Samstag, 17. Dezember 2011

Anderthalb Monate

Anderthalb Monate ist es her.

Anderthalb Monate ist es her, dass sich Deutschland daran erinnerte, dass gewalttätige Islamisten keineswegs ein Monopol auf Terrorismus haben, dass in den letzten zehn Jahren die größte Bedrohung in Deutschland nicht von islamistischen, sondern von rechtsextremistischen Terroristen ausging.

Zweieinhalb Jahre ist es her.

Zweieinhalb Jahre ist es her, dass in einem deutschen Gerichtssaal eine junge Frau vor den Augen ihres dreijährigen Sohnes, ihres Mannes mit 18 Messerstichen niedergemetzelt wurde und ihr Mann von einem herbeieilenden Sicherheitsbeamten, der ihn für den Angreifer hielt, angeschossen wurde. Die Frau verblutete vor den Augen ihres Mannes und Kindes - mit ihr starb ihr ungeborenes Kind. Wer hat damals auf die Warnungen der muslimischen Gemeinde gehört, dass die islam- und ausländerfeindlichen Hasstiraden des Täters ihnen nur allzu bekannt vorkamen, dass es im Netz an Internetseiten mit ähnlichen Argumentationen nur so wimmelt? Wo blieb eine klare Stellungnahme der Kanzlerin? Sie blieb aus. Ein "Ausländer" hatte eine Ausländerin getötet; das Opfer war Muslimin, keine von uns.

Ein halbes Jahr ist es her.

Ein halbes Jahr ist es her, dass in Norwegen ein lone wolf einen Doppelanschlag in Norwegen und auf der Insel Utroya ausführte. Ein halbes Jahr ist es her, dass wir uns an den Kopf fassten und fragten, wie es kommt, dass dieser Mann in einem Großteil der berichterstattenden Medien als Wirrkopf, als Einzeltäter, höchstens noch als Extremist bezeichnet wurde - und dass von Terrorismus kaum die Rede war. Dabei gab es auch Lichtblicke. Zumindest in einem Teil der deutschen Presse wurde die Frage, was Terrorismus ist und ob wir diesen Terminus in der Zwischenzeit schon so sehr mit islamistisch motiviertem Terrorismus verknüpft haben, dass er auf Terroristen anderer Gesinnung einfach nicht zu passen scheint, diskutiert. Endlich.

Und dann, vor anderthalb Monaten: ein Doppel(selbst)mord, ein brennender Wohnwagen, ein explodierendes Wohnhaus - und langsam, langsam die bedrohliche Ahnung, dass wir in Deutschland schon seit Jahren von rechtsextremistischem Terrorismus bedroht sind. In den ersten Tagen nach dem Tod zweier der mutmaßlichen Haupttäter waren noch Artikel zum Thema zu finden, in denen das Wort "Terrorismus" kein einziges Mal vorkam - aber das war spätestens nach Ende des Wochenendes nach den Selbstmorden anders. Rechtsterrorismus, rechtsextremistischer Terrorismus, neuer Neonaziterror - plötzlich fanden sich die Begriffe in allen deutschen Zeitungen. Und da haben wir sie endlich, eine Diskussion über Terrorismus, die sich nicht nur auf Islamismus konzentriert, sondern auch für rechtsextremistische Terroristen noch Platz lässt. Und in den einschlägigen islam- und ausländer"kritischen" Internetforen lese ich plötzlich, wie sich Diskutanten darüber beschweren, dass in der allgemeinen Diskussion zwischen "rechts", "rechtsextremistisch" und "rechtsterroristisch" nicht differenziert wird - und ich denke mir, von irgendwoher kenne ich das doch.

Da ist sie, die Debatte, die wir seit langem brauchten.

Aber da ist auch noch etwas. Ein Gedanke, der mir gar nicht gefällt. Nach den Anschlägen in Norwegen kam er mir zum ersten Mal. Der Gedanke, dass es also tote Norweger (welche von uns; einen Teil der Mehrheitsgesellschaft) braucht, einen Angriff auf die sozialdemokratische Partei eines europäischen Landes (eine respektable Institution in der Mitte der Gesellschaft) und einen Anschlag in der Osloer Innenstadt (das Herz des Staates), damit wenigstens in manchen deutschen Zeitungen darüber nachgedacht wird, ob auch Rechtsextreme Terroristen sein können. Jetzt, nach der Aufdeckung des rechtsextremistischen Terrornetzwerkes, kam er mir wieder. Aber ich hab ihn schnell verdrängt, weil ich nicht verbittert werden möchte, weil ich nicht glauben kann, nicht glauben will, wie rassistisch und exkludierend wir vielleicht sind.

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