.
11. September - 13. September 2012 Spätabends ist es, Dienstagabend, als ich von Farah, die in London gerade ihr Jurastudium beendet hat, deren Familie aus Lybien kommt, vom brennenden Konsulatsgebäude in Bengazi erfahre. Der Teil von Farahs Familie, der nicht wie ihre Eltern schon seit Jahren in Großbritannien lebt, ist in Bengazi. Ihre Eltern stammen von dort, ihre Onkel und Cousins haben während des Aufstands gegen Qaddafi auf Seiten der Rebellen gegen das Regime gekämpft. Supersauer ist sie, wie sie da vor ihrem Computer sitzt und in die Tasten haut, ich sehe sie vor mir, das hübsche Gesicht, ein bisschen schief gebundene Kopftuch:
"This is getting embarrassing!"
"So a coptic Egyptian makes an offensive film about the prophet peace be upon him and the youth of benghazi decide to burn the American consulate and kill one of its diplomats! my dear benghazi when will you give it a rest! its not the consulate's fault! so why burn it and why kill! this is getting embarrassing!"
Noch nicht auf deutschen Nachrichtenseiten
Ein toter amerikanischer Diplomat in Bengazi? Ich checke die großen deutschen Nachrichtenseiten. Keine Spur von einer Berichterstattung über die Ereignisse in Lybien. Auf Aljazeera English wird zumindest von den Angriffen auf die Botschaft in Kairo berichtet - aber auch hier: kein Wort von Lybien. "Mal wieder", denke ich mir, meistens höre ich von Ereignissen im Nahen Osten zuerst durch meine Freunde, die meist wegen der Verwandtschaft eine Verbindung zu dem jeweiligen Land haben - oder selbst dort leben. Zuversichtlich, dass die Nachricht am nächsten Tag auch in Europas news rooms angekommen sein wird, lege ich mich schlafen.
Lybien ist nicht Iran, 1979 nicht 2012
Genau so kam es. Am nächsten Morgen ist der erste Artikel, auf den ich stoße, It Ain't 1979 Anymore, im amerikanischen Foreign Policy erschienen. Verschickt hat ihn Mina, deren christliche Familie nach der Revolution im Iran wenig zu lachen hatte - und heute in Deutschland lebt. Im Artikel erklärt der Autor, weshalb 2012 nicht 1979 ist, sich die Geschichte nicht wiederholt - mit teils überzeugenden Argumenten, derer er sich selbst jedoch nicht 110% sicher zu sein scheint: weshalb sonst die vielen "es scheint", "eher nicht", "sieht nicht danach aus"? Oder vielleicht bin ich auch nur endlich auf einen Journalisten gestoßen, der seine Vermutungen und Einschätzungen als genau das verkauft, was sie auch sind - und nicht als die einzige und unumstößliche Wahrheit.
Entspricht nicht den Lehren des Propheten
Derweil weist Farah auf den Widerspruch zwischen dem Verhaltens des Mobs in Bengazi und Kairo und dem Vorbild des Prophetens, den sie zu verteidigen vorzugeben, hin:
"The Prophet peace be upon him said : " One of the evil deeds with bad consequence from which there is no escape for the one who is involved in it is to kill someone unlawfully." The people claiming they destroyed and killed in the name of the prophet yesterday in Benghazi obviously do not follow his teachings."
Ein paar Gewalttäter, die schweigende Mehrheit
Sie ist außer sich, zu sehen, wie vor ihren Augen diese Menschen ihrer Hoffnung auf ein freies, ein demokratisches Lybien Brandschatzung, Mord und Gewalt entgegen setzen:
"A few hundred people ruin the work and effort of millions :( there was a time when Benghazi was considered a beautiful thing, a revolutionary city vibrant and always rejecting oppression...a few hundred people tarnish that reputation forever and we, the silent majority, must suffer!"
Gegendemonstration und Lybier, die für Amerikaner starben
Sie verschickt ein Bild von einer Gegendemonstration in Bengazi, ein Schild ist zu sehen: "Bengazi is against terrorism", ein weiteres: "Chris Stevens was a friend of all Lybians", und sie schreibt von den lybischen Toten:
"10 Libyan security guards were killed by the extremist mob that attacked the US Embassy. Let it be known that these heroes tried."
Moment - 10 lybische Tote? Die bei dem Versuch starben, das US-Konsulat zu beschützen? 10 Tote? Warum lese ich davon in den britischen, deutschen, amerikanischen Medien nichts?
Doppelmoral in vielen westlichen Medien
Darüber regt sich auch Ishak auf. Aus dem indischen Teil Kaschmirs stammend, in Ostafrika aufgewachsen, weiß er etwas von Krisengebieten dieser Welt. Studiert hat er an einer amerikanischen Ivy League-Uni und in London. So sehr er den Tod des amerikanischen Konsulatspersonals bedauert, ist er fassungslos angesichts der Tatsache, dass von den lybischen Toten zum Beispiel kaum die Rede ist. Oder, dass ein Toter Amerikaner wahnsinnig viel Presse macht, wohingegen dutzende tote Pakistanis zum Beispiel generell eher weniger interessieren. Er zitiert einen Artikel, der im britischen Guardian erschienen ist.
Spontane Gewalt, organisierter Angriff, Vorwand zur Randale?
Für Noura, die mit uns in London studiert hat und seit einem Jahr wieder zurück zu Hause in Ägypten ist, ist klar, dass das kein spontaner Ausbruch von Gewalt sondern ein organisierter Angriff auf die amerikanischen Vertretungen war. Das Team vom ägyptischen Arab West Report weist auf die brisante Mischung von protestierenden Salafis und gewaltbereiten Fußballfans vor der Botschaft in Kairo hin. Chefredakteur Cornelis Hulsman geht noch einen Schritt weiter und analysiert die Hintergründe der Proteste und das Viereck der Beziehungen zwischen ägyptischen Kopten und Muslimen, Kopten in der Diaspora und westlichen Medien.
Und Sam
Und dann ist das noch Sam. Der, junger Amerikaner, selbst gerade, zum ersten Mal, im Nahen Osten unterwegs ist, irgendwo dort alleine in einem ihm fremden Land hockt - und dann so was. Angriffe auf die Botschaften seines Landes, ein getöteter Diplomat seines Landes, zerrissene und brennende Fahnen, seines Landes. Ich hoffe, dass seine Familie sich nicht allzu sehr Sorgen um ihn macht, dass er das auch nicht tut; weiß, dass er da, wo er ist sicher ist, bis mir einfällt, dass es anti-amerikanische Ausschreitungen, mit Toten, in dem Land, in dem er gerade unterwegs ist, auch schon, gab.
Ein trauriger Tag
Sam will noch fertig studieren und dann zur Army, Marines oder so. Einer der in Bengazi getöteten Amerikaner gehörte zum Freundeskreis eines seiner Bekannten. Sam schreibt davon, was für ein trauriger Tag das für ihre Gemeinschaft ist, und ich stimme ihm zu, und weise dann auf die die anderen Toten hin, die Lybier, die starben bei dem Versuch, das Konsulat zu schützen, und wenig später bereue ich die Zeilen schon. Es gibt Zeiten und Orte, um bestimmte Dinge zu sagen. Und manchmal ist es, auch wenn man Recht hat, besser, einfach mal den Mund zu halten. Denn, politics aside, es ist ein trauriger Tag.
3 Kommentare:
Danke. Für die alternative Berichterstattung! Wirklich!
Und jetzt gerade brennt die deutsche Botschaft im Sudan...
@ Kommentar 1: Gerne.
@ Kommentar 2: Aaaaargh. Oh nee.
Kommentar veröffentlichen