"Muslims in Europe or European Muslims?"
Dr. Tariq Ramadan / Bastiaan Verberne / Yasmin Sheikh
London, Großbritannien, 22. April 2010
Und dann war da noch der Abend mit Tariq Ramadan. Mein Freund Karlotto, den ich aus Palästina kenne und der zurzeit eine Ausbildung zum Rechtsanwalt in London absolviert, hatte mich dazu eingeladen. Das Thema hörte sich nur mäßig interessant an, "Muslims in Europe or European Muslims?", aber Tariq Ramadan, den wollte ich schon seit langem mal live sehen. Das Lieschen würde ich mitnehmen und auch wenn ich fest entschlossen war, mich am Eingang nicht abweisen zu lassen, machte ich mir doch Gedanken, wie die Veranstalter auf einen Besucher mit Kleinkind im Arm reagieren würde. Kein Problem, wie sich herausstellte: Die Projektkoordinatorin, die unsere Namen auf der Gästeliste abhakte, hatte eine Tochter im selben Alter: Kind verbindet.
Wie erwartet sprach Tariq Ramadan sehr gut, aber sagte für jemanden, der sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt, wenig Neues. Die Quintessenz seines Vortrags war dann auch: Wir sind europäische Muslime, natürlich, schon seit langem - diese Art von Fragen ("bist du Muslim? Europäer? Was ist dir wichtiger? Bist du auch wirklich integriert?") müssen wir überwinden und eigene Fragen stellen ("Und du? Bist du Christ oder Deutscher? Was heißt denn eigentlich 'Integration' und in was wollt ihr die Leute eigentlich integrieren?"), weil es um Partizipation geht, integriert sind die Leute schon. Ich wollte sagen, dass er sicherlich integriert ist, ich auch (sowieso) und alle meine muslimischen Freunde auch - aber das es eben doch manche gibt, die es nicht sind, die es nicht sein wollen und die sich abwenden von dieser Gesellschaft: Zum Beispiel Jan und Alexandra, die Muslime wurden und zu den Taliban nach Afghanistan auswanderten. Aber dann habe ich mich doch nicht zu Wort gemeldet.
Nach Tariq Ramadan hat ein junger holländischer Konvertit mit blonden Locken vom Ramadan Festival in den Niederlanden erzählt, das ein Riesenerfolg gewesen zu sein scheint. Er schien angenehm offen, unkompliziert und direkt, das hat mir sehr gut gefallen. "Der Islam hat im Westen ein Imageproblem", klingt mir noch im Ohr, "it's all about PR". Cool war auch die junge britische Sozialarbeiterin, deren Eltern eingewandert waren und die jetzt mit Jugendlichen in einem so genannten schwierigen Viertel arbeitet und nach dem Konvertiten die dritte Rednerin an diesem Abend war.
Beim anschließenden Empfang ließ ich mir von Karlotto das britische Ausbildungssystem für Juristen erklären (Tariq Ramadan war schon wieder verschwunden), sah zu, wie der blonde Konvertit von Kristiane Backer angesprochen wurde - die war nämlich auch dort und hatte während der Veranstaltung zwei Reihen vor mir, dem Lieschen und Karlotto gesessen. Dann kam ich mit einer jungen Frau ins Gespräch, deren Eltern einst aus Pakistan gekommen waren und die heute in London als Rechtsanwältin arbeitete. Woher ich denn käme. "Aus Deutschland?", sie sah mich mit riesigen Augen an. "O Gott, wie ist es dort als Muslimin zu leben??" - "Äh, naja ..." (Was soll man denn auf so eine Frage antworten.) - Ob es Diskriminierung gäbe? - "Hm, ja, naja", so im Alltag nicht unbedingt immer, aber bestimmte Berufe kann man eben nicht oder nur kaum ausüben. - "Mein Gott, das ist so mutig von dir! Du trägst Kopftuch in Deutschland!! Ich könnte es mir wirklich in keinem anderen Land in Europa vorstellen, Kopftuch zu tragen als in Großbritannien..." - Hä? Ich war so perplex angesichts ihrer Reaktion, dass ich erst viel später darauf kam, dass sie wohl an Marwa El-Sherbini gedacht hat. Der Mord an der jungen Frau scheint uns Deutschen unter Muslimen im Ausland mehr bad publicity eingebracht zu haben als ich es für möglich gehalten hätte.
Ein bisschen später packte ich das Lieschen ein, verabschiedete mich von den jungen Frauen, die Karlotto und ich auf der Veranstaltung kennen gelernt hatten, und die - ob mit Kopftuch oder ohne - alle gut ausgebildet, beruflich erfolgreich und hübsch anzusehen waren, und machte mich auf den Weg zur nächsten U-Bahn-Station, es war schon spät geworden.
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