Montag, 27. Februar 2012

Katharina


Katharinas Tod war ein Schock.

Wir hatten zusammen in der Altbauwohnung im dritten Stock des Hauses an den Straßenbahnschienen gewohnt, seit einem halben Jahr. Katharina war neu dazu gekommen, sie hatte vorher in Baden-Württemberg studiert und sich jetzt unsere Uni für einen Master in Internationalen Beziehungen ausgesucht. War quer durch die Republik gefahren und hatte hier, weit weg von zu Hause ein Zimmer gefunden, bei uns, und das neue Studium begonnen.

Ich war gerade wieder in die Stadt im Osten des Landes, in der wir studierten, gekommen. Über drei Monate Nahen Osten im Gepäck, stand jetzt der Endspurt in meinem Studium an. Ich hatte hier lange genug gelebt, um da weitermachen zu können, wo ich vor meiner Abreise Richtung Südost aufgehört hatte. Ich war spät dran, das Semester hatte schon begonnen, aber das war in Ordnung, mir fehlte nur noch die Abschlussarbeit. Und ein bisschen arbeiten wollte ich, am Lehrstuhl.

Die Wochen liefen langsam an. Ich hatte mir viel vorgenommen, aber die Recherche zog sich dahin. Es war Winter, ich war viel zu Hause, manchmal in der Bibliothek. Katharina, Anna und ich verstanden uns gut. Jede hatte ihr Zimmer, in der Küche traf man sich, ich saß da oft mit meinem Computer oder einem Buch und einer Tasse Tee. Katharina erzählte. Sie hatte wie ich einige Zeit in Frankreich studiert, auf die französische Bürokratie schimpften wir gemeinsam. Viel lieber noch wäre sie für ein Semester nach Syrien gegangen, aber das hatte ihre Familie ihr ausgeredet. Jetzt bereute sie es, und ich meinte, dass sie doch immer noch für ein Semester ins Ausland gehen konnte. Vielleicht nicht nach Syrien, aber doch woanders hin.

Wir haben zusammen in der Küche gesessen, abends, mittags, mit den Nachbarn. Waren an der Uni, einkaufen, sie hat die leeren Kaffeegläser gewaschen, mit Etiketten beklebt und Zucker, Salz und Mehl hineingefüllt, schön sah das aus. Wir haben beide zum Lernen am liebsten Cola getrunken und flaschenweise Aldi-Cola die Treppen zu unserer Wohnung geschleppt. Unsere Wohnungstür hatte eine gereffelte Glasscheibe und wir haben gemeinsam darüber gelacht, wie unheimlich uns der Gedanke war, dass so jemand von draußen erahnen konnte, wann wir zu Hause waren und wann nicht. Einmal sind wir gemeinsam in die Amnesty-Gruppe unserer Stadt gegangen, weil wir dachten, ein bisschen Engagement muss sein, aber dann sah uns das so nach Laberclub aus, dass wir doch wieder gegangen sind.

Der Anruf kam abends.

Ich war drei Wochen oder länger bei meiner Familie gewesen. Hatte eigentlich früher wieder zurück kommen wollen, aber es war Weihnachten, Silvester, Neujahr, da war bei uns oben in unserer Stadt eh nicht viel los; ich hatte meinen Aufenthalt Stück für Stück, Tag für Tag verlängert.

Anna rief mich an. Sie musste es mir sagen. Einer musste es mir sagen. Sie musste es mir sagen.

Sie war zu Hause gewesen, als die Polizei klingelte, vor der Tür stand, die Nachricht überbrachte.

Auf Katharinas Tisch wurde ein Zettel gefunden, auf den sie mit krakeliger Schrift ihren Namen und dass sie mit uns (unsere Namen) zusammen wohnte, geschrieben hatte.

Anna hat die Schritte im Flur und die Tür gehört, als sie sich hinter ihr schloss.

Von unserer Wohnung bis zum Bahnhof waren es etwa fünfzehn Minuten. Dann war da der Zug. Und Katharina sprang nicht, sie legte sich, weil man, wenn man springt, abprallt und nicht stirbt. Es gab einen Zeugen, jemanden, der da stand, so früh am Morgen und sah, wie Katharina auf die Gleise kletterte. Legte sie sich hin? Sie ist nicht gesprungen, weil, wenn man springt, prallt man ab und überlebt. Vielleicht.

Katharina war tot.
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3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das tut mir so furchtbar leid!!! Für ihre Familie, ihre Freunde, für alle, die jetzt ohne sie Leben müssen.
Und so sehr für sie selbst! Ich glaube mann kann sich einfach nicht vorstellen wie ein Mensch sich fühlen muss, was für Gedanken er haben muss, um so etwas zu tun!!!
Ich musste weinen als ich das gelesen habe!!
Katharina Rip

Anonym hat gesagt…

Ach, das war schlimm! wie kann ein junger mensch so verzweifelt sein, dass er keine perspektive sieht, weiter zu leben. es gibt doch so viele schöne dinge auf der welt. auch wenn man sie manchmal so schrecklich ist. schlimm auch für die hinterbliebenen, familie oder freunde. wie wir damals.

Anonym hat gesagt…

Mein herzliches Beileid...