Vor Montag
Zu Frankreich zu schreiben hatte ich schon seit einer Weile vor. Einen Artikel ueber die unsaegliche Halal-Debatte, die seit einigen Wochen durch die franzoesischen Medien geisterte (wie gewoehnlich, passend zum Vorlauf zu den anstehenden Wahlen), und ueber die man in Deutschland und Oesterreich quasi nichts hoerte, wollte ich schreiben. Und dann kam der Montag dazwischen und ueber Halal-Fleisch sprach ploetzlich keiner mehr.
Montag
Mein Wecker in Wien klingelte und waehrend ich aufstand, erschoss ein Unbekannter in Toulouse zwei kleine Jungen und deren Vater und jagte ein kleines Maedchen ueber den Schulhof, bis er sie toetete. Ich stand auf, fruehstueckte, machte das Lieschen und mich fertig fertig und wir uns auf den Weg zu Kindergarten und Arbeit und erst dort erfuhr ich davon, was an diesem Morgen, der fuer uns wie jeder Morgen ausgesehen hatte, in Toulouse geschehen war.
Schock
In Toulouse, ausgerechnet in Toulouse. Ich kenne die Stadt gut, bin oft dort gewesen, habe viele Freunde und Bekannte, die dort leben. Ein Anschlag auf eine Schule, ausgerechnet auf eine Schule. Wie kann man so kaltbluetig sein, auf kleine Kinder, ihren Vater zu schiessen? Wie grausam muss es sein, einen solchen Anschlag zu ueberleben, seine Freunde sterben zu sehen, sein Kind zu verlieren.
Angst
Und dann war es nicht irgendeine Schule sondern eine juedische Schule. Ich weiss, wie ich mich nach dem Mord an Marwa El-Sherbini gefuehlt habe, als klar wurde, dass sie wegen ihrer Religion getoetet worden war. Zu wissen, dass es dort draussen Leute gibt, die die Gruppe, zu der sie dich zaehlen, so sehr hassen, dass sie bereit sind, dich zu toeten - Ich habe in Frankreich keine juedischen Freunde, aber einige in Deutschland und ich denke an sie und ihre Angst, die meiner so aehneln muss. Der Attentaeter ist weiter auf der Flucht; Toulouse voll von Polizisten mit Waffe in der Hand und abgesperrten Strassen. Wie lange wird das gehen, wann werden sie ihn fassen?
Hoffen
Und dann, nach so und so viel Zeit, in der ich vor dem Computer, mit der Zeitung in der Hand alle Informationen zum Thema zusammengesammelt habe, ist der Gedanke, wer um Himmels Willen so etwas tut, da: "O Gott, bitte mach, dass das kein Muslim war." Einige Tage vor dem Anschlag in Toulouse wurden in Montauban, auch diese Stadt ist mir bekannt, auch dort habe ich Freunde, drei Soldaten nordafrikanischer Herkunft getoetet, ein dritter, der von den Antillen stammt, schwer verletzt. Drei Araber, ein Schwarzer, vier Juden - spricht das fuer einen rechtsextremistischen Hintergrund? Die Fallschaermjaegertruppen, denen die vier attackierten Soldaten angehoerten, waren in Afghanistan eingesetzt worden. Vier in Afghanistan kaempfende Soldaten, vier Juden - oder doch islamistisch motiviert?
Politik
Die Reaktionen der franzoesischen Politik sind wohltuend moderat. Der Schutz juedischer und muslimischer Einrichtungen wird befohlen, Sarkozy trifft sich mit Wuerdentraegern beider Religionen. Keine voreiligen Schuldzuweisungen werden getroffen, der Wahlkampf steht - fuer einen Moment - still.
Dienstag
Naim, den ich aus meiner Studienzeit in Frankreich kenne, regt sich auf: "Ist ja mal wieder typisch. Drei Araber werden getoetet, ein Schwarzer angeschossen - und keiner ruehrt sich. Erst, wenn eine juedische Schule angegriffen wird, ist die Aufregung ploetzlich gross. Wenn es in diesem Land genauso schlimm waere, wenn ein Araber oder ein Schwarzer erschossen wird wie wenn ein Jude ermordet wird, dann haetten sie diesen Anschlag auf die Schule verhindern koennen". Als einer seiner Bekannten anmerkt, dass die unterschiedliche Reaktionen seiner Meinung daher ruehrt, dass einmal Soldaten und dann Schulkinder Ziel der Anschlaege waren, ist Naim zwar immer noch sauer, aber er widerspricht nicht.
Demo
Montagabend findet in Paris ein Trauermarsch statt, an dem Tausende, viele junge, Menschen teilnehmen. Die Union der Juedischen Studenten Frankreichs (UEJF) nimmt teil und der eine oder andere franzoesische Politiker. Ein Transparent mit der Aufschrift "In Frankreich werden Juden, Schwarze und Araber getoetet" erregt Aufmerksamkeit. Neben den blau-weissen UEFJ-Plakaten und so mancher Frankreich- und Israel-Fahne entdeckt Naim Flaggen mit dem Logo der juedisch-extremistischen Jewish Defense League (JDL), die in Israel und den USA als terroristische Vereinigung verboten ist. Er schaeumt vor Wut. "Wie kann es sein, dass Delanoe an einem Schweigemarsch teilnimmt, bei dem eine Terrororganisation mitspaziert?!"
Mittwoch
Israel trauert, die vier juedischen Opfer des Taeters werden in Jerusalem bestattet, das Bild der Mutter, deren siebenjaehrige Tochter am Montag starb, kann ich kaum ansehen. Frankreich trauert, im Sueden der Republik wird einer der getoeteten Soldaten vor den Augen seiner schwangeren Frau, einer jungen blonden Frau, die Schwangerschaft ist nicht zu uebersehen ist, zu Grabe getragen. In Toulouse verschanzt sich der mutmassliche Attentaeter in einer Wohnung, die Polizei schaltet das Gas im Viertel ab und beginnt, die Anwohner zu evakuieren. Schusswechsel, eine Explosion, Verhandlungen, angeblich will er sich stellen. Wer's glaubt.
Mittwoch, 21. März 2012
Terror in Frankreich
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4 Kommentare:
"Wie kann man so kaltbluetig sein, auf kleine Kinder, ihren Vater zu schiessen?"
Eine Frage, die man auch mit Blick auf den Konflikt in Syrien stellen muss - Kieg gegen Kinder scheint eine dezidierte Form von Konfliktführung geworden zu sein.
was geht in so einemjungen mann vor,was treibt ihn zu einer so gräßlich tat? wieviel hoffnungslosigkeit und verzweiflung....was ist da nur los?
"hoffnungslosigkeit und verzweiflung" ? Wohl eher Größenwahn, Selbstgerechtigkeit und Hass.
Die Zeche werden übrigens die Algerier und Syrer zu zahlen haben: Mehr Repression und kein Frühling mit Antiterrorbegründung.
Wieviel Hybris, Hass und Verblendung ...
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