Sonntag, 31. Januar 2010
Samstag, 30. Januar 2010
Freitag, 29. Januar 2010
Schleierhaft
Heute auf Seite 1 von "Le Monde", der französischen Tageszeitung: Die Burka. Die Debatte um die Vollverschleierung muslimischer Frauen wird in Frankreich schon seit einer Weile geführt; mit der Veröffentlichung des Abschlussbericht der zuständigen parlamentarischen Kommission flammt sie jetzt noch einmal so richtig auf. Was genau die Kommission empfiehlt, ist hier nachzulesen: Der Gesichtsschleier soll verboten werden - zumindest in öffentlichen Gebäuden wie Behörden, Schulen, Krankenhäusern, öffentlichen Verkehrsmitteln. Wer nicht ohne Niqab reisen will, den nimmt der Omnibus nicht mit. Wer den Gesichtsschleier nicht abnimmt, wird im Krankenhaus nicht behandelt?
Nun könnte man einstiegen in die allgemeine Diskussion über das Für und Wider von Gesichtsschleiern, Kopftüchern, Kleidervorschriften; über die Gleichheit von Mann und Frau; über die Integrationwilligkeit von Niqab tragenden Frauen; darüber ob Niqab, Hijab, Burka, Tschador im Islam Pflicht sind; ob sie ästhetisch ansprechend sind oder angsteinflößend; ob sie ihren Platz in Europa haben oder nicht... Oder man könnte stattdessen ein paar wesentliche Fragen stellen:
Nun könnte man einstiegen in die allgemeine Diskussion über das Für und Wider von Gesichtsschleiern, Kopftüchern, Kleidervorschriften; über die Gleichheit von Mann und Frau; über die Integrationwilligkeit von Niqab tragenden Frauen; darüber ob Niqab, Hijab, Burka, Tschador im Islam Pflicht sind; ob sie ästhetisch ansprechend sind oder angsteinflößend; ob sie ihren Platz in Europa haben oder nicht... Oder man könnte stattdessen ein paar wesentliche Fragen stellen:
- Offensichtlich hinterlassen diese und ähnliche Diskussionen bei immer mehr jungen französischen Muslimen (und zwar nicht nur bei den Burkaträgern respektive -sympathisanten) ein Gefühl der Stigmatisation. Ist der "Kampf gegen die Burka" diesen Preis wert?
- Sind es wirklich ein paar hundert, vielleicht tausend "Burkas" auf Frankreichs Straßen, die das wesentliche Problem darstellen?
- Wäre es nicht viel mehr interessant, anstatt sich auf religiösen und kulturellen Phänomen festzubeißen, die wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten, denen viele - nicht nur muslimische - Franzosen ausgesetzt sind, anzugehen? (Ich erinnere mich noch gut an das Gespräch mit einer jungen französischen Lehrerin aus einem der quartiers chauds der Pariser banlieue, die 2004 - damals war das Verbot von Kopftüchern in Schulen das Thema in Frankreichs Medien - meinte: "Klar gibt es Probleme mit dem Kopftuch, aber das sind nicht die wesentlichen. Wir brauchen kein Kopftuchverbot; was wir brauchen, sind mehr Lehrer, Sozialarbeiter, Projektarbeit in den quartiers."
- Was also soll diese Politik, die sich mehr an Symbolen als an den tatsächlichen Bedürfnissen vor Ort orientiert?
- Wann waren noch mal Regionalwahlen in Frankreich? (Ach, Mitte März 2010? In nur 6 Wochen? Sag bloß!)
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Eine tolle Sache
... sind die Reisestipendien der zis Stiftung. Sich mit 600 - und nur 600 - Euro auf den Weg machen, für mindestens vier Wochen in ein Land deiner Wahl reisen, ein Thema, dass du dir vorher selbst überlegt hast, bearbeiten - und dabei eine ganze Menge ganz unterschiedlicher Menschen treffen. Hört sich gut an? Ist es auch! Themen, die Stipendiaten der letzten Jahre bearbeiteten, waren zum Beispiel:
- Berberleben zwischen Tradition und Moderne
- Erneuerbare Energie in Island
- Irans junge Opposition
- Chocolat - Köstlichkeisten aus dem Land des savoir-vivre
- Die junge Filmszene in Frankreich
Bedingungen zur Teilnahme sind: Du reist alleine; nutzt Bus, Bahn, Fahrrad - aber kein Flugzeug; kommst mit nur der Stipendiensumme für mindestens vier Wochen aus; und lieferst nach deiner Rückkehr ein Reisetagebuch, den selbst verfassten Studienbericht und eine Übersicht über die Verwendung der Stipendiensumme ab. Außerdem müssen Bewerber zwischen 16 und 20 Jahren sein und dürfen noch kein Studium begonnen haben. Die Bewerbungsfrist wurde gerade bis zum 1. März 2010 verlängert.
Und für alle, die sich jetzt wahnsinnig ärgern, dass sie keine 2o mehr sind (und / oder bereits studieren): Es gibt von der Schwarzkopf-Stiftung ein ähnliches Programm, für das sich bis zu 26-Jährige bewerben können. Der Fokus des gewählten Themas muss bei diesen Reisen jedoch einen expliziten Bezug zur Europäischen Union aufweisen.
- Berberleben zwischen Tradition und Moderne
- Erneuerbare Energie in Island
- Irans junge Opposition
- Chocolat - Köstlichkeisten aus dem Land des savoir-vivre
- Die junge Filmszene in Frankreich
Bedingungen zur Teilnahme sind: Du reist alleine; nutzt Bus, Bahn, Fahrrad - aber kein Flugzeug; kommst mit nur der Stipendiensumme für mindestens vier Wochen aus; und lieferst nach deiner Rückkehr ein Reisetagebuch, den selbst verfassten Studienbericht und eine Übersicht über die Verwendung der Stipendiensumme ab. Außerdem müssen Bewerber zwischen 16 und 20 Jahren sein und dürfen noch kein Studium begonnen haben. Die Bewerbungsfrist wurde gerade bis zum 1. März 2010 verlängert.
Und für alle, die sich jetzt wahnsinnig ärgern, dass sie keine 2o mehr sind (und / oder bereits studieren): Es gibt von der Schwarzkopf-Stiftung ein ähnliches Programm, für das sich bis zu 26-Jährige bewerben können. Der Fokus des gewählten Themas muss bei diesen Reisen jedoch einen expliziten Bezug zur Europäischen Union aufweisen.
Donnerstag, 28. Januar 2010
Kinderarztgeschichten
Kulturschock am Nachmittag. In unserem Provinzkinderarztwartezimmer, wo gewöhnlicherweise kleine Maximiliane und Tims brav neben ihren Mamas warten, dass sie von der Sprechstundenhilfe aufgerufen werden; wo ich hoffe, dass kleine Alexe und Leons mir mit ihren Schniefnasen nicht das Lieschen anstecken; während kleine Noahs und Lukasse zum Zeitvertreib die Murmelbahn auschecken; wo noch keine der netten jungen Sprechstundenhilfen es hinbekommen hat, unseren Nachnamen richtig auszusprechen; in diesem Wartezimmer sitzt heute ein kleiner Malik. Malik? Ich glaube, mich verhört zu haben. Meinte sie Marlin, Marvin, Mavik? Ich frage allen Ernstes nach, und - ja, es ist ein kleiner Malik! Malik Ibrahim sogar. Wow. Lieselotte ist platt und fragt sich auf dem Nachhausewerk, wie es kommt, dass eine junge, nicht-muslimische Mutter ihren Sohn Malik Ibrahim nennt und wir unser Lieschen eben Lieschen.
Ansonsten hat das Lieschen zum ersten Mal in ihrem Fettspeckbabyleben abgenommen. Wiegt jetzt wieder genauso viel wie vor 'nem halben Jahr, und ist also laut den Kinderarztwachstums- und gewichtstabellen nicht mehr extremextremextremübergewichtig sondern nur noch - extremübergewichtig. Kinderarztwachstums- und Gewichtstabellen, wer braucht schon Kinderarztwachstums- und Gewichtstabellen?
Außerdem ist es eine Frechheit, dass auf diesen kleinen Arztterminmerkzettelchen - wie ich erst heute bewusst wahrgenommen habe - für Alete geworben wird. Und zwar nicht nur für Alete, sondern für Alete Folgemilch 2 (braucht kein Mensch). "Nestlé Alete. Mama weiß warum" - ja, klar.
Ansonsten hat das Lieschen zum ersten Mal in ihrem Fettspeckbabyleben abgenommen. Wiegt jetzt wieder genauso viel wie vor 'nem halben Jahr, und ist also laut den Kinderarztwachstums- und gewichtstabellen nicht mehr extremextremextremübergewichtig sondern nur noch - extremübergewichtig. Kinderarztwachstums- und Gewichtstabellen, wer braucht schon Kinderarztwachstums- und Gewichtstabellen?
Außerdem ist es eine Frechheit, dass auf diesen kleinen Arztterminmerkzettelchen - wie ich erst heute bewusst wahrgenommen habe - für Alete geworben wird. Und zwar nicht nur für Alete, sondern für Alete Folgemilch 2 (braucht kein Mensch). "Nestlé Alete. Mama weiß warum" - ja, klar.
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A propos cultural diversity
Wäre hier irgend jemand auf die Idee gekommen, dass es haitische Juden gibt?
Mittwoch, 27. Januar 2010
Heute Abend: Taliban umerziehen
So, jetzt ist es soweit: Afghanistan verdrängt Haiti von den Titelseiten. Jede Krisenregion darf ja mal - auf Seite 1 vom SPIEGEL kommen. Jetzt steht also wieder Zentralasien im Fokus. Morgen beginnt die (mal wieder eine) Afghanistan-Konferenz in London. Es wird um Geld, Soldaten, Pakistan gehen. Und um Taliban. Zum Warmwerden begann man in Deutschland schon mal ein paar Tage vorher, sich Gedanken zum Thema zu machen.
Taliban sind antiwestlich, radikal, frauen- und minderheitenfeindlich, schrecken auch vor Gewalt nicht zurück und erwiesen sich in den letzten Jahren als äußerst hartnäckiges soziales Phänomen. Was also tun? - Taliban kaputt bomben? Hat bis jetzt nicht wirklich geklappt. - Isolieren? Dürfte auch nicht ganz so einfach zu bewerkstelligen sein - und die doch ein bisschen durchlässige Grenze zu Pakistan wäre dabei nur ein Aspekt. - Ignorieren? Wurde lange genug versucht, ist aber schwierig, wenn sie zunehmend die eigenen Soldaten angreifen. - Also?
Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle brachte eine "neue" Idee in die Debatte ein: ein Taliban-Aussteigerprogramm. Als ich das vorgestern im Radio hörte, dachte ich erst: "oh toll, wie im Jemen" - wo ich zum ersten Mal von muslimischen Geistlichen, die zu potentiellen und tatsächlichen Terroristen ins Gefängnis geschickt wurden, gehört hatte. Aber ein paar Sätze weiter war mir dann schon ein bisschen zu viel von "wirtschaftlicher Unterstützung" und "Jugendlichen", die sich "zum Broterwerb" den Radikalen anschließen, die Rede. Eine berufliche Perspektive eröffnen mag ja eine Möglichkeit sein. Aber wenn es einem darum geht, etwas zu radikalen Islamisten beizukommen, dann braucht es mehr.
"Umerziehung" ist ein weniger schönes Wort, das zudem falsche Hoffnungen wecken könnte; "Dialog" vielleicht etwas zu ungenau und - lasch; vielleicht trifft es: "Politische Bildung". Erfahrungen damit hat man nicht nur im Jemen und in Saudi-Arabien gemacht. Von heute auf morgen wird sich da nichts tun. Aber wer immer noch denkt, wir ziehen uns übermorgen aus Afghanistan zurück, übergeben alles schön lokalen Sicherheitskräften, und gut ist - der hat eh etwas Wesentliches nicht begriffen.
Taliban sind antiwestlich, radikal, frauen- und minderheitenfeindlich, schrecken auch vor Gewalt nicht zurück und erwiesen sich in den letzten Jahren als äußerst hartnäckiges soziales Phänomen. Was also tun? - Taliban kaputt bomben? Hat bis jetzt nicht wirklich geklappt. - Isolieren? Dürfte auch nicht ganz so einfach zu bewerkstelligen sein - und die doch ein bisschen durchlässige Grenze zu Pakistan wäre dabei nur ein Aspekt. - Ignorieren? Wurde lange genug versucht, ist aber schwierig, wenn sie zunehmend die eigenen Soldaten angreifen. - Also?
Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle brachte eine "neue" Idee in die Debatte ein: ein Taliban-Aussteigerprogramm. Als ich das vorgestern im Radio hörte, dachte ich erst: "oh toll, wie im Jemen" - wo ich zum ersten Mal von muslimischen Geistlichen, die zu potentiellen und tatsächlichen Terroristen ins Gefängnis geschickt wurden, gehört hatte. Aber ein paar Sätze weiter war mir dann schon ein bisschen zu viel von "wirtschaftlicher Unterstützung" und "Jugendlichen", die sich "zum Broterwerb" den Radikalen anschließen, die Rede. Eine berufliche Perspektive eröffnen mag ja eine Möglichkeit sein. Aber wenn es einem darum geht, etwas zu radikalen Islamisten beizukommen, dann braucht es mehr.
"Umerziehung" ist ein weniger schönes Wort, das zudem falsche Hoffnungen wecken könnte; "Dialog" vielleicht etwas zu ungenau und - lasch; vielleicht trifft es: "Politische Bildung". Erfahrungen damit hat man nicht nur im Jemen und in Saudi-Arabien gemacht. Von heute auf morgen wird sich da nichts tun. Aber wer immer noch denkt, wir ziehen uns übermorgen aus Afghanistan zurück, übergeben alles schön lokalen Sicherheitskräften, und gut ist - der hat eh etwas Wesentliches nicht begriffen.
Dienstag, 26. Januar 2010
Noch was
Wieso muss man eigentlich beim Zahnarzt keine Praxisgebühr bezahlen, bei jedem anderen Arzt aber schon?
Fragen des Tages
1) Muss ein EU-Kommissar Englisch sprechen können?
2) Dürfen israelische Behörden einen europäischen Entwicklungshilfeminister an der Einreise in den Gazastreifen hindern?
3) Henryk Broder und Hamed Abdel-Samed: muss das sein?
2) Dürfen israelische Behörden einen europäischen Entwicklungshilfeminister an der Einreise in den Gazastreifen hindern?
3) Henryk Broder und Hamed Abdel-Samed: muss das sein?
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Montag, 25. Januar 2010
Frage, rhetorisch
Wie fett wäre mein Kind, wenn es all die Schokokeksetraubenzuckervanilleeishimbeerbonbons-salzstangenvollkornkeksewurstscheibenkaugummis-zuckerlolliesbutterplätzchenschokonikoläuse, die es so über den Tag verteilt geschenkt bekommt, tatsächlich zu essen bekäme? (Nee, kriegt sie nicht; Mama sammelt die und verteilt sie bei Gelegenheit weiter ... letztens erst wieder zwei heulende Vierjährige mit je einem Pfirsischlolly glücklich gemacht.)
Mittwoch, 20. Januar 2010
Als Muslime Juden retteten
Das hier habe ich vor ein paar Tagen auf der Onlinepräsenz des englischen "Muslim Lifestyle"-Magazins emel gefunden: ein Artikel über muslimische Albaner, die während des Zweiten Weltkriegs Juden vor dem Holocaust gerettet haben. Hat mir gefallen, der Artikel. Wie wäre es mit einem Geschichtsbuch, das sich dem Thema widmet? Und dann ab damit in die Schulen. Wir fangen an mit Schulen in Frankreich, wo kleine Muslime meinen, der Nahostkonflikt habe auf dem Schulhof ausgetragen zu werden ... und machen weiter in Israel, um daran zu erinnern, dass nicht jeder "Feind" Feind ist. Palästina kriegt auch ein paar Exemplare, für Holocaust-Leugner und andere Unverbesserliche. Wie wär's?
Dienstag, 19. Januar 2010
Letztens gelesen (1)
Lale Akgün: Tante Semra im Leberkäseland. Geschichten aus meiner türkisch-deutschen Familie. Frankfurt am Main: Krüger, 2008.
Von ihren politischen Ansichten, gerade im Bereich Islam- und Integrationspolitik, mag man ja halten, was man möchte: Lale Akgüns "Tante Semra im Leberkäseland", eine Sammlung von Geschichten aus ihrer "deutsch-türkischen Familie", stellte sich dennoch als kurzweilige Lektüre heraus.
Sicher, letztendlich ist auch dieses Buch nur ein weiteres in der Reihe von den vielen "Ich hab nen Migrationshintergrund und erzähl euch jetzt mal, wie ich den Spagat hinbekomme"-Berichten, die in den letzten Jahren erschienen sind, unter anderem von Iris Alanyali, Hatice Akyün, Hasnain Kazim (der allein schon deshalb aus der Masse heraussticht, weil er ein Mann ist und keinen türkischen sondern einen pakistanischen Familienhintergrund hat). Die meisten dieser Autoren setzen bei dem Plaudern aus dem Fundus von Familienanekdoten auf Humor. (Und unterscheiden sich darin von den Autoren der Kategorie "Ich bin dem Ehrenmord nur knapp entkommen" wie Serap Çileli, Seyran Ateş oder - außerhalb Deutschlands - Ayaan Hirsi Ali.)
Humorvoll schreiben tut auch Lale Akgün in "Tante Semra im Leberkäseland". Wenn es etwas gibt, was ihr Buch vor ähnlichen auszeichnet, dann ist das die so gar nicht "gastarbeiterige" Familie, die darin beschrieben wird. Der Vater überzeugter Athe- und Sozialist und ausgebildeter Zahnarzt (nicht ungelernter Arbeiter irgendwo am Fließband einer großen Fabrik), die Mutter glühende Kemalistin und studierte Mathematikerin (nicht analphabetische Hausfrau). Mit praktisch gebundenen Kopftüchern, Turnhallenhochzeiten und kleinen Häkeldeckchen über der Sofagarnitur können sie nicht viel anfangen. - Mit den gängigen Klischees kommt man hier also nicht weit.
Jetzt ist es ja nicht so, dass man nicht schon mal davon gehört hätte, dass es kulturelle Differenzen nicht nur zwischen Deutschen und Türken gibt - sondern genauso innerhalb "der" deutschen oder türkischen Kultur. Trotzdem: Es lohnt sich, an einem langweiligen Sonntagnachmittag Lale Akgüns Buch in die Hand zu nehmen. Besonders anspruchsvolle Lektüre ist es nicht, dafür aber witzig und in einer anschaulichen Sprache geschrieben.
Von ihren politischen Ansichten, gerade im Bereich Islam- und Integrationspolitik, mag man ja halten, was man möchte: Lale Akgüns "Tante Semra im Leberkäseland", eine Sammlung von Geschichten aus ihrer "deutsch-türkischen Familie", stellte sich dennoch als kurzweilige Lektüre heraus.
Sicher, letztendlich ist auch dieses Buch nur ein weiteres in der Reihe von den vielen "Ich hab nen Migrationshintergrund und erzähl euch jetzt mal, wie ich den Spagat hinbekomme"-Berichten, die in den letzten Jahren erschienen sind, unter anderem von Iris Alanyali, Hatice Akyün, Hasnain Kazim (der allein schon deshalb aus der Masse heraussticht, weil er ein Mann ist und keinen türkischen sondern einen pakistanischen Familienhintergrund hat). Die meisten dieser Autoren setzen bei dem Plaudern aus dem Fundus von Familienanekdoten auf Humor. (Und unterscheiden sich darin von den Autoren der Kategorie "Ich bin dem Ehrenmord nur knapp entkommen" wie Serap Çileli, Seyran Ateş oder - außerhalb Deutschlands - Ayaan Hirsi Ali.)
Humorvoll schreiben tut auch Lale Akgün in "Tante Semra im Leberkäseland". Wenn es etwas gibt, was ihr Buch vor ähnlichen auszeichnet, dann ist das die so gar nicht "gastarbeiterige" Familie, die darin beschrieben wird. Der Vater überzeugter Athe- und Sozialist und ausgebildeter Zahnarzt (nicht ungelernter Arbeiter irgendwo am Fließband einer großen Fabrik), die Mutter glühende Kemalistin und studierte Mathematikerin (nicht analphabetische Hausfrau). Mit praktisch gebundenen Kopftüchern, Turnhallenhochzeiten und kleinen Häkeldeckchen über der Sofagarnitur können sie nicht viel anfangen. - Mit den gängigen Klischees kommt man hier also nicht weit.
Jetzt ist es ja nicht so, dass man nicht schon mal davon gehört hätte, dass es kulturelle Differenzen nicht nur zwischen Deutschen und Türken gibt - sondern genauso innerhalb "der" deutschen oder türkischen Kultur. Trotzdem: Es lohnt sich, an einem langweiligen Sonntagnachmittag Lale Akgüns Buch in die Hand zu nehmen. Besonders anspruchsvolle Lektüre ist es nicht, dafür aber witzig und in einer anschaulichen Sprache geschrieben.
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Türkei
Montag, 18. Januar 2010
Provinz
Heute in der Post: Der "Marktkorb am Sonntag" (nee, muss man nicht kennen):
Chaos und Elend in Haiti: Jetzt ist Osthessen gefragt!
Na dann mal los, Osthessen, vielleicht reißt IHR's ja noch raus...
Chaos und Elend in Haiti: Jetzt ist Osthessen gefragt!
Na dann mal los, Osthessen, vielleicht reißt IHR's ja noch raus...
Es hätte...
...ja vielleicht doch was, das Leben in so ner Großfamilie. Ich merke das immer wieder, wenn ich mit dem Lieschen bei meinen Eltern bin. Der eine passt aufs Lieschen auf, der andere kocht, der nächste hat mal Pause. So ein Kleinkind beschäftigt wirklich ohne Probleme drei-vier-fünf Personen. Und hier zu Hause ist es dann nur die Mama, die das Lieschen bei Laune hält; ihm erklärt, dass der Tee eigentlich lieber nicht auf die Computertastatur geschüttet wird; den darauf folgenden Terrorzwerganfall überbrückt; in den Keller hetzt um die Wäsche zu machen, während das Lieschen endlich schlummert... Ja, es hätte was!
Sonntag, 17. Januar 2010
Frage
Ich wurde in der Uni von einem Kommilitonen allen Ernstes mal gefragt - ich stand gerade in der Mensa in der Schlange vor der Essensausgabe an und war am Überlegen, ob es denn heute Essen 1 oder 2 sein sollte - er habe da ja gehört, ich sei Muslimin, aber - ethnisch Deutsche, ob das denn wahr sei? Ethnisch Deutsche, hä? Ich weiß gar nicht mehr, was ich ihm geantwortet habe, aber seine Frage ist bis heute definitiv auf einem der ersten Plätze meiner ganz persönlichen "Du, darf ich dir mal ne Frage zum Islam stellen"-Liste. (Übrigens ging es besser weiter als man annehmen könnte: Wir sind bis heute gut befreundet.)
19
Es ist jetzt ja wirklich schon ein Weilchen her, dass ich nicht mehr 19 bin. Aber ich kann mich noch gut an das Gefühl erinnern damals. Das war die Zeit kurz vor dem Abi und dann danach. Ich war dabei, eine Reise nach Frankreich zu planen und eine auf den Balkan; habe überlegt, ob ich dieses, jenes oder doch ein anderes Fach studieren sollte und bei der Studienplatzwahl geschwankt zwischen dem überschaulichen Städtchen in Baden-Württemberg und der spannenden Metropole im Osten der Republik... Das Gefühl war umwerfend: Mir steht alles offen und für was immer ich mich auch entscheide, es wird - inshaallah - gut werden. 19 Jahre in Deutschland.
Auf dem Busbahnhof in Jerusalem - das war nicht mehr mit 19 sondern schon ein paar Jahre später - meinte Clémence, als wir beide für einen Moment fassungslos das junge Pärchen in Militäruniform anstarrten, das sich über seine Kalaschnikov hinweg küsste: "Das ist falsch!" ... und ich erwartete einen Kommentar über sorglose israelische Jugendliche und die unzulässige Besatzung der Palästinenser, wie ich es von Clémence, die in einer palästinensischen NGO arbeitete und sich in französischen Palästina-Gruppen engagierte, erwartet hätte. Aber das war es nicht, was Clémence meinte: "Das ist falsch", sagte sie wieder. "18-, 19-, 20-Jährige sollten keine Kalaschnikov tragen, das ist doch irr, Jugendliche mit einer Kalaschnikov im Arm!"
Ja, das ist irr. Mit 19 Jahren sollte man sich Gedanken darüber machen, in welcher Stadt man studieren will, ob man studieren soll, was man mit den Jahren, die vor einem liegen, anfangen möchte. Man sollte sich nicht zwischen "Gesetz und Gewissen" entscheiden müssen. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn ich nicht in Deutschland sondern in Israel 19 gewesen wäre. Hätte auch ich eine Uniform getragen? Meinen Freund über eine Kalaschnikov hinweg geküsst? Ob ich den Mut gehabt hätte, für meine Überzeugung ins Gefängnis zu gehen? Mit 19? Ich weiß es nicht. Weißt du's?
Auf dem Busbahnhof in Jerusalem - das war nicht mehr mit 19 sondern schon ein paar Jahre später - meinte Clémence, als wir beide für einen Moment fassungslos das junge Pärchen in Militäruniform anstarrten, das sich über seine Kalaschnikov hinweg küsste: "Das ist falsch!" ... und ich erwartete einen Kommentar über sorglose israelische Jugendliche und die unzulässige Besatzung der Palästinenser, wie ich es von Clémence, die in einer palästinensischen NGO arbeitete und sich in französischen Palästina-Gruppen engagierte, erwartet hätte. Aber das war es nicht, was Clémence meinte: "Das ist falsch", sagte sie wieder. "18-, 19-, 20-Jährige sollten keine Kalaschnikov tragen, das ist doch irr, Jugendliche mit einer Kalaschnikov im Arm!"
Ja, das ist irr. Mit 19 Jahren sollte man sich Gedanken darüber machen, in welcher Stadt man studieren will, ob man studieren soll, was man mit den Jahren, die vor einem liegen, anfangen möchte. Man sollte sich nicht zwischen "Gesetz und Gewissen" entscheiden müssen. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn ich nicht in Deutschland sondern in Israel 19 gewesen wäre. Hätte auch ich eine Uniform getragen? Meinen Freund über eine Kalaschnikov hinweg geküsst? Ob ich den Mut gehabt hätte, für meine Überzeugung ins Gefängnis zu gehen? Mit 19? Ich weiß es nicht. Weißt du's?
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