Dienstag, 31. August 2010

Mein Tag

- 21. Ramadhan -

Working mum
sein heißt Stress haben.

Zumindest kann ich ausschlafen. Bis elf, als mich dann doch das schlechte Gewissen packt und ich den Laptop anschmeiße, um die Zeit, die das Lieschen noch schlummert, für meine Unterrichtsvorbereitung zu nutzen. Tja, denkste. Natürlich wacht die Kleine just in dem Moment auf. Die Arbeitsblätter für die Deutschstunde am Nachmittag erstelle ich also mit langsam wieder einschlummerndem Kleinkind auf dem Schoß. Kind wacht doch auf, wir gehen nach unten, Kind kriegt was zu essen, Frühstück oder Mittagessen oder was. Bis wir fertig sind, ist es Nachmittag, auf zum Supermarkt also, von dort in die Bücherei, Arbeitsblätter ausdrucken, dann nach Hause, Tüten abladen, zur Bekannten flitzen, Lieschen abladen, zur Arbeit hetzen. Fünf Minuten zu spät, das geht ja noch. Nach einer Stunde Unterricht, jemand - die Sprachschule! - hat meiner Schülerin erzählt, nach 10 Stunden Unterricht beherrsche sie Gegenwart, Präsens und Futur und könne sich grundlegend unterhalten - ha ha ha! - ... aber das erwartet sie jetzt von mir ... nach einer Stunde Unterricht laufe ich - nicht mehr ganz so gehetzt - wieder zurück zu der Bekannten, wo das Lieschen selig mit seiner kleinen Freundin spielt. 15, 20 Minuten Smalltalk, Kind in Buggy, Straße wieder runter laufen, eine Viertelstunde später sind wir zu Hause. Kind schläft, in der Küche stehen immer noch die Einkaufstüten und die Wäsche ist jetzt auch durch, aber das muss warten. Gut, dass Essen im Kühlschrank ist und Mikrowelle und Fernseher nicht weit abrufbereit stehen.

Das war mein Tag.

Freitag, 27. August 2010

Europa und die Religion

- 17. Ramadhan -

In der Zeit ist vor einer Weile ein nicht schlechter Artikel zur Frage, welchen Platz die Religion in Europa haben soll, erschienen: Wollen wir ein laizistisches Europa oder eines, in dem viele Religionen nebeneinander ihren Platz haben - auch in der Öffentlichkeit? Ich bin nicht mit jeder Aussage, die er trifft, einverstanden, aber im Großen und Ganzen bringt der Autor es auf den Punkt:


Mittwoch, 25. August 2010

Zain Bhikha and Friends

- 15. Ramadhan -

Zain Bhikha, Dawud Wharnsby Ali, Abdul Malik Ahmad and Bongani Masuka: Can't Take It With You




Zum Lesen, Nachdenken, Mitsingen: der Text.

Dienstag, 24. August 2010

Lieselotte arbeitet

- 14. Ramadhan -

Und dann wollte sie einen Job. In London. Nichts Weltbewegendes, keine Stelle für die nächsten fünf Jahre, sondern einfach nur etwas, was man zeitweise machen könnte, um etwas Fuß zu fassen, um etwas Geld zu verdienen.

Nach einer Weile, in der sie Online-Jobbörsen und Tageszeitungen nach passenden Stellenanzeigen durchforstete; sich zum Profi in der Handhabung der Computer in den lokalen Arbeitsagenturen entwickelte - und in der Übersetzung der für ihre Fachgebiete relevanten Ausdrücke; sich überlegte, was sie eigentlich gut konnte; ihren Lebenslauf umschrieb für Stellen als Lehrerin, Eventmanagerin, Museumsangestellte, Kundenbetreuerin, Übersetzerin, sandwich artist (nee, die Berufsbezeichnung habe ich mir nicht ausgedacht), Putzfrau; in der sie mit offenen Augen durch die Einkaufsstraßen ihrer Stadt lief (war das nicht eine Stellenausschreibung dort vorne auf dem Plakat im Schaufenster?); nach je einem Bewerbungsgespräch für eine Tätigkeit im internationalen Callcentre, als Deutschlehrerin, Übersetzerin; einiger Recherche in den einschlägigen Expat-Internetforen; regelmäßigen Telefonaten mit den mehr oder weniger kompetent wirkenden Vertretern einer ganzen Reihe von recruitment agencies -

Nach einer Weile hatte sie einen Job.

Heute gebe ich meine erste Unterrichtsstunde. In Deutschland würde ich wohl kaum eine Stelle als Deutschlehrerin bekommen, nicht in einer vergleichbaren Institution. Aber in der Fremde ist manches anders und ich freue mich auf morgen. Ich habe ein paar Standard-Einstiegsübungen vorbereitet. Neben Sarah, Julia und Andreas begrüßen sich darin Fatma und Kasia - so viel realitätsnahes Deutschlandbild muss sein. Und für die Hörverständnisübung habe ich einen Rap von Ammar vorbereitet - mal sehen, wie's ankommt.

Montag, 23. August 2010

Wahre Stärke

- 13. Ramadhan -

Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete, dass der Gesandte Allah, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte:


"Der wahre Starke ist nicht derjenige, der in einem Ringkampf siegt, sondern der wahre Starke ist derjenige, der sich in seinem Zorn beherrscht.“

(Überliefert nach Bukhâri und Muslim)

Mehr? Hier.

Sonntag, 22. August 2010

Für Kurzentschlossene

- 12. Ramadhan -

Von dem Projekt "Zahnräder", das eine Gruppe engagierter, erfolgreicher junger Muslime auf die Beine gestellt hat, berichtete Lieselotte neulich. Jetzt gibt es gute Nachrichten: Die Bewerbungsfrist wurde verlängert und noch bis zum 29. August könnt ihr euch anmelden und eure Projektideen einreichen. Also: los geht's!

Samstag, 21. August 2010

Ava und der Großvater

- 11. Ramadhan -

Heute auf dem Spielplatz habe ich wieder den Exil-Iraner mit seiner Enkelin getroffen. Ihr schicker, roter Strickmantel leuchtete schon von weitem und ich fragte mich noch einmal, ob ich dem Lieschen nicht doch eine leichte Jacke hätte anziehen sollen. Wir hatten die beiden vor ein paar Tagen schon einmal getroffen, um die gleiche Zeit am frühen Abend, als wir noch einmal raus sind, bevor es dunkel wurde. Ava hieß die Kleine, erklärte mir ihr Großvater, was "eine Melodie" oder "etwas, das schön klingt" bedeute. Sie sei zurzeit mit ihren Eltern aus dem Iran zu Besuch. Er lebe hier, nicht weit vom Spielplatz.

Ava
ist vielleicht ein oder zwei Jahre älter als das Lieschen. Ihr Großvater begrüßte mich mit einem höflichen "hello! how are you? good to see you!", zwinkerte dem Lieschen zu und dann spielte er wie letztes Mal mit den beiden Mädchen mit Avas lilanem Glitzerball. Er erklärte Ava auf Persisch, sie solle auch dem Lieschen mal den Ball geben und ich rief dem Lieschen von der Bank auf Deutsch zu, dass ich auch gleich spielen käme. Ich hätte mich gerne länger mit ihm unterhalten; ihn gefragt, wie es im Iran ist; wie seine Familie dort lebt; was ihn nach London verschlagen hat; wann er zum letzten Mal dort war; ob seine Kinder nicht auch lieber hier leben würden; wie es ist, seine Enkelin nur in den Ferien zu sehen - aber das waren wohl etwas zu persönliche Fragen, um sie einem Spielplatzbekannten zu stellen.

Außerdem war es schon spät geworden. Ich schnappte mir also das Lieschen, das Ava und dem Großvater zum Abschied zuwinkte und machte mich mit ihr auf den Weg nach Hause. Ob ich den beiden beim nächsten Mal wieder begegne?

Mittwoch, 18. August 2010

Transkulturell

- 8. Ramadhan -

Vor fünf Jahren eröffnete der Deutsche Gunter Völker den "Deutschen Hof Erbil", ein Wirtshaus im Norden des Irak. Seitdem serviert er seinen deutschen, irakischen und internationalen Gästen Spätzle, Sauerbraten und deutsches Bier - in authentischer Stammtischatmosphäre. Ein Stück "deutscher Gemütlichkeit" mitten im Nahen Osten.

Ja, ist das jetzt vollkommen gaga - oder einfach genial?

Samstag, 14. August 2010

Freitags in der Moschee

- 4. Ramadhan -

Es ist ein heißer Freitagnachmittag im Sommer 2010. Lieselotte und das Lieschen machen sich durch die Mittagshitze auf den Weg in die Moschee, in der freitags die Khutba auf Deutsch gehalten wird. Der mit Teppich ausgelegte Gebetsraum füllt sich langsam. Da Deutsch hier die Umgangssprache ist, wird die Moschee von Muslimen der verschiedensten Hintergründe besucht: Deutsche, Marokkaner, Türken, Bosnier, Afghaner, Schwarzafrikaner, Südostasiaten, Bangladeshis, Pakistanis - hier gibt's von jedem was. Meist sind es Jugendliche und junge Erwachsene, die sogenannte "zweite (oder dritte) Generation".

Der Khatib wechselt. Heute ist es ein junger Mann, der aus Ostafrika stammt. Er beginnt die Khutba mit dem Hinweis, dass er heute ein aktuelles Thema behandeln möchte. Und zitiert einen Vers aus dem Qur'an:
"Sprich zu den gläubigen Männern, sie sollen ihre Blicke senken und ihre Scham bewahren. Das ist lauterer für sie. Gott hat Kenntnis von dem, was sie machen."(Qur'an 24 : 30)
Die Stelle kenne ich. Vers 24 : 31 beginnt ähnlich (bezieht sich aber auf die Frau) und fährt dann mit der Erklärung, die Frau habe sich zu bedecken, fort. "Okay, eine Hijab-Khutba also", denkt sich die Lieselotte und wartet darauf, dass der zweite Vers rezitiert wird. Aber da kommt nichts mehr. So wie es sonst 24 : 31 geht, dass der Vers nämlich oft zitiert wird, ohne zu erwähnen, dass er einen "Bruder" hat, der ihm sogar vorausgeht und eine Aussage zu den Männern trifft, geht es nun 24 : 30. Als ich das kapiert habe, fällt es mir schwer, das dicke Grinsen loszuwerden.

Der Khatib kommt zum Punkt: Er möchte über das Verhalten einiger Muslime, einiger muslimischen Männer, bei diesem Wetter sprechen. Es ist Sommer, es ist heiß, und hier heißt das, dass sich die Zahl und Größe der Kleider, die man trägt, immer weiter verringert. Sommerkleidchen, Miniröcke und knappe T-Shirts werden aus dem Schrank geholt. Und wie reagieren manche Muslime darauf? Halten sie sich an die Vorgaben ihrer Religion, die ihnen klar sagt, was zu tun ist, nämlich "ihren Blick zu senken"? Oder betrachten sie diese Frau als Freiwild, ihre Kleidung als Einladung zur Anmache? Was der Islam zu dieser Frage zu sagen hat, ist unzweideutig, erklärt der Khatib: Das Verhalten dieser Männer ist nicht in Ordnung und mit der Religion nicht zu rechtfertigen. Und dass diese Frauen keine Muslime sind, spielt keine Rolle: Respekt verdienen sie auch so. Sind sie nicht Menschen, Gottes Geschöpfe, unsere Geschwister - vielleicht nicht im Glauben, aber doch in der Menschlichkeit?

Lieselotte ist sehr zufrieden mit ihrem Khatib - bis der auf das Thema Pornographie kommt, das er verurteilt (soweit bin ich ja noch einverstanden) und zu dem er die Publikation einer US-amerikanischen Wissenschaftlerin zitiert, die die Schädlichkeit pornographischer Filme und Heftchen belegen soll. Na toll. Ich bin mir sicher, wenn man lange genug sucht, findet man auch nen Wissenschaftler, der die Vorzüge von Pornographie preist. Man kann doch nicht einfach eine Medizinerin zitieren und das dann als Schluss der Wissenschaft darstellen... Aber gut. Der erste Teil der Khutba war super und am Rest - müssen wir eben noch arbeiten.

Freitag, 13. August 2010

Nach dem Islamismus

- 3. Ramadhan -

Werner Schiffauer, Professor für Kultur- und Sozialanthropologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) hat ein neues Buch herausgebracht:

Nach dem Islamismus
Eine Ethnographie der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş
Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2010.

In "Nach dem Islamismus" zeichnet Schiffauer die Auseinandersetzungen innerhalb der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş in den letzten Jahren nach und macht deutlich, dass die Bewegung keineswegs so einheitlich antiwestlich und islamistisch ist, wie es ihr - unter anderem vom deutschen Verfassungsschutz - vorgeworfen wird. Er zeigt, welche Entwicklung ein mit der Demokratie konfrontierter Islamismus nehmen kann und warum es sich deshalb manchmal lohnen kann, Gelassenheit zu wahren.

Wie von Schiffauers vorangegangen Publikationen zum Islamismus in Westeuropa und der Türkei ist auch von diesem Werk die differenzierte ethnographische Beschreibung der (post)islamistischen Szene in Deutschland zu erwarten, die für den Wissenschaftler typisch ist.

Eine Rezension von der Südostasienwissenschaftlerin und Ethnologin Susanne Schröter findet sich in der Online-Ausgabe der FAZ.

Donnerstag, 12. August 2010

Warm und kalt

- 2. Ramadhan -

Ich habe noch nie so viele Babys und Kleinkinder in dem Wetter unangemessener Kleidung gesehen wie hier. T-Shirt, Minirock, kurze Hosen bei 13, 14, 15 Grad - das ist es einfach nicht. In Deutschland heißt es, dass ein Säugling unter 4 Monaten immer langärmlig tragen soll - englische Babys scheinen da härter im Nehmen zu sein. Wenn das Lieschen und ich auf dem Spielplatz in langärmeligem Hemd plus Jeansjacke unterwegs sind, trägt man - bis auf die tief verhüllten bengalischen Mamas - dort noch immer T-Shirt.
Lieselotte: Sag mal, ist dir nicht kalt? Ist doch schon ein bisschen kühl heute, nicht?

Frau (englisch, blond, blass):
Ach ... nein, wir sind so viel unterwegs gewesen, ständig in Bewegung, da merk ich das gar nicht.
Hä? Selbst wenn ich hier über den Platz joggen würde, wollte ich zumindest doch ein langärmliges Oberteil tragen...

Und bei den Babys fängt es an. Womit für mich die "Wie kommt es, dass die nicht frieren?"-Frage gelöst wäre: Es ist Gewöhnung, ganz einfach, von frühen Kindesbeinen an.

Mittwoch, 11. August 2010

Danach

- 1. Ramadhan -

"Nun erzählen Sie doch mal!" - Trauma-Expertin Kerstin Stellermann plädiert im ZEIT-Interview für Zurückhaltung bei der Berichterstattung über Unglücke und Katastrophen.

Dienstag, 10. August 2010

Ohne Ansehen der Person

Ein blinder Richter - geht das? Ziemlich gut, meint Uwe Boysen, der nichts sieht, aber dennoch als Vorsitzender Richter am Bremer Landgericht arbeitet. 60 blinde Richter arbeiten in Deutschlands Gerichten, in diesem Artikel berichtet die Legal Tribunes aus dem Arbeitsalltag von einem von ihnen.

(Interessant fand ich Boysens Aussage, dass sie, die blinden Schüler "besser sein mussten" als die, die nicht blind waren. Das scheint etwas zu sein, was Angehörige (fast) aller Minderheiten überall gemeinsam haben. Den Spruch habe ich jedenfalls außer von einem Blinden schon von einer Jüdin, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Westeuropa lebte, und von türkischen Muslimen in Deutschland gehört: Besser sein, um die Vorurteile, denen man ausgesetzt ist, am eigenen Beispiel zu widerlegen.)

Montag, 9. August 2010

Jamal darf zurück

Ein 16-jähriger Schüler aus Hessen, der im Dezember in sein Herkunftsland Armenien abgeschoben wurde, darf zurück nach Eschwege, wo er sich auf sein Abitur vorbereitete.

Bleibt die Erkenntnis: Protest kann sich doch lohnen.

Und die Frage: Was sind das für Beamte, die einen Gymnasiasten, der sieben Jahre ohne Probleme in Deutschland lebte, der Klassenbester und Stipendiat der Hertie-Stiftung war, ohne seine Mutter und die beiden Brüder in ein Land abschieben, in dem ihm als Angehöriger einer Minderheit Verfolgung droht? Und ihn dann acht Monate später zurückkehren lassen? Einmal Armenien und zurück - nee, oder?

Sonntag, 8. August 2010

Ramadhan, Weihnachten und der Supermarkt

Vor ein paar Tagen lag mal wieder ein Prospekt des lokalen Supermarktes bei uns in der Post. "Ramadan Mubarak" hieß es da in goldenen Lettern auf türkisem Hintergrund und eine rote Moschee, eine Mondsichel und ein paar Sterne komplettierten das Ganze. Kichererbsen, Tomaten, Yoghurt, Samosas, Basmatireis, Garnelen, Ingwer, Knoblauch, Gewürze, Kartoffeln und Mangosaft sind im Angebot - alles, was man eben braucht, um ein schönes südasiatisches Ramadhan-Menü zusammenzustellen.

In England gibt es Christen und Muslime, und es gibt Werbeprospekte zu Weihnachten und Werbeprospekte zu Ramadhan. In Deutschland gibt es Christen und Muslime, und solche Prospekte, die gibt es zu Weihnachten. Und zu Ostern.

Jetzt kann man natürlich sagen: "Mensch, wenn du keine anderen Probleme hast". Oder: "Darauf kommt es ja nun wirklich nicht an", aber ich denke, so einfach ist es nicht. Dass die hier ganz nicht nur Weihnachts- sondern auch Ramadhanprospekte haben, zeigt vielmehr, wie selbstverständlich der Islam hier Teil des Alltags ist, und dass es gar keine Frage ist, dass der Ramadhan genauso zu England gehört wie eben Weihnachten.

Samstag, 7. August 2010

Post aus Gaza

Die palästinensisch-amerikanische Journalistin Laila El-Haddad, die als Gaza Mom über "Motherhood, politics, Palestine and everything inbetween" bloggt, ist zurzeit in Gaza zu Besuch und schreibt in ihrem Blog über ihre Eindrücke und Erlebnisse. Über ein Leben ohne gesicherte Elektrizitätversorgung; über eine Musikschule in Gaza City; lokale Blogger und die Frage, ob Gaza, wie es so oft heißt, das größte Gefängnis der Welt ist. Nein, meint El-Haddad:
"Prisoners are guilty of a crime, yet they are guaranteed access to certain things – electricity and water, even education – where Gazans are not. What crime did Gazans commit, except, to quote my late grandmother, “being born Palestinian”?
Für einen optischen Eindruck und eine Menge Fotos vom Gazstreifen und der Westbank lohnt sich ein Besuch auf El-Haddads Flickr-Seite.

Freitag, 6. August 2010

Tube-Geschichten (02)

Am frühen Samstagabend irgendwo in den Tiefen des Londoner Tube-Systems. Lieselotte, das Lieschen und ein Haufen Londoner warten auf die nächste Bahn. Ein Mann kommt die Treppe herunter auf den Bahnsteig getorkelt. Da hätte ihn jemand ansprechen und ihn fragen können, ob alles in Ordnung sei. Er tastete sich an der Wand entlang, Da hätte jemand fragen können: "Entschuldigung, ist alles in Ordnung?", stieß gegen zwei andere Passagiere, "Wollen Sie sich vielleicht lieber setzen?", stolperte, "Brauchen Sie Hilfe", fing sich wieder, "Alles klar?", fiel über einen jungen Mann, der an der Wand lehnte, und ihn wegstieß anstatt zu fragen: "Was ist denn los?", und knallte mit dem Gesicht zuerst und dann der Länge nach auf den steinernen Fußboden.

Ich habe mich schnell weggedreht und als ich wiederhin sah, war der Bahnsteig vollgetropft mit dem Blut des Mannes und eine Gruppe von Leuten stand um ihn herum, half ihm hoch, setzte ihn auf die Bank, besorgte ein Taschentuch, benachrichtigte einen Fahrer.

Es war Gott sei Dank nichts Schlimmes passiert, aber wäre der Mann überhaupt gefallen, wenn mal jemand etwas früher seine Pendler-Gleichgültigkeit abgestreift hätte und sich um ihn gekümmert hätte?

Mittwoch, 4. August 2010

Ein Tag am Meer

Anderthalb Stunden Busfahrt gen Südosten und wir sind im Küstenstädtchen Margate. Wer hätte gedacht, dass London so nahe am Meer liegt? Der gelbe Sandstrand, der sich vor dem kleinen Ort Richtung Meer erstreckt, wird von einer Uferpromenade begrenzt. Die meisten der Häuser, die mit Blick auf das Wasser gebaut wurden, müssen 100 bis 150 Jahre alt sein. Ein Großteil von ihnen ist ziemlich heruntergekommen, in den Seitengäßchen noch mehr als entlang der Hauptstraßen.

Das Hochhaus, das sich hinter den zwei- bis dreistöckigen Häusern grau und hässlich gen Himmel reckt, ist jünger. Unter den Rundbögen der parallel zur Küstenlinie gebauten Häusern an der Hauptstraße laden grell leuchtende Schilder und Neonröhren zum Dartwerfen, Kuscheltierfangen, Glücksspiel: "family amusement". Fish und Chips gibt's dort vorne an der Ecke zu kaufen, aber Curry kriegt man auch, oder Kebab.

Unten am Strand gibt es Ebbe und Flut, Algen, Muscheln, Lieselotte fischt eine - tote - Krabbe aus dem Meer und das Lieschen kann es nicht fassen: so viel Sand und Wasser an einem Fleck! Mutige schwimmen selbst bei 19, 20°C Außentemperatur, aber nicht lange, denn das ist selbst für Briten kühl. Das Wetter meint es gut mit uns, von den vorhergesagten Regenschauern bleiben wir verschont und zwischendurch lässt sogar die Sonne mal kurz ein paar Strahlen blicken, bis dann irgendwann am späten Nachmittag plötzlich alle hektisch anfangen, ihre Sachen zusammen zu packen, weil es doch zu tröpfeln beginnt.

Schnell laufen wir zurück zum Bus, der neben dem Jahrmarkt steht, auf dem jetzt - anders als heute vormittag - die Lichter der Karrussels, der Schießbuden, Schaukeln und anderen Geräte blinken und rotieren und kreischende Teenager zu hören sind. Wir steigen in den Bus, fahren anderthalb Stunden gen Nordost durch kleine Provinznester, über sanfte Hügel und durch gelbe Wiesen und kommen erschöpft in London an, über eine Stunde später als geplant, aber das hat sich gelohnt für diesen Tag am Meer.

Dienstag, 3. August 2010

XXS

Einer der Gründe, warum man als Muslimin Hijab tragen soll, ist die Idee, dass so die Aufmerksamkeit von den körperlichen Reizen der Frau abgelenkt werden soll. Ich wiederhole den Kern der message: Kör-per-lich-e Rei-ze der Frau!

Was also sollen all diese Kinder, die ich hier mit nem Kopftuch auf der Straße sehe?! Die Kleine gestern beim Supermarkt war vier, vielleicht fünf, höchstens sechs Jahre alt. Eine Frau ist was anderes.

Besonders absurd ist dabei die Version T-Shirt, Jeans, Kopftuch: Leute, Hijab ist nicht einfach nur ein Tuch aufm Kopf!

Lasst doch die Kinder spielen (wer kann in einer Abaya stolperfrei rennen? ich krieg damit kaum das Laufen hin...); falls sie später mal Lust haben, Hijab zu tragen, dann ist dafür immer noch Zeit.

Oder sind die alle gerade nur auf dem Weg von der Koranschule nach Hause und haben deshalb ihr Kopftuch noch auf?

Ich verstehe es nicht.

Montag, 2. August 2010

Tube-Geschichten (01)

Etwas ratlos stand die durchweg hellblonde Familie am Bahnsteig. Eine der drei Töchter fragte auf Deutsch, denn aus Deutschland kam die Familie: "Papa, ist das die, die wir nehmen müssen?", aber selbst Papa war sich da nicht so sicher. Etwas neben ihnen stand die Lieselotte mit dem Lieschen an der Hand. "Wo wollen Sie denn hin?", fragte sie freundlich und Papa drehte sich überrascht um. Ein Lächeln, Erleichterung. "Nach Canary Wharf, ist das dann die richtige?".

Lieselotte: "Nein, nach Canary Wharf, da müssen Sie die Richtung Lewisham nehmen."

Papa schaut ratlos.

Lieselotte: "Schauen Sie, da auf der Karte ist es genau erklärt. Das ist ein bisschen kompliziert, weil die Züge nicht nur von A nach B, sondern von A nach B, C, oder D fahren: Man muss also immer genau gucken, in welchen Zug man einsteigt ... sonst landet man am Ende ganz dort unten rechts in Woolwich Arsenal."

(Lieselotte zeigt auf die Anzeige "Woolwich Arsenal" am Kopfende des Zuges.)

Papa (lacht): "Achso, okay, man muss also immer auf die Endhaltestelle gucken."

Lieselotte: "Äh ... ja, genau. - Der hier fährt nach Woolwich Arsenal, Sie wollen aber nach Canary Wharf, das ist also nicht der richtige. Aber der nach Lewisham kommt auch gleich, den müssen Sie dann nehmen."

Papa: "Super, danke! Sagen Sie, kennen Sie sich mit den Bussen auch aus?"

Lieselotte: "Hm, ein bisschen."

Papa: "Ja, unsere Karte, die gilt nämlich auch für die Busse, und da dachten wir, das wollen wir ja auch nutzen, aber wir haben noch nicht so ganz verstanden, wie es funktioniert. Ist das da genauso wie bei den Zügen?"

Lieselotte: "Äh, Sie meinen jetzt das Entwerten der Karte, oder - ?"

Papa: "Nein, wo er hinfährt. Das sieht man dann auch an der Endhaltestelle?"

Lieselotte: "Mh - ja?"

Die angezeigte Endhaltestelle zeigt, wo der Bus hinfährt, genau. - Ist das irgendwo anders? Leute, wo kamen die denn her? (Lasst mich raten: Vom Dorf, aus der Kleinstadt, da, wo man sich mit Dingen wie dem öffentlichen Nahverkehr nicht auseinandersetzen muss, weil man eh zwei Schlitten vor der Haustür stehen hat...?)

Sonntag, 1. August 2010

Zahnräder

Liebe kreative Muslime: eine Woche habt ihr noch, am 8. August läuft die Bewerbungsfrist für das Projekt "Zahnräder" ab. Um was geht's?
"Immer mehr junge Muslime engagieren sich in der Politik oder der Wirtschaft. Sie schreiben für verschiedenen Medien, sind im sozialen Sektor aktiv und akademisch erfolgreich. Sie stehen für Innovation und kulturellen Reichtum in Deutschland."
Nur ein bisschen besser vernetzen muss man das Ganze. Dafür also diese Initative, im Rahmen derer ein Wochenende lang Austausch und Diskussion über die eingereichten Projektideen der einzelnen Teilnehmer auf der Tagesordnung stehen sollen. In Wuppertal. Vom 24. bis 26. September. Angesprochen sind junge Muslime zwischen 18 und 35 (ausnahmsweise auch bis 45), und es soll nicht nur geredet werden während des gemeinsamen Wochenendes; am Ende der Veranstaltung werden Projektgelder in Höhe von insgesamt 4500 EUR vergeben.

Hört sich gut an? Hier geht's zur Anmeldung.