in deutschen Kliniken Begriffe wie "Überbelastung", "Überstunden" und "fehlendes Personal" unbekannt. :/ Das habe ich auch noch nicht erlebt, dass Ehrenamt nicht mehr gewünscht ist. :("
"idioten"
"Vieleicht sollte Ich nochmal mit denen sprechen :-) ! laß dich nich ärgern,die haben dich nicht verdient !"
(Fortsetzung)
Meinen ausführlichen Kommentar habe ich jetzt mal weggelassen, aber: Unfassbar was sich die Menschen denken! Stellt Euch mal vor, da kommt jemand, der macht den gleichen Job für umsonst. Was meint ihr was der Chef (hier die Klinikleitung) als nächstes sagen wird, wenn sich jemand über zu viel Arbeit beschwert? Wahrscheinlich so etwas in der Art: "Ach, Frau X, sie fühlen sich überlastet? Schauen Sie sich doch mal ihre Kollegin Y an, die bekommt noch nicht mal Geld für ihre Arbeit und beschwert sich nicht." Oder es werden einfach keine neuen Stellen geschaffen, weil sich ja doch hier und da jemand finden wird, der nen "ehrenamtlichen" Job machen möchte oder so verzweifelt ist, dass er sogar ein unbezahltes Praktikum machen würde. Oder auf die Tätigkeit angewiesen ist, damit er irgendwann seine Approbation bekommt. Ja, die Kliniken haben es nicht nötig, Diplompsychologen zu bezahlen, wenn sie eine Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten machen. Daher hat man auch schlechte Karten, wenn man die Ausbildung nicht macht, eine Stelle in einer Klinik zu bekommen - denn die Auszubildenden machen die gleiche Arbeit ja um sonst.
Seit Jahren gehen z.B. Diplom-Psychologen auf die Straße um zu demonstrieren oder unterzeichnen Petitionen gegen diese Ausbeutung und da marschiert eine Dame mit ebendiesem Abschluss auf um zu sagen, dass sie den Job ohne Bezahlung machen möchte?!? Gut, sie braucht das Geld nicht, aber dann kann sie´s doch spenden! Oder dort arbeiten, wo sie tatsächlich nur Ehrenamtliche engagieren können (es gibt genügend Hilfsorganisationen, die auf solche Menschen angewiesen sind).
Solche Menschen, wie die Kommentatoren des Facebook-Eintrags, tragen mit ihrer Denkweise nur dazu bei, dass unsere Arbeit nichts wert ist.
Arbeit muss verwertbar sein.
Das ist die bittere Wahrheit.
Wo Arbeit nicht verwertbar (kapitalistisch verwertbar !) ist, da kriegt man eine Verteilungsbürokratie, die - bevor sie etwas verteilen kann - den Leuten, deren Arbeit verwertbar ist, oder wäre, etwas wegnehmen muss.
Wegnehmen, um es eben den Leuten zu geben, deren Arbeit nicht so verwertbar ist.
Ohne dass Arbeit verwertbar ist, geht die Freiheit verloren an eine Bürokratie, die darüber bestimmt, welche Art von Arbeit zulässig, bzw. erforderlich ist.
Auf Alt-Ostdeutsch z.B. "Absolventenlenkung".
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