Dienstag, 30. November 2010

Aus Sicherheitsgruenden

Es war ja ganz nett verlaufen, mein Gespraech mit Noel, der aus Frankreich kam (wo es hier so wenige franzoesische Studenten gibt) und auch an meiner Uni studierte. Er war, als er mitbekommen hatte, dass ich auch fuer eine Weile in Frankreich studiert habe, ins Franzoesische gewechselt, wir hatten uns ueber London und Paris, die horrenden Studiengebuehren hier, und was wir nach dem Jahr an dieser Uni machen wollten, unterhalten. Alles ganz nett.

Bis die Lieselotte es mal wieder nicht lassen konnte und einen doofen Scherz ueber das Foto in ihrem Pass, den sie gerade scannte, machen musste: "Schau mal, wie laissez-faire die Deutschen drauf sind... In Frankreich waere das undenkbar, hm?".

Ja, das fand Noel auch. Allerdings tatsaechlich und nicht nur als Scherz. Im Pass sollte man keine Kopfbedeckung tragen duerfen. Auch nicht aus religioesen Gruenden. Nein. - Warum? - Aus Sicherheitsgruenden. - Aha? - Ja. Wenn die Haare bedeckt sind, sieht man naemlich anders aus als wenn man sie offen traegt.

An seiner Meinung aenderte auch Hinweis darauf, dass genau das der Punkt sei und die Schilderung (nicht nur) einer Begegnung mit einem Grenzbeamten, der das Foto von der jungen Frau ohne Kopftuch in meinem alten Pass mit der jungen Frau mit Kopftuch, die da vor ihm stand, nicht zusammen bringen konnte, nichts.

Da macht es doch mehr Sinn, wenn man in seinem Pass so aussieht wie man auch tatsaechlich auf der Strasse rumlaeuft. Aus Sicherheitsgruenden... - Nein. Er sieht das anders. - Aber in Grossbritannien und in Deutschland ist es doch auch moeglich, ein Foto mit Kopftuch im Pass zu haben, und keines der beiden Laender ist bis jetzt schlimmer dran als Frankreich, oder? In Deutschland gab es ("aus Sicherheitsgruenden") weniger Anschlaege von mehr oder weniger religioesen Spinnern als in Frankreich. - Nein. Die Situation in Frankreich ist eine andere, da muss das so sein. Aus Sicherheitsgruenden.

Montag, 29. November 2010

Genug

Nach einer halben Stunde auf dem Spielplatz war mir klar, dass es ein historischer Fehler der Menschheit war, nördlich der Alpen zu siedeln. Auf die halbe Stunde Frischluft folgte eine Dreiviertelstunde, die ich im Spuermarkt zwischen den Regalen auf und ab wandelnd verbrachte - um wieder aufzutauen. Den miesen Sommer hier habe ich mit der Aussicht auf einen milden Winter ueberstanden ... was also ist das jetzt? Das es um vier Uhr dunkel wird, ist auch nur peripher erheiternd. Also: Es reicht jetzt mit dem Winter!

Bild: LivingShadow

Sonntag, 28. November 2010

An den Busfahrer

... der mich heute Abend gezwungen hat, das Lieschen und meine kiloschweren Einkaufstaschen vom Buggy zu hieven, eine der Mitfahrerinnen zu bitten, einen Platz für uns frei zu machen (steht ja keiner von selber auf), das Lieschen da abzuladen, dann die Tüten irgendwo zwischen den Knien der Mitfahrenden zu verstauen und den Buggy zusammen zu klappen - all das, während Monsieur es nicht nötig gehalten hätte, auch nur mal kurz stehen zu bleiben, sondern weiter wie ein Irrer durch die dunklen Straßen sengte:

Lieber Herr Vollpfosten,

warum musste das sein? Hätte ich meinen Buggy nicht einfach neben die beiden anderen Buggys, die da schon standen, stellen können - so wie ich es ungefähr dreimal pro Woche ohne jegliche Probleme mache? Falls Sie denken, es wäre sicherer, so zu fahren, kann ich Ihnen nur sagen, dass das Schmarrn ist. Eine Menge durch den Bus kugelnder Einkaufstüten, ein auf dem Boden liegender zusammengeklappter Buggy, ein alleine auf dem Sitz abgestelltes Kleinkind - das ist unsicher! Und, warum durfte die Omi mit der riesen Einkaufstasche, die mindestens so viel Platz eingenommen hat wie unser Buggy, dann anstandlos mitfahren? Wenn Sie wissen, dass das nichts mit Sicherheit zu tun hatte und sie einfach nur eine doofe Vorschrift einhalten wollten, sind Sie genauso doof und verdienen das miese Gehalt, das Sie verdienen.

Freundlich,
Die Lieselotte

Samstag, 27. November 2010

Udo Lindenberg

Udo Lindenberg: Alles klar auf der Andrea Doria

Ich hatte nie wirklich was von Udo Lindenberg gehoert, war aber dennoch der festen Ueberzeugung, dass ich mit seiner Musik nichts anfangen kann. Jetzt habe ich mir eine seiner CDs fuer meine Deutschschueler, die von mir jede Woche mit ein bisschen Musik aus Deutschland traktiert werden, ausgeliehen und ich muss sagen: Ich kann mit seiner Musik nichts anfangen. Nur ein Lied, das hat mir richtig gut gefallen:



Freitag, 26. November 2010

Kristina und die Machos

Morgens war es laut Kristina Schroeder noch die Religion, die deutschtuerkische Jugendliche zum Machogehabe und Gewaltausbruechen anleitet (klar, im Koran steht ja auch: "Verweigere Integration, sei so richtig Macho und, ach ja, schlage deine deutschen Mitschueler windelweich"), abends dann ploetzlich nicht mehr. Was war da los, Frau Schroeder? Keine Zeit, die Studien, die sie zitieren, auch tatsaechlich zu lesen?

Wie waere es, anstatt jetzt wieder eine ewig lange und zu wenig bringende Diskussion a la Sarrazin-hat-Recht-ja-nein-ein-bisschen zu beginnen, sich endlich mal den tatsaechlichen Problemen zuzuwenden. Falls es da draussen Jugendliche gibt, die sich nicht so verhalten, wie wir es fuer zivilisiert und angemessen halten, dann muss dagegen was getan werden, richtig? Gut, dann lasst uns anfangen. Hohle Thesen und dummes Geschwaetz hatten wir, denke ich, jetzt langsam genug.

Donnerstag, 25. November 2010

Hintergruendlich

Fraenky hatte ich gerade kennen gelernt. Er sitzt schon seit zwei Monaten mit mir in einer Vorlesung, ist mir bis jetzt aber nicht aufgefallen und erst heute hatte ich mitbekommen, dass er in echt Frank heisst und Deutscher ist. Ich auch. Wir kommen ins Gespraech, unterhalten uns ueber die Uni hier, was wir vorher gemacht haben, inwiefern die Texte, die wir hier zu lesen vorgelegt bekommen, einseitig aus westlicher Sicht geschrieben sind - oder nicht.

Nach einer kurzen Gespraechspause schaut er mich ploetzlich an und meint: "Was ist dein Hintergrund?". Mein erster Gedanke ist "hae?", dann "okay, ich glaube, ich weiss was er meint - aber was, wenn ich mich taeusche?", dann entschliesse ich mich zu einem "inwiefern?". Als er mit einem "Naja, du weisst schon..." antwortet, weiss ich schon und kann mir das Grinsen nicht verkneifen: "Ja? Was denn?" - "Naja..." - "Ja?" Jetzt muss ich lachen. Er auch: "Du willst also, dass ich es sage?"- "Ja." - "Okay. Aus welchem Land kommst du?"

Da war die boese Fragen draussen; manchmal ist es gar nicht so einfach, politisch korrekt zu sein. Ich kam aus Deutschland; ich glaube, er hat dann auch noch nach meinen Eltern gefragt, die auch aus Deutschland kommen, worauf er meinte: "Okay, du bist also so ein newborn - aeh - re- aeh - konvertiert, ja?" Ja. Hatten wir's also.

Dienstag, 23. November 2010

Arabische Religion?

Ich habe auf meinen Artikel Deutsche Religion einen freundlichen Kommentar von Anonym erhalten. Unter anderem heisst es darin:

"Der Islam ist auch keine deutsche Religion, sondern eine arabische. Deswegen sollte man auch arabisch lernen, um den Koran besser zu verstehen (...)."

Das ist ein wichtiges Thema, deswegen hier meine Antwort:

"Der Islam ist eine arabische Religion? Warum?

Weil der Koran auf Arabisch geschrieben ist? Ist dann das Christentum auch eine hebraeische (Altes Testament) oder griechische Religion (Neues Testament)?

Oder ist der Islam eine arabische Religion, weil er seine Wurzeln auf der arabischen Halbinsel hat? Dann ist aber auch das Christentum nicht deutsch, sondern genuin nahoestlich, das kommt naemlich aus der gleichen Ecke.

Oder ist der Islam arabisch, weil Muhammad Araber war und Arabisch sprach? Der Logik zufolge waere das Christentum aramaeisch, weil das hoechstwahrscheinlich die Sprache ist, die Jesus sprach.

Oder dachtest du an all die Muslime, die Araber sind? Nun ja. Was aber ist mit arabischen Christen und Juden? Oder mit all den Muslimen, die keine Araber sind? Es wird geschaetzt, dass etwa ein Viertel der Muslime Araber sind. Die zahlenmaessig groesste Gruppe unter den Muslimen sind die Indonesier. Der Islam - eine arabische Religion?"

(Dass Arabischsein und Muslimsein mehr oder weniger das Gleiche ist, glauben uebrigens nicht nur freundliche Kommentatoren auf meiner Seite, dem Glauben haengt auch so mancher (arabische) Muslim an, der nervoes wird, wenn er Muslime trifft, die z.B. keinen arabischen Vornamen haben. Oder die Sorte von neuen Muslimen, die meinen, sie waeren erst so richtig muslimisch, wenn sie sich kleiden wie sie davon ausgehen, dass man sich auf der Arabischen Halbinsel vor ich weiss nicht wievielen Jahrhunderten kleidete. )

Montag, 22. November 2010

Ein historischer Tag

Liebe verzweifelnde Vaeter und Muetter,

bitte gebt die Hoffnung nicht auf! Es ist alles nicht so schlimm und meistens wird alles gut.

Vier Wochen hat es gedauert, bis das Lieschen nicht mehr in Traenen ausgebrochen ist, wenn die Mama es endlich vom Kindergarten abgeholt hat. Ab da war sie dann ganz schnell an dem Punkt, dass Mamas Ankommen abends beim Abholen bemerkt wurde - aber so wichtig, als dass man gleich alles Stehen und Liegen lassen wuerde, war das dann doch nicht unbedingt.

Und heute, an diesem schoenen (?) Novembermorgen, noch einmal vier Wochen spaeter, sind wir nun soweit: Mama bringt das Lieschen in seine Gruppe, Lieschen laeuft zu den Betreuerinnen, welche mit den anderen Kindern am Tisch sitzen und Nudeln ohne Sosse (fragt mich nicht, welches paedagogische Konzept das sein soll) essen, setzt sich dazu und wirft keinen Blick zurueck. Keine Traene, keine ausgestreckten Kinderaermchen - wow.

Ein kleiner Schritt fuer jemanden, der nichts von Kindergarteneingewoehnungen weiss, aber ein grosser Schritt fuer jeden, der es tut ... (oder so).

Donnerstag, 18. November 2010

Zwergenaufstand

Er ist mir ja zutiefst sympathisch, der Sitzstreik der Ryanair-Passagiere, die nach drei Stunden Verspaetung ohne Vorwarnung nicht in Frankreich sondern auf belgischem Boden landeten.

Vielleicht sollte man das hier auch mal probieren - das naechste Mal, wenn ich in einer Menschenmasse vor dem Eingang zur U-Bahn-Station warte, weil diese mal wieder wegen Ueberfuellung zeitweise geschlossen wurde; wenn ich es erst beim dritten Wagen schaffe, mir und das Lieschen einen viertel Quadratmeter Stehflaeche zu erkaempfen - und wir doch nicht in Bank ankommen, weil - wen wundert's - auch diese Station wegen Ueberfuellung dicht gemacht wurde. Sitzstreik vor meiner U-Bahn-Station!, wer macht mit?

(Und dass "Meuterei" und "Sitzstreik" so gar keine englischen Woerter sind, lasse ich nicht gelten. Die Studenten letztens sind doch auch ziemlich fuchtig geworden, und gestern Abend vor den verschlossenen Tueren meiner U-Bahn-Station war die Stimmung fast franzoesisch [ja, so richtig mit Meckern, Fluchen, Schimpfen, ich hab sie gar nicht wiedererkannt, meine hoeflich-formellen Englaender] - da ist Potential!)

Mittwoch, 17. November 2010

Happy Eid

"Es ist Eid!" - "Ach, ist es Eid?".

"Und, was machst du an Eid?" - "Aeh... Texte lesen?"

Das Lieschen hat Eid gefeiert, in seinem Kindergarten. Nachdem die Kinder dort an Halloween Kuerbiskarten gebastelt haben, haben sie diesmal kleine Gebetsteppiche aus Papier ausgeschnitten und angemalt. Ich habe sogar eine "Happy Eid, mummy!"-Karte bekommen. Die Idee scheint wohl gewesen zu sein, dass die Kinder die ausmalen; das Lieschen hat offenbar keine Lust gehabt: mehr als ein roter und ein angedeuteter gruener Krakel ist nicht draus geworden.

Und jetzt muss ich zurueck zu meinen Texten.

Samstag, 13. November 2010

Integration? Ach nö

"In Deutschland wird gerade viel über Integration von Ausländern gesprochen. Aber was ist eigentlich mit den Deutschen im Ausland? Die sind natürlich interessiert an landestypischer Kunst und Kost, sprechen akzentfrei Arikaans und Zulu und kämen nie auf die Idee, der eigenen Leitkultur zu huldigen! Unsere Korrespondenten haben da eher andere Erfahrungen gemacht..."

Ein paar nette Videos zum Thema - finden sich auf tagesschau.de.

Bild: Aquajazz

Freitag, 12. November 2010

9. November

Und schon wieder ein 9. November. Nach dem unsäglichen Auftritt Henryk Broders bei der Verleihung der Börne-Medaille im Juni spricht diesmal - zum Ausgleich sozusagen - der deutsch-französisch-jüdische (mein Gott, diese komplizierten Identitätsfragen aber auch immer) Publizist Alfred Grosser in der Frankfurter Paulskirche. Dass Grosser eingeladen und auch auf Protest des Zentralrats der Juden in Deutschland (ZJD), deren Vertreter mit Grossers Haltung zu Israel nicht einverstanden waren und ankündigten, die Veranstaltung zu boykottieren, nicht wieder ausgeladen wurde, spricht für Oberbürgermeisterin Petra Roth. Wenn das so läuft - dann darf sie meinetwegen auch Broder einladen.

Letztendlich lief das Ganze glimpflich ab:

Grosser rief dazu auf, die Leiden anderer anzuerkennen. An den Anderen zu denken sei eine Voraussetzung für den Frieden. Konkret sagte er: Man könne von keinem Palästinenser verlangen, "dass er die Schrecken der Attentate versteht, wenn man nicht ein großes Mitgefühl hat, die Leiden im Gazastreifen zu verstehen",

berichtet tagesschau.de. Was der ZJD daran auszusetzen haben könnte, erschließt sich mir nicht ganz - aber sie sind ja auch geblieben letztendlich, und der Skandal blieb aus. Was genau die Position des ZJD ist, lässt sich in den Worten des stellvertretenden Präsidenten Salomon Korns hier nachlesen. Eine (kurze) Replik Alfred Grossers findet sich hier. Dass es in erster Linie in Grossers Rede gar nicht vorrangig um den Israel-Palästina-Konflikt geht (wie es einem bei der Berichterstattung in der letzten Zeit teilweise vorkam), zeigt ein Blick auf die Rede.

Und nun? Nachdem wir nun im Detail die Positionen Henryk Broders, Alfred Grossers und des ZJDs zu Israel und Palästina erläutert bekommen haben, könnten wir nächstes Jahr vielleicht - wie wäre es? - einfach nur der Opfer des Nationalsozialismus gedenken. Das war es doch, um was es eigentlich ging, am 9. November - oder nicht?

Mittwoch, 10. November 2010

Madeeha

Oder: Was jetzt, Frau Schwarzer?

Madeeha
ist Mitte 20. Sie kommt aus einer muslimischen Familie in [Land in Südasien]. Ihre Eltern müssen eine ganze Menge Geld aufgebracht haben, um sie zum Studium nach England zu schicken - eine große Investition für eine südasiatische Mittelklassefamilie. Lange studiert hat sie nicht, sie hat nämlich Hassan kennen gelernt, der aus dem gleichen Land stammt und hier seinen Master macht. Sie haben ziemlich schnell festgestellt, dass sie "ohne einander nicht leben können" - und geheiratet. Religiös, weil das schnell und unkompliziert geht. Love marriages sind in [dem Land, aus dem sie stammt] selbst in der augenscheinlich verwestlichten Oberschicht extrem selten. Genauso ungewöhnlich sind Heiraten über die Grenzen der eigenen ethnischen Gruppe hinweg. So kommt es, dass Madeeha und Hassan seit einem Jahr als Ehepaar zusammen leben, ohne dass ihre Familien von der Heirat wissen. Die denken weiter, dass ihr Sohn und ihre Tochter alleine in England leben und studieren.

"Irgendwann nächstes Jahr", wenn Hassan sein Studium beendet hat, wollen sie den Familien in [Land in Südasien] beichten, dass es da jemanden gibt - und die Eltern davon überzeugen, dass eine Heirat in die Wege geleitet werden soll. Das wird voraussichtlich schwierig werden - aber, so Madeeha, "sie müssen zustimmen". Vorher ansprechen will sie das Thema nicht. "Am Telefon kann ich ihnen nicht sagen, wie ich wirklich fühle. Außerdem sind sie schon alt, was mache ich, wenn sie sich so aufregen, dass sie - was weiß ich - einen Herzinfarkt bekommen und daran sterben?" Also wartet sie bis "irgendwann nächstes Jahr" und erzählt bis dahin Freunden und Familien, der junge Mann, der so außergewöhnlich oft auf ihren Facebook-Bildern auftaucht, sei "ein Freund".

Nach der Heirat hat Madeeha ihr Studium aufgegeben. Auf die Frage, was sie studiert habe, lacht sie und meint: "nichts". Jetzt schmeißt sie zu Hause den Haushalt, arbeitet zwei bis drei Stunden pro Woche als Babysitterin, guckt viel Fernsehen oder geht mit einer ihrer Freundinnen einkaufen. Ihr Englisch ist schlechter als man es nach zwei Jahren in England erwarten könnte, aber sie arbeitet und studiert ja nicht. Zu Hause in [Land in Südasien] hat sie außer dem Kopftuch und einem langen Gewand einen Gesichtsschleier getragen. Weil sie von den Männern und ihren Blicken angeekelt war, wie sie meinte. In England angekommen, trug sie dann nur noch Hijab - das erklärte sie dann auch dem Alimustafa: "Ach, ich trage ja auch Hijab". Dass sie dabei mit offenen Haaren vor ihm saß, irritierte ihn nur ein bisschen. Als sie uns abends zum Bus brachte und wieder kein Kopftuch zu sehen war, beschlossen wir, dass er sie falsch verstanden haben musste. Wahrscheinlich meinte sie, dass sie früher auch Hijab getragen hatte. Drei Tage später verlässt sie mit uns das Haus: in engen Jeans und einem Kopftuch. "Ich trage es nur manchmal", erklärt sie, "ich bewundere es, wenn jemand es immer trägt".

So. Das ist Madeeha. Und was jetzt, Necla Kelek und Alice Schwarzer? In welche Schublade stecken wir sie? Selbstbewusste, emanzipierte Frau oder unterdrücktes Muslimchen? Oder ist die Realität doch ein bisschen komplexer als Sie es uns so oft weis machen wollen?

Dienstag, 9. November 2010

Kabarett?

Islamfeindlichkeit, selbst ernannte Experten und was die Medien damit zu tun haben: Hilal Sezgin bringt es mal wieder auf den Punkt.

Sonntag, 7. November 2010

Wohnst du noch...?

Wohnungssuche in London. Alimustafa, die Lieselotte und das Lieschen suchen eine Bleibe. Das ist nicht leicht als Familie (mit Kleinkind!) und noch schwieriger, wenn das Budget, das einem zur Verfügung steht - nun ja - bescheiden ist. Die Wohnungen, die in dieser Preisklasse angeboten werden, liegen im Norden, Osten und Süden der Stadt. Die, bei denen angegegeben ist, dass "Familien und Kinder ok" sind, ausschließlich im Osten.

Die erste Wohnung war ganz nett, das amerikanische Paar, das sich eins der beiden Zimmer teilte auch, aber in ein Zimmer ohne funktionierende Heizung wollten wir dann doch nicht einziehen. Außerdem war die Miete zu hoch für uns.

Das zweite Zimmer war ganz nett, wenn nur das Haus nicht so versifft gewesen wäre. Außer dem Zimmer, das für uns in Frage gekommen wäre, gab es ein zweites, das leer stand, billiger war, aber nicht zu vermieten war (ok?), ein drittes, in dem ein alleinstehender Inder wohnte und ein viertes, in dem eine bengalische Familie (Vater, Mutter, Kind-6-Jahre und Kind-3-Jahre) hausten. Der junge Mann, der uns das Haus zeigte, klopfte den Familienvater aus seinem Zimmer und der Alimustafa begann den "Und-wie-gefällt-euch-das-Haus-so?"-Smalltalk. Frage vier oder fünf: "Und, wie ist die Gegend hier so? Nein, nein, nicht wegen mir, aber meine Frau kommt manchmal nach der Uni spät nach Hause." Bengalischer Familienvater: "Meine Frau geht nicht raus. Vor allem nicht abends." (Ok, ok, ich gebe zu, das war übertrieben... In echt hat er gesagt: "Meine Frau geht kaum raus".)

Das dritte Zimmer war ganz nett. Die Wohnung lag im zehnten Stock eines Sozialwohnungblocks. Drei Zimmer, kleine Küche, kleines Bad, kleiner Balkon. Die Familie, die dort wohnte, war aus Bangladesch. Vater, Mutter, Kind-6-Jahre, Kind-3-Jahre auf zwei Zimmer verteilt, na ja, das geht ja noch, dachte die Lieselotte. Aber dann tauchte noch der Bruder des Mannes auf, der da anscheinend auch noch irgendwo wohnte. Das dritte Zimmer sollte bald frei werden, die junge Familie (Vater, Mutter und ihr 7 Monate altes Kind) wollte ausziehen - und die Vermieter, die ja wirklich sehr nett waren, hätten uns liebend gerne bei sich aufgenommen.

Jetzt wohnen wir ein bisschen weiter draußen, dafür teilen wir uns die Wohnung mit nur zwei Leuten - einem jungen Paar aus [dem gleichen Land in Südasien, aus dem auch Alimustafas Familie stammt]. Ideal ist es hier auch nicht, aber zumindest funktioniert die Heizung, die Frau des Hauses kommt regelmäßig an die frische Luft und die Zahl der Bewohner macht im Verhältnis zur Wohnfläche zumindest etwas Sinn.

Mittwoch, 3. November 2010

Rot-schwarze kleine Blumen


Und auf dem Weg zur Uni habe ich wieder diese kleine Blume - rote Blütenblätter um eine schwarze Mitte - an jemandens Jackenrevers gesehen. Ist das gerade modern? Trägt man das jetzt? Sieht ja ganz schick aus. Auf dem Weg nach Hause - da, noch einer! Abends spricht David Cameron im Fernsehen, von seinem Jackett lächelt eine rotschwarze Blume. Nein, das ist mehr als eine Mode - aber was ist da los?

Gestern Abend im Bus habe ich mir dann ein Herz genommen und den älteren Mann im Bus auf die Blume an seiner Jacke angesprochen. "Wegen Poppy Day", meinte er und sah mich etwas fragend an. Ok, jetzt hatte ich verstanden! An Poppy Day, oder auch: Remembrance Day, gedenkt man hier der Kriegstoten und -versehrten. Und Poppy ist nicht nur ein außergewöhnlich dämlicher englischer Mädchenname (ich würde mich bedanken!), sondern ist auch ganz einfach das englische Word für Mohn: rot-schwarz eben.

Der Mann im Bus war alt genug, dass er vielleicht selbst noch in einem der Kriege in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat mitkämpfen können. Aber heute an der Uni habe ich allen Ernstes kleine rote Blumen an den Jackenkrägen einiger der Studenten gesehen. Und in der U-Bahn waren auch so einige der Passanten mit falschen Mohnblumen ausgestattet. Das war mir fremd, aber ich komme eben aus Deutschland, wo man schon seit einer ganzen Weile kaum mehr der Kriegstoten gedenkt - jedenfalls nicht der Soldaten.

Dienstag, 2. November 2010

Montag, 1. November 2010

Letztens gelesen (07)

Oder genauer: "Letztens nicht geschafft fertig zu lesen" - ich verschlinge bis zu 200 Seiten politikwissenschaftlicher, soziologischer, psychologischer, historischer Fachliteratur (interdisziplinär fand ich schon immer gut!) pro Woche, da komme ich zu nicht viel anderem.

Ein Stapel Bücher, angefangen aber nicht zu Ende gebracht, geht also die Tage wieder zurück in die Bücherei:

Adam J. Silverstein: Islamic History. A Very Short Introduction. Oxford: Oxford University Press, 2010.

Eine überschauliche (keine 140 Seiten lange), überraschend selbstreflexiv geschriebene Übersicht zum Thema mit einigen interessanten Denkansätzen, die mir in ähnlichen Publikationen noch nicht begegnet sind: zum Beispiel zur Rolle des Kamels bei der Verbreitung des Islams. Hätte ich gerne zu Ende gelesen.

Aa'id Abdullah al Qarni: Thirty Lessons for Those Who Fast. Hounslow: Message of Islam, 1999.

Kurz vor dem Ramadhan dachte ich, jetzt muss mal wieder was Islamisches ins Haus. In unserer lokalen Bücherei habe ich mir dann aus den wenigen nicht religionswissenschaftlichen Büchern zum Islam dieses ausgesucht. Es handelt sich um eine Übersetzung aus dem Arabischen, was man schnell am etwas blumigen und pathetischen Stil erkennt. Dass es ein bisschen aus der Saudi-Ecke zu kommen scheint, darauf weisen die gelegentlichen Stellen, die Musik verteufeln und ein etwas - nun ja, wie soll ich sagen: gewöhnungsbedürftiges? Frauenbild propagieren (falls die Recht haben, bin ich in big trouble...). Davon abgesehen (und insofern man sich für islamische Theologie interessiert): lesenswert. Ob ich den Bibliotheksangestellten mal einen Tipp geben soll, dass sie da Saudi-Propaganda im Regal stehen haben?

Michael Palin: New Europe. London: Phoenix, 2008 (2. Auflage).

Der britische Komödiant und Reisejournalist Michael Palin reist 2006 und 07 durch 21 Länder in Ost- und Südosteuropa: vom Balkan über die Türkei, Zentraleuropa und die Krim ins Baltikum, die Reise endet in Ostdeutschland. Auf die Suche nach dem "neuen Europa" möchte er sich machen, was natürlich ein unsinniger Begriff ist: Polen, Bulgarien, Kroatien, die Ukraine waren schon immer Europa; neu ist nur die Perspektive auf diese Länder. Der Mann ist Reporter und das Buch gerade mal 300 Seiten dick, insofern ist es nicht erstaunlich, dass vieles nur gestreift wird. Dennoch hat er es anscheinend in den wenigen Tagen, die er und seine Crew in jedem der Länder verbracht haben, geschafft, das jeweils Typische zu erfassen.

Ken Blakemore: Sunnyside Down. Growing Up in '50s Britain. Stroud: The History Press, 2005.

Irgendwann dachte ich dann, dass ich vielleicht mal was über englische Geschichte lesen sollte. Ken Blakemoores Bericht über seine Kindheit in einem englischen Dorf in den 1950ern und 60ern war dann bloß so sterbenslangweilig, dass ich es ganz schnell wieder zur Seite legen musste. Vielleicht weil die kulturelle Differenz dann doch nicht groß genug ist, als dass es interessant und spannend sein könnte?

India with Sanjeev Bhaskar. London: HarperCollins, 2007.

Das Buch habe ich mir wegen der Fotografien mitgenommen. (Und ein bisschen aus Gründen der Nostalgie.) Vom Konzept her ähnelt es dem Palin-Buch: Der Brite Sanjeev Bhaskar macht sich mit einem Kamerateam im Gefolge auf den Weg back to the roots und besucht Indien, das Land aus dem seine Eltern einst nach England kamen. Und Pakistan, von wo die Familie nach Indien flüchtete. Allein für die Bilder lohnt sich die Lektüre.