Wir hatten ja Libyen noch kaum verkraftet, da rollte schon neues Unheil, diesmal über Japan, heran. Erdbeben, Tsunami, atomare Katastrophe - das war schwer zu toppen. Libyen verschwand von den Titelseiten. Von meinen muslimischen Freunde erhielt ich nun SMS mit der Bitte, für Japan zu beten. Statt libysche Studentinnen zu trösten, schickten wir jetzt soldarische Facebook-Nachrichten an unsere japanischen Kommilitonen. Die standen drei Tage nach der Katastrophe lächelnd mit Sammeleimern in der Hand auf dem Platz vor unserer Uni. Wer spendete, bekam einen Papierkranich ans Jackenrevers geheftet.
Dass in Deutschland ganz besonders laut gegen die Atomkraft gebrüllt wurde, bekam man selbst in London mit. "Ja, das ist so bei uns; es gab schon vor Jahrzehnten lautstarke Proteste gegen die Atomkonzerne", erklärten wir dem japanischen Mädchen in unserem Seminar, das uns gerade davon erzählt hatte, wer von seinen Freunden und der Familie es schon ins Ausland geschafft hatte und wer irgendwo im Nordosten in einer Sammelunterkunft dem ausharrte, was kommen würde.
Als ich so alt war wie das Lieschen heute, oder ein bisschen jünger oder ein bisschen älter, da war Japan Tschernobyl. Da durfte man nicht mehr auf den Spielplatz gehen und seine Schuhe musste man ausziehen vor dem Betreten der Wohnung. Eine Bekannte meiner Mutter schnappte sich ihr Kind und flog mit ihm nach Kuba, weit weg von der Strahlung. Unter meinen Freunden ist es in den letzten Jahren ein bisschen schick geworden, in die Sperrzone um das ehemalige AKW in Tschernobyl zu fahren. Man zahlt da ein paar Rubelchen und läuft dann einem mit Geigerzähler ausgestatteten Führer durch eine tote Stadt hinterher - die Bilder stellt man hinterher auf Facebook, so läuft das 20 Jahre nach der atomaren Katastrophe. Ob das Lieschen mit seinen Kumpels mal nach Fukushima pilgern wird?
Freitag, 18. März 2011
Tschernobyl 2.0
Labels:
Afrika,
Deutschland,
Islam und Muslime,
Konfliktbearbeitung,
Lieschen,
Medien,
Nahost,
UK,
Uni,
Zivilcourage
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
3 Kommentare:
"Ob das Lieschen mit seinen Kumpels mal nach Fukushima pilgern wird?"
Das ist die Frage, ob ihr zweifelsohne muslimischer Ehemann ihr das erlauben wird. Und mit "Kumpels" ja schonmal gar nicht.
Wahrscheinlich sollte ich auf solche Kommentare einfach nicht antworten.
"ihr zweifelsohne Ehemann" - können Sie in die Zukunft sehen?
In welcher Welt leben Sie, dass Sie denken, als muslimische Frau braucht man zum Reisen grundsätzlich die Erlaubnis des Herrn Gatten? Oder man dürfe "schon mal gar nicht" mit seinen "Kumpels" verreisen?
Vielleicht wird die Mini-Liese ja auch gar keine muslimische Frau werden? Auch das lässt sich nicht vorhersagen, oder?
Mal davon abgesehen ... ich glaube nicht, dass sie ne Katastrophen-Touristin wird :-D
Die angesprochene Person auf fb ist mir sowieso eher unsympathisch und ich habe mich gar nicht gewundert, als ich die Fotos mit dem Geigerzähler in der Hand und dem Sarkophag im Hintergrund gesehen habe.
Man muss schon mit dem Klammersack gepudert sein solche Trips zu unternehmen (obwohl die Gegend dort ja schon was "Faszinierendes" hat ... ein krasser wahrgewordener Alptraum).
Kommentar veröffentlichen