Sonntag, 29. Mai 2011

Entertainer

Letztens auf dem Spielplatz. Das Lieschen spielt selig im Sandkasten, Schippe und Eimer haben wir zwar nicht dabei, aber sie findet ein paar verlassene Förmchen im Sand und fängt an zu buddeln. Ich setze mich daneben und packe mein Buch aus. Spielplatz und U-Bahn sind einige der wenigen Orte, an denen ich zurzeit zum Lesen (wissenschaftliche Fachliteratur ausgenommen, das zählt nicht) komme. Nach einer Weile hat das Lieschen genug vom Spielen im Sand, legt die Förmchen zur Seite und rennt Richtung Karussell. Als ich sie aus dem Blickfeld verliere, packe ich mein Buch zusammen und mache mich nach einem neuen Sitzplatz auf die Suche. Nicht weit vom Karussell werde ich fündig.

Auf dem Karussell

Außer dem Lieschen spielen noch fünf oder sechs andere Kinder auf dem Karussell. Und ein Vater. Der steht neben den Kindern, von denen zwei oder drei seine zu sein scheinen, und brüllt seine Kommentare über den Spielplatz: "Nein, stopp, hey, was machst du da? Nicht so schnell, da sind doch kleine Kinder! Ja, genau so! Cara, was machst du da? Bleib sitzen, da kannst du dir richtig weh tun! Bleib sitzen, hab ich dir gesagt! Sag mal, hörst du nicht? Ja, genau, so! Super! Das macht Spaß, ne? Na, soll ich euch noch mal anstoßen? Na klar, ihr wollt doch, dass ich euch anstoße!" Und das ohne Pause und abwechselnd auf Englisch und Italienisch. Ich konnte nicht mehr. Wenn ich auf den Spielplatz gehe, bin ich eigentlich immer ganz froh, wenn das Lieschen auf dem Sandkasten / Karussel / Klettergerüst verschwindet und ich mal eine freie Minute habe. Das scheint nicht allen so zu gehen.

"Nur Stress mit den Kindern"

Als ich dort fassungslos neben dem Karussell stand, ist mir die Frau eingefallen, die ich vor Monaten mal auf einem anderen Spielplatz getroffen hatte. Die hatte ähnlich jeden Schritt ihrer vier oder fünf Kinder auf dem Spielplatz brüllend kommentiert. "Nein, nicht da lang, Sarah, da kann ich dich nicht sehen! Komm wieder hierher Ahmad! Vorsicht, nicht so doll, schaukel doch nicht so doll! Wo ist eigentlich deine Jacke? Sag mal, du musst doch deine Jacke anziehen! Ist dir nicht kalt? Yunus, warte auf deinen Bruder, ihr könnt doch zusammen spielen! Du sollst auf ihn warten! Hörst du? War-ten!" Nach zwanzig Minuten war sie außer Atem, und das ohne sich auch nur einen Schritt bewegt zu haben. Völlig entnervt seufzte sie: "Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr. Nur Stress mit den Kindern!"

Kulturübergreifend

Die Frau damals auf dem Spielplatz kam aus Somalia, nicht aus Italien wie der Mann dieses Mal. Es scheint sich bei den Spielplatzentertainern also um ein kulturübergreifendes Phänomen zu handeln, jedenfalls ist es hier in London weit verbreitet, ich treffe immer wieder solche Leute.

2 Kommentare:

Anisah hat gesagt…

Wie kannst Du auch das Lieschen einfach so ihre eigenen Erfahrungen machen lassen, Du Rabenmutter Du ;)

Annanymous hat gesagt…

Oh man, das ist mir auch schon des öffteren aufgefallen, wie Eltern, insbesondere Mütter, sich selbst und ihre Kinder dermaßen stressen! Und wenn ein Baby unterwegs ist, freut man sich mit den werdenden Eltern, weist sie aber gleichzeitig halb lachend, halb mahnend darauf hin, dass sie am besten vor der Geburt noch mal kräftig schlafen, denn das können sie dann in Zukunft vergessen und stressig wird es sowieso ohne Ende! Toll - mir stößt es dann immer sauer auf, wenn ich solche miesmachenden Kommentare höre. Eine Freundin von mir ist auch ein sehr gutes Beispiel für eine gestresste Mutter. Sie hat mir nach 4 Monaten mit dem Baby schon erklärt, dass sie am liebsten sofort wieder zu ihrem Vollzeitjob zurückkehren würde. Und nach 8 Monaten war sie so verzweifelt und gestresst vom hinterherrennen, und Wohnung kindersicher machen, dass sie echt Anzeichen eines Burn Outs zeigte. Jede Kante, auch die, die garn icht in Kinderreichweite sind, wurden mit Schaumstoff abgeklebt! :-D

Aber ich darf ja eigentlich gar nicht mitreden ... vielleicht werde ich auch mal so eine überbehütende Mutter und fange an die Kinder zu stressen? Ein bisschen ängstlich bin ich ja schon und wenn ich da so an meine Babysitter-Zeiten denke ... da hatte ich schon ab und an den Gedanken "Wenn das meine Kinder wären, würde ich ihnen nicht erlauben auf dieser wackligen, rutschigen Stange in 2 Metern Höhe zu balancieren." Uahuaha! Aber ich konnte es ihnen ja nicht verbieten, weil die Eltern scheinbar kein Problem damit hatten. Jedenfalls ließen sie die Kinder gewähren.